Nach Rückmeldung aus der Praxis : Mindeststrafe für Kinderpornographie-Delikte soll sinken
Die 2021 verschärfte Mindeststrafe für Kinderpornographie-Delikte führt in der Praxis zu erheblichen Problemen. Die will die Bundesregierung nun beheben.
Staufen im Breisgau, Lügde, Bergisch Gladbach - Ende der 2010er Jahre machten diese drei Orte traurige Schlagzeilen. Sie standen jeweils im Mittelpunkt großer Missbrauchskomplexe, schwerster sexualisierter Gewalt gegen Kinder sowie der Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie. Die Fälle beschäftigten Polizei und Staatsanwaltschaft, etliche Täter wurden zu langen Haftstrafen verurteilt, viele Kinder befreit. Teilweise wurden Untersuchungsausschüsse eingesetzt, um mögliches Fehlverhalten von Behörden und Strafverfolgern aufzudecken. Auch die Bundespolitik wurde aktiv: Im März 2021 verabschiedete der Bundestag das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder, das die Große Koalition von CDU/CSU und SPD vorgelegt hatte.
Das Gesetz führte unter anderem zu einer deutlichen Erhöhung des Strafrahmens für Missbrauchs-Delikte auf bis zu 15 Jahre und für Kinderpornographie-Delikte auf bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe. Auch die Mindeststrafen wurden jeweils auf ein Jahr Freiheitsstrafe angehoben. Damit galten diese Delikte nunmehr als Verbrechen und nicht mehr als Vergehen - das wiederum hat erhebliche Konsequenzen für Strafverfahren. Denn als Verbrechen eingestufte Delikte können von Staatsanwaltschaften nicht eingestellt oder mit Strafbefehl erledigt werden, sondern müssen öffentlich angeklagt werden.
Mit Blick auf die Kinderpornographie-Delikte in Paragraf 184b Strafgesetzbuch ist der Gesetzgeber mit dieser Reform "über das Ziel hinausgeschossen", wie Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am Donnerstag im Bundestag sagte. Buschmann stellte einen Gesetzentwurf der Regierung vor, der das korrigieren soll. Vorgesehen ist, dass Verbreitung und Besitz kinderpornographischer Inhalte nicht mehr mit einer Mindeststrafe von einem Jahr, sondern mit sechs Monaten (Verbreitung) beziehungsweise drei Monaten (Besitz) Freiheitsstrafe bestraft werden. Damit würden beide Delikte wieder zu Vergehen herabgestuft, Verfahren könnten eingestellt werden, die Staatsanwaltschaften hätten mehr Flexibilität.
Der Bundesregierung geht es beispielsweise um Lehrpersonen und Eltern
Die Bundesregierung beruft sich zur Begründung auf die einhellige Rückmeldung von Strafverfolgern und Gerichten sowie einer Aufforderung der Justizministerkonferenz. Sie hat dabei bestimmte Fallkonstellationen im Blick: Beispielsweise Lehrpersonen oder Eltern, die kinderpornographisches Material auf dem Handy von Heranwachsenden finden und dieses sichern oder verschicken, um andere zu warnen. Ebenso geht es um Fälle, in denen Personen ungewollt in den Besitz von kinderpornographischen Inhalten kommen, etwa durch den automatischen Download in Chatgruppen. Ein solcher Fall liegt aktuell beim Bundesverfassungsgericht. Das zuständige Amtsgericht sieht in der Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr in diesem Fall ein Verstoß gegen das grundgesetzliche Übermaßgebot, heißt: Die Strafe ist unverhältnismäßig. Mit der Herabsetzung zum Vergehen will die Bundesregierung daher in solchen Fällen eine "tat- und schuldangemessene" Bestrafung ermöglichen - die sich vor allem in der Möglichkeit zeigt, Verfahren, auch gegen Auflagen, einzustellen.
Buschmann stellte in der Debatte dar, dass es genau um solche Fälle "am unteren Strafrahmen" gehe. Der Minister hob - wie auch andere Rednerinnen und Redner - hervor, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern "eines der schlimmsten Verbrechen" sei. Das Leid der Opfer vergrößere sich noch dazu durch das Bewusstsein dafür, "dass sich andere Lust verschaffen an der Darstellung des eigenen Leides". Das sei einer der "schlimmsten Persönlichkeitsrechtsverletzungen, die man sich vorstellen kann", sagte der Minister. An den harten Strafen für Missbrauchs- sowie Kinderpornographie-Delikte dürfe, solle und werde sich nichts ändern, so Buschmann.
Gänzlich überraschend ist die Entwicklung nicht. Schon im parlamentarischen Verfahren zum Gesetz hatten Sachverständige auf die sich abzeichnenden Probleme für die Strafverfolgung hingewiesen. Das betonte in der Debatte für die Grünen-Fraktion auch Canan Bayram. "Dass genau so etwas passieren würde, war schon klar, als wir das Gesetz vor drei Jahren hier erlassen haben, aber die Union hat damals - und das gehört zur Wahrheit auch dazu - die Augen davor verschlossen." Durch die aktuelle Rechtslage würden Kapazitäten gebunden, "die bei der Aufdeckung von echten Kinderpornographie-Ringen dringend gebraucht werden". Bayram wies zudem darauf hin, dass die aktuelle Mindeststrafe auch für jugendliche Täter einschneidend sei. Durch den Eintrag ins Zentralregister werde deren berufliche und persönliche Zukunft beschnitten, so die Grünen-Abgeordnete. Im Entwurf führt die Bundesregierung auch die große Zahl jugendlicher Täter als Begründung für die Herabsetzung der Mindeststrafe an. Auch hier sollen Strafverfolger und Gerichte mehr Flexibilität erhalten.
Unterstützung kam auch von der SPD-Fraktion. Die von den Sozialdemokraten 2021 mitgetragene Regelung bezeichnete Johannes Fechner als "Fehler". Gleichzeitig hob Fechner hervor, dass seinerzeit viel für den strafrechtlichen Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt erreicht worden sei, etwa erweiterte und verschärfte Strafvorschriften für Cybergrooming, die gezielte Anbahnung sexueller Kontakte mit Minderjährigen im Netz, und das Inverkehrbringen von Kindersexpuppen.
Union: IP-Speicherung zur Verfolgung Kinderpornographie-Delikten wichtig
Die Unionsfraktion zeigte sich für die Änderung grundsätzlich offen. Die Erhöhung der Mindeststrafe habe in bestimmten Fallkonstellation zu Ergebnissen geführt, die der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers zuwidergelaufen seien, sagte der CDU-Abgeordnete Axel Müller. Damit sei eine "Problemlage für Polizei und Justiz" geschaffen worden.
Müller regte an, im weiteren Verfahren zu prüfen, ob nicht durch den Ausschluss bestimmter Fallgruppen im Paragrafen eine andere Lösung gefunden werden könne. Zudem forderte er Buschmann auf, seinen Widerstand gegen die Speicherung von IP-Adressen aufzugeben, um in diesem Bereich eine bessere Strafverfolgung zu ermöglichen.
Für die AfD-Fraktion lehnte Fabian Jacobi den Entwurf in der vorliegenden Form ab. Jacobi folgte zwar der Argumentation, dass aus Sicht der Praxis Änderungsbedarf bestehe. "Auch durch die staatliche Gleichsetzung solcher allenfalls minimal strafwürdigen Sachverhalte mit tatsächlichen Kindesmisshandlungen können Leben zerstört werden", sagte der Abgeordnete mit Verweis auf den Fall einer jungen Frau, die ungewollt in Besitz von einschlägigem Material gekommen war. Die von der Koalition vorgeschlagene Lösung schieße aber ebenfalls über das Ziel hinaus. Seine Fraktion wolle dazu einen eigenen Antrag einbringen.
Federführend wird der an die Ausschüsse überwiesene Entwurf im Rechtsausschuss beraten. Dort ist für Mittwoch, 10. April 2024, eine öffentliche Anhörung zu dem Gesetzentwurf angesetzt.