Unterbringung von Geflüchteten : "Wir machen hier manches anders"
Während die Aufnahme von Geflüchteten mancherorts für Proteste sorgt, sind in Schleswig-Holstein Konflikte bislang ausgeblieben. Ein Besuch in Rendsburg.
An einem heißen Nachmittag im Juni sitzen Akmal Ghani Zada und seine Frau Farisa auf einer Bank auf dem umzäunten Gelände der Landesunterkunft für Geflüchtete in Rendsburg und sprechen über ihre Zukunft. Gerade kommen sie vom Mittagessen in der Kantine, es gab Reis und Huhn. Drei ihrer Töchter, alle in Hosen und lockeren Kopftüchern, sausen los, um Freundinnen zu treffen, die vierte Schwester ist noch in der Schule. "Vier Mädchen, das ist ein Problem in Afghanistan", sagt der Vater, der vor den Taliban geflohen ist. Seit einigen Monaten lebt die Familie nun hier, auf dem Gelände mit kastenförmigen Ziegelgebäuden auf der einen und Reihen von weißen Containern auf der anderen Seite. Dazwischen schlendern Männer in Jogginghosen und Frauen in langen Kleidern. Auf einer Wiese spielen Kinder Ball. Das Gelände zeichne sich durch zweckmäßige Hässlichkeit aus, aber es gefalle ihnen hier, beteuert Zada: "Es ist ruhig, es ist sicher."
In einer leerstehenden Kaserne in Rendsburg untergekommen: Akmal Ghani Zada (links vorn), Frau Farisa (rechts vorn) und ihre Kinder leben dort mit 750 Geflüchteten.
Ruhig und sicher - so ist die Lage nicht überall in Deutschland, wenn es um die Einquartierung von Kriegsvertriebenen aus der Ukraine oder Asylsuchenden aus anderen Teilen der Welt geht. Von einer "aufgeheizten Stimmung" berichtete der MDR, weil Dresden mehr Geflüchtete aufnehmen sollte. Im Juni lehnte der Bauausschuss im hessischen Lenggries nach Protesten den Bau einer Unterkunft für hundert Personen ab. In Mecklenburg-Vorpommern kündigte die Gemeinde Upahl Ende Juli an, gegen ein Containerdorf für rund 250 Flüchtlinge zu klagen. In Schleswig-Holstein ist die Lage dagegen weitgehend ruhig. Als im Januar zwei Jugendliche bei einer Messerattacke in einem Zug starben - für die Tat steht ein staatenloser Palästinenser vor Gericht - herrschten Trauer und Entsetzen, aber es gab keine Proteste gegen Migration selbst.
Leben in leerstehenden Kasernen
Grund könnte sein, dass im Land kaum Containerdörfer errichtet werden müssen. Zahlreiche leerstehende Kasernen warten hier auf neue Nutzung. "In die Geisterstadt zieht wieder Leben ein. Darauf haben die Seether lange gewartet", jubelten die "Husumer Nachrichten", als das Land 2017 die Kaserne bei Seeth für Geflüchtete anmietete. In dem nordfriesischen Dorf kamen zeitweise fast 800 Untergebrachte auf 700 Einwohner.
Auch in Rendsburg befindet sich die Unterkunft in einer ehemaligen Kaserne. Das Gelände ist privatisiert, bringt der Stadt also keine Mieteinahmen, sagt Janet Sönnichsen, parteilose Bürgermeisterin der 30.000-Einwohner-Stadt am Nord-Ostseekanal. In der Unterkunft leben heute rund 750 Geflüchtete, überwiegend aus Afghanistan, Syrien und Somalia.
Entlastung der Ärzte in der Umgebung
Es gebe vermutlich nicht nur einen Grund, warum es in Schleswig-Holstein vergleichsweise gut läuft mit der Integration, glaubt Wolfgang Kossert, Sprecher des Landesamtes für Zuwanderung und Flüchtlinge. "Aber wir machen hier manches anders als andere" - "besser" klingt ungesagt mit. Stolz ist das Landesamt etwa auf die medizinische Versorgung in den Unterkünften, durch die Ärzte aus der Umgebung entlastet werden.
Große Fotos von blühenden Rapsfeldern und Badenden an Nord- und Ostsee schmücken die Ziegelwände in der Praxis der Rendsburger Landesunterkunft. "Ich will, dass die Menschen unser Land kennenlernen", sagt André Kröncke. Der Allgemeinmediziner und Notarzt ist Gründer der "Notarztbörse", einem Medizinernetz, das in Schleswig-Holstein die Praxen in den Unterkünften betreut. Er und sein Team sehen Krankheiten aller Art, von Erkältungen bis zu schweren chronischen Leiden. Während des Asylverfahrens besteht Anspruch nur auf Akut- und Schmerzbehandlung, aber allein aus Gründen des Gesundheitsschutzes sei eine gute Versorgung wichtig, wissen die Mediziner.
Bewohner helfen beim Waschen, in der Kantine oder bei der Kinderbetreuung
Viele der Geflüchteten leiden unter psychischen Problemen: Sie sorgen sich um ihre Zukunft, bangen um Verwandte, haben Schreckliches erlebt. "Dazu kommen Alltagsthemen, Fragen zum Leben hier", sagt Larissa Gröschler. Die Sozialberaterin gehört zum Team der Johanniter, die in der Erstunterkunft für alle Fragen jenseits der Asylverfahren zuständig sind und damit eine Art Scharnierfunktion haben: "Wir vermitteln, wir erklären", sagt Teamchef Masood Iqbal. Er lobt die "Gemeinnützigen", jene Bewohner, die freiwillig Wäsche waschen, in der Kantine helfen oder Kinder betreuen. Die Tätigkeiten seien wichtig, weil sie den Tag strukturieren, sagt Iqbal. Und für den Arbeitsmarkt trainierten: "Viele meiner Gemeinnützigen sehe ich nach dem Transfer wieder bei Jobs in der Gastronomie oder im Baumarkt." Transfer bedeutet den Umzug nach draußen - Farisa und Akmal Ghani Zada haben dafür bereits einen Termin. Der Ingenieur, der Englisch spricht, hofft auf eine passende Arbeit. Fürs erste werden sie in Rendsburg leben, wahrscheinlich erhält die Familie ein dauerhaftes Bleiberecht.
"Eben weil sich die Menschen hier wohlfühlen, bleiben sie auch", sagt Bürgermeisterin Sönnichsen. Von ihrer Warte im Rathaus, drei Kilometer Luftlinie von der Unterkunft entfernt, blickt sie mit gemischten Gefühlen auf die Zuwanderung. "Ich sehe Kulturmix grundsätzlich als Reichtum", sagt Sönnichsen. Sie empfinde die Rendsburger als offen und hilfsbereit, das zeige auch das ehrenamtliche Engagement, etwa im interkulturellen Sportverein "Moin TV". Für die Kreisstadt bedeute der Zuzug dennoch eine Mehrbelastung. Das beginne im Bürgerbüro des Rathauses, wo die Sachbearbeiter an Sprachhürden und fehlenden Papieren verzweifeln. Es setze sich fort in Kitas, Schulen und auf dem Wohnungsmarkt.
Allein im Jahr 2022 nahm Schleswig-Holstein mit seinen gut drei Millionen Einwohnern rund 39.000 Menschen auf, davon etwa 30.000 aus der Ukraine. Viele der Zugewanderten bleiben in den Städten. In Rendsburg sei die Lage auf dem Wohnungsmarkt seit 2015 "durchgängig angespannt", berichtet Sönnichsen. Um den Druck zu lindern, erhöhte die grüne Integrationsministerin Aminata Touré sowohl die Zahl der Plätze als auch die Verweildauer in den Landesunterkünften, so dass die Menschen später auf die Gemeinden verteilt werden.
Freiwillige Förderung trotz schwieriger Haushaltslage
Insgesamt tue Schleswig-Holstein mehr als andere Bundesländer für die Integration, meint Martin Link vom Flüchtlingsrat des Landes. Die schwarz-grüne Regierung finanziere trotz schwieriger Haushaltslage Beratungen, Sprach- und Arbeitsmarktförderung als freiwillige Leistungen. Doch Link kritisiert auch "unzugängliche Ausländerbehörden" und Schwierigkeiten besonders für Menschen aus dem globalen Süden. Bei der Frage der sicheren Herkunftsländer wird sich das Land im Bundesrat enthalten, doch die Beschlüsse des Flüchtlingsgipfels etwa zu beschleunigten Asylverfahren und konsequenteren Abschiebungen trägt Schwarz-Grün mit "und geriert sich damit auch nicht besser als der Bund", sagt Link.
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Der innenpolitische Sprecher der Union, Alexander Throm, kritisiert die Migrationspolitik der Ampel scharf. Sie schaffe mehr Anreize statt Zuwanderung zu begrenzen.
Ein Indikator für die Stimmung sind Wahlergebnisse. Bei den Landtagswahlen 2022 flog die fremdenfeindliche AfD aus dem Parlament, bei der Kommunalwahl im Mai dieses Jahres erreichte sie landesweit 8,8 Prozent, in einigen Orten deutlich mehr - unter anderem mit dem Versprechen einer "Zeitenwende in der Migrationspolitik". Auch in Rendsburg muss Bürgermeisterin Sönnichsen künftig mit einer AfD-Fraktion im Stadtrat umgehen. "Ich vermute, dass das Ergebnis eher mit Bundesthemen zusammenhängt als mit der Integration hier", sagt sie. Dennoch schauten sie im Rathaus aufmerksam auf die Ergebnisse. Besonders gut schnitt die rechte Partei in den Vierteln ab, in denen viele Einkommensschwache leben. In eine Sozialwohnung dort könnten demnächst auch Farisa und Akmal Ghani Zada mit ihren Töchtern einziehen.
Die Autorin ist Schleswig-Holstein-Korrespondentin der taz.