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Wenn Bürger gesetzliche Änderungen wollen : Von alltäglichen Sorgen bis zu den großen Fragen der Politik

Wer ein konkretes Anliegen hat, kann sich an den Petitionsausschuss wenden. Dort wird die Eingabe geprüft und von den Abgeordnete oft aus nächster Nähe betrachtet.

29.08.2024
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6 Min

Deutschland im Juli 2024. Die Nation ist in Aufruhr! Im Viertelfinale der Fußball-Europameisterschaft gegen Spanien wird den Deutschen gleich zweimal ein Elfmeter verweigert. Weder nach einem Foulspiel im Strafraum gegen Niklas Füllkrug in der 77. Minute noch nach dem Handspiel eines Spaniers in der Verlängerung zeigt der englische Schiedsrichter auf den Punkt. Mit der Folge, dass der spanischen Mannschaft Spanien ein spätes Tor zum 2:1 gelingt und das DFB-Team ausscheidet.

Erik V. will das so nicht hinnehmen. Flugs erstellt er eine Petition auf change.org, der nach eigener Aussage "weltweit größten Petitionsplattform für gesellschaftliche Veränderung", in der die Wiederholung des Spiels gefordert wird. Nach wenigen Tagen haben sich fast eine halbe Million Menschen der Forderung angeschlossen. Passiert ist freilich nichts. Bekanntermaßen wurde das Spiel nicht wiederholt - Spanien mit einem Sieg gegen England schlussendlich sogar Europameister.

Petitionen über eine Petitionsplattform und per Post einreichen

Was das mit dem Bundestag zu tun hat? Nichts, und genau das ist das Problem: Noch immer verbinden viele Menschen den Begriff Petition eher mit kommerziellen Plattformen wie change.org oder openpetition.de statt mit dem Petitionsausschuss im Deutschen Bundestag. Die Abgeordneten wissen das, beklagen das und fordern seit langem mehr Aufklärungsarbeit. Mit bislang eher mäßigem Erfolg: Teils wird davon ausgegangen, dass eine bei diesen Internet-Plattformen eingereichte Petition dem Bundestag sowieso weitergereicht wird. Andere denken, dass die Mitzeichnung einer Petition auf diesen kommerziellen Plattformen die Chance auf eine öffentliche Beratung im Bundestag erhöht - beides ist falsch.

Das plant die Ampelkoalition

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Will man tatsächlich etwas ändern an der Gesetzgebung, das Regierungshandeln kritisieren oder etwaiges Fehlverhalten von Bundesbehörden korrigiert sehen, ist der Petitionsausschuss des Bundestages der richtige Ansprechpartner. Ob ganz altmodisch per Post oder über die Petitionsplattform : Wer an den Petitionsausschuss des Bundestags schreibt, wendet sich an das "Original mit der Dreifach-Garantie": Zum einen wird der Eingang der Petition bestätigt. Dann wird die Petition durch den Ausschuss geprüft. Schließlich - und das ist sicher der größte Unterschied zu privaten Petitionsplattformen - erhalten die Petentinnen und Petenten einen begründeten Bescheid des Ausschusses darüber, wie mit ihrer Eingabe verfahren wird.

Einer von vier Bundestagsausschüssen mit Verfassungsrang

Und das schon seit knapp 75 Jahren. Am 14. Oktober 1949 konstituierte sich der Petitionsausschuss der 1. Legislaturperiode des Bundestages. 1975 erhielt der Ausschuss die Stellung eines Bundestagsausschusses, der in der Verfassung ausdrücklich genannt, mit eigenen Vollmachten ausgestattet und dessen Einsetzung zwingend vorgeschrieben ist. Eine solche starke verfassungsrechtliche Stellung hat außer ihm nur noch der Auswärtige Ausschuss, der Europaausschuss und der Verteidigungsausschuss.

Foto: DBT / Werner Schüring

Auch vor Ort im Einsatz für die Bürger: Mitglieder des Petitionsausschusses bei einer Ortsbegehung in Lüdenscheid im Mai 2023. Thema war die Verkehrsbelastung des Ortes nach der Sperrung und späteren Sprengung der Rahmedetalbrücke.

In Sitzungswochen mittwochs um 8.00 Uhr tagt das Gremium. Bei vielen Bürgeranliegen finden die Abgeordneten eine fraktionsübergreifend getragene Bewertung. Um andere wird erbittert gestritten - vor allem dann, wenn es um politische Richtungsfragen geht. Bei Forderungen beispielsweise zum Atomausstieg, dem Tempolimit oder zur Arbeitspolitik wird schlussendlich zumeist entlang der Koalitionslinien abgestimmt.

11.410  Petitionen wurden 2023 eingereicht

Vielfach sind es aber persönliche Anliegen, mit denen sich die Petenten an den Ausschuss wenden. Die eine klagt über Benachteiligungen bei der Rentenermittlung. Der andere sieht sich vom Jobcenter schlecht behandelt. Vieles kann auf dem "kurzen Dienstweg" geklärt werden. Etwa zwei Drittel der Eingaben - 2023 waren es knapp 70 Prozent der insgesamt 11.410 Petitionen - betreffen solche eher persönlichen Anliegen. Manchmal reicht es, wenn die Ausschussmitarbeiter die Behörden auffordern, den ganzen Sachverhalt nochmal zu prüfen. In anderen Fällen werden die Abgeordneten aktiv und suchen mit Regierungsvertretern eine Lösung. Nicht immer, so viel ist auch klar, wird dann genau das erreicht, was die Petenten wollen.

Zugegeben: Die besagte Petition zur Fußball-Europameisterschaft hätte der Petitionsausschuss wohl schon mal mit dem Verweis auf fehlende Zuständigkeit nicht angenommen, was dem Petenten dann auch erläutert worden wäre. Die Tätigkeitsberichte des Ausschusses zählen aber schon die ein oder andere kurios anmutende Eingabe auf, mit der sich die Abgeordneten beschäftigt haben. Dazu gehört eine Petition zum Thema "Katzenklo" aus dem Jahr 2021. Ein Grundstücksbesitzer hatte sich darüber beklagt, dass sich die Katze des Nachbarn auf sein Grundstück schleicht, um dort "ihr Geschäft" zu erledigen. Der Schutz des Eigentums von Grundstücksbesitzern müsse doch höher bewertet werden als das Recht des Katzenhalters, seine Katze frei durch die Umgebung laufen zu lassen, befand er.

Von Klimaschutz über Migration, Corona, innere Sicherheitbis zur Energiewende

Der Ausschuss nahm sich der Sache an und holte Auskunft aus dem Justizministerium ein. Demnach sieht die aktuelle Rechtsprechung im Betreten eines Grundstücks durch eine Katze tatsächlich eine Beeinträchtigung. Dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis wohnt aber zugleich ein Gebot zur Rücksichtnahme inne. Fazit: Das bloße Betreten des Grundstücks durch ein bis zwei Nachbarskatzen ist hinzunehmen. Parlamentarischen Handlungsbedarf sah der Ausschuss daher nicht.

Der Petitionsausschuss geht aber auch an die großen Themen heran. Ob Klimaschutz, Migration, Corona-Pandemie, Energiewende oder innere Sicherheit: Zu all dem landen regelmäßig Eingaben beim Ausschuss, die teils auch öffentlich beraten werden.


Martina Stamm-Fibich im Porträt
Foto: DBT/Juliane Sonntag/photothek
„Wir haben einen Reformprozess angestoßen, der Petitionen schneller, besser und bürgerfreundlicher machen soll.“
Ausschussvorsitzende Martina Stamm-Fibich (SPD)

Um ein Thema in einer öffentlichen Sitzung des Ausschusses zu platzieren, bei der auch die Bundesregierung anwesend ist und Farbe bekennen muss, brauchen die Petentinnen oder Petenten eine Mindestzahl an Unterstützungen für ihr Anliegen. Seit Einführung der öffentlichen Petitionen vor 20 Jahren lag das Quorum bei 50.000 Mitzeichnungen, die innerhalb von vier Wochen eingehen mussten. Seit dem 1. Juli werden nur noch 30.000 Unterschriften benötigt. Um sie zu sammeln, hat man sechs Wochen Zeit.

Union: Absenken des Quorums für öffentliche Sitzungen hilft Petenten "überhaupt nicht"

Die Absenkung des Quorums gilt als großer Wurf zur Modernisierung des Petitionswesens. Zumindest sehen das die Ampelfraktionen so. "Wir haben einen Reformprozess angestoßen, der Petitionen schneller, besser und bürgerfreundlicher machen soll", sagt die Vorsitzende des Petitionsausschusses, Martina Stamm-Fibich (SPD). Von einem Placebo spricht hingegen der Obmann der Union im Ausschuss, Andreas Mattfeldt (CDU). Das Absenken des Quorums für öffentliche Sitzungen helfe den Petenten "überhaupt nicht". Er hätte es lieber gesehen, wenn mehr Druck auf die Bundesregierung gemacht würde. Derzeit würden selbst die mit dem höchsten Votum des Ausschusses verabschiedeten Petitionen von der Bundesregierung zum Teil gar nicht umgesetzt, "und zwar mit lapidaren Begründungen, wenn sie es schlichtweg nicht will", beklagt Mattfeldt.

Mehr zur Arbeit des Petitionsausschusses

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Trotz der formal herausragenden Bedeutung des Petitionsausschusses, die sich aus Artikel 17 Grundgesetz ergibt, halten sich die Durchgriffsmöglichkeiten des Ausschusses in der Tat in Grenzen. "Schärfstes Schwert" des Ausschusses ist es, eine Petition der Bundesregierung "zur Berücksichtigung" zu überweisen. Dann ist nämlich aus Sicht der Abgeordneten das Anliegen begründet und Abhilfe notwendig. Der Bundesregierung wird zur Beantwortung eine Frist von in der Regel sechs Wochen gesetzt. Bleibt sie bei ihrer Sicht der Dinge, muss das der Ausschuss ohne weitere Interventionsmöglichkeit hinnehmen.

Erfolg einer Petition: Regierung plant Lachgas-Verbot für Jugendliche

Erfolge sind dennoch zu verzeichnen: Aktuelles Beispiel ist das Lachgas-Verbot. In einer öffentlichen Petition wurde der Verkauf von Lachgas an Jugendliche unter 18 Jahren gefordert. Inzwischen plant auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Medienberichten zufolge ein solches Verkaufsverbot.

Im Tätigkeitsbericht des Ausschusses für 2023 finden sich fünf Berücksichtigungsbeschlüsse, die im vergangenen Jahr "positiv erledigt" wurden. So können seit 1. Juli 2024 auch Frauen zwischen 70 und 75 Jahren am Mammographie-Screening-Programm zur Früherkennung von Brustkrebs teilnehmen. Bisher hatten Frauen zwischen 50 und 69 Jahren Anspruch darauf. Die damit verbundene Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen war in einer Petition gefordert worden.

Auch wenn sich also am frühen Ausscheiden Deutschlands bei der EURO nichts mehr ändern lässt: Der Petitionsausschuss ist das Gremium, dem laut Grundgesetz "jedermann" --und natürlich auch jede Frau - sein Anliegen kundtun darf und wo eine Chance auf Abhilfe besteht.