Im Maschinenraum des Parlaments : So wird ein Gesetz gemacht
Hunderte Gesetze passieren jede Legislaturperiode den Bundestag, darunter auch die Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes. Ein Blick hinter die Kulissen.
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Es gibt aufregendere Gesetze als das "Zweite Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes". Es ist ein Gesetz, das vor allem für die Fachanwalts- und Richterschaft sowie Verbraucherschutzverbände interessant ist. Damit steht die Reform des KapMuG, so die Abkürzung des Gesetzes, nicht allein. Etliche der Hunderte von Gesetzen, die der Bundestag in jeder Wahlperiode beschließt, sind von solch technischer und komplexer Natur, dass ihre Details nur in der Fachöffentlichkeit von Interesse sein dürften.
Gesetzgebungsmaschine läuft eher auf ruhigen Touren
Es ist aber eines dieser Gesetze, an denen sich die Arbeit des Parlaments exemplarisch studieren lässt. Während große Gesetzesvorhaben - das Heizungsgesetz oder die Cannabisfreigabe - mit viel Tam-Tam diskutiert werden, läuft bei Vorhaben wie der KapMuG-Reform die Gesetzgebungsmaschine im Bundestag eher auf ruhigen Touren. Eine Handvoll Abgeordneter befasst sich intensiv mit so einem Gesetz, feilt an Formulierungen, ringt um Kompromisse, begleitet von einer kleinen, aber engagierten Fachöffentlichkeit. Für die meisten anderen Abgeordneten wird es ein Randthema bleiben.
Wie bei jedem Gesetz steht auch beim KapMuG am Anfang ein Problem. Es geht um die Frage, wie Kapitalanleger, die sich etwa durch falsche Angaben getäuscht fühlen, ihren Schadenersatzanspruch durchsetzen können. Das Musterverfahren soll dafür der schnellen und effizienten Erledigung solcher Rechtsfragen dienen. Allerdings sind in der Ausgestaltung die Interessen von Klägern, Beklagten und Gerichten zu beachten, Abwägungsentscheidungen zu treffen. Es sind politische Fragen, die der Gesetzgeber zu entscheiden hat.
So ganz sicher war sich dieser offenbar bislang nicht. Sowohl das erstmalig 2005 in Kraft getretene KapMuG als auch eine Reform im Jahr 2012 waren befristet. Ohne das Eingreifen des Gesetzgebers wäre das Gesetz ausgelaufen. Diese Situation fand die Ende 2021 angetretene Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP vor. Sie beschloss im Koalitionsvertrag, das KapMuG zu modernisieren. Um sich etwas Zeit zu verschaffen, wurde die Frist zum Auslaufen des Gesetzes zwischenzeitlich bis zum 31. August 2024 verlängert.
Der Referentenentwurf: Im Ministerium geht es los
Dann rollt die Reform an. Wie die meisten Gesetzentwürfe entsteht der Entwurf eines "Zweiten Gesetzes zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes" in einem Ministerium, im Bundesministerium der Justiz von Minister Marco Buschmann (FDP). Ministerien sind mit ihren Themen seit Jahren betraut und halten zur Fachöffentlichkeit Kontakt. Das BMJ führte 2019 etwa eine Praxisbefragung zum KapMuG durch. Auf deren Ergebnisse bezieht sich das Ministerium im Ende Dezember 2023 veröffentlichten Referentenentwurf. Nachdem Verbände zu diesem ersten Aufschlag der Regierung Stellung genommen haben, beschließt das Kabinett am 13. März 2024 den noch an einigen Stellen geänderten Regierungsentwurf.
Normalerweise würde ein Gesetzentwurf zunächst in den Bundesrat gehen. Doch in diesem Fall verweist die Bundesregierung auf die Eilbedürftigkeit des Vorhabens und leitet den Entwurf auch direkt an den Bundestag weiter. Die Länderkammer reicht ihre Änderungsvorschläge später nach.
Zuleitung ans Parlament: Der Bundestag übernimmt
Damit übernimmt nun offiziell der Bundestag. Tatsächlich beginnt die Arbeit dort früher: Luiza Licina-Bode und ihre Mitarbeitenden haben sich schon mit dem Referentenentwurf näher befasst. Die Sozialdemokratin ist in der Arbeitsgruppe Recht der SPD-Fraktion für den finanziellen Verbraucherschutz zuständig und damit auch fürs KapMuG.
Die 51-Jährige trägt mit ihren Mitberichterstatterinnen, Manuela Rottmann (Grüne) und Katharina Willkomm (FDP), nun dafür Sorge, dass der Entwurf durchs Parlament kommt. Das bedeutet Verantwortung: "Die Fraktion verlässt sich auf mich und die Referentinnen und Referenten, dass wir uns das Gesetz gut anschauen und unsere Position dazu vortragen", so die Abgeordnete. Ebenso vertraue sie auch ihren Kolleginnen und Kollegen, die sich mit Themen befassten, in denen sie nicht involviert ist
Auch in der CDU/CSU-Fraktion beschäftigt man sich mit dem KapMuG. Dort begleitet Martin Plum (CDU) das Vorhaben. Auch er trage als Berichterstatter die "Hauptverantwortung" in der Fraktion, berichtet er. Plum, der als Arbeitsrichter tätig war, kennt sich mit der Materie aus, in seiner Arbeitsgruppe ist er für das Thema Zivilprozess zuständig. Plum und sein Büro prüfen den Entwurf und die Stellungnahmen ebenfalls, machen sich ein erstes Bild und bewerten das Vorhaben politisch.
1. Lesung: Das Feld wird abgesteckt
Die Ergebnisse dieser Auswertungen werden am 11. April 2024 öffentlich. Im Bundestag steht die erste Lesung des Gesetzentwurfs an. Bundesjustizminister Buschmann betont, man wolle die "bestehenden Instrumente verstetigen und verbessern", die Verfahren sollen beschleunigt und Anlagerkultur sowie Anlagestandort gestärkt werden.
Plum zeigt sich in der Debatte skeptisch. Das KapMuG habe bislang die Erwartungen nicht erfüllt, meint der Christdemokrat, und will das Gesetz weiter befristet wissen. Zudem stört er sich daran, dass Parallelverfahren - anders als bisher - nicht mehr ausgesetzt werden sollen. Das führe eher zu einer "Mehrbelastung statt zu einer dringend nötigen Entlastung der Justiz".
Auch Licina-Bode sieht diese von Buschmann gelobte Neuerung kritisch, darauf müsse noch einmal "besondere Aufmerksamkeit" gerichtet werden, sagt sie in der Debatte. Noch ein Punkt ist ihr wichtig für die anstehenden Beratungen: Klagende Verbraucherinnen und Verbraucher sollten die Herausgabe von Beweismitteln verlangen können. Mit diesen und weiteren Punkten steckt die Sozialdemokratin einen ersten Rahmen für die koalitionsinternen Verhandlungen ab.
Anhörung im Ausschuss: Sachverständige nehmen Stellung
Der Entwurf wird an den Rechtsausschuss überwiesen. Die 39 Mitglieder des Gremiums beraten federführend unter anderem alles, was das Bundesjustizministerium produziert. Weil die Zeit drängt, wird umgehend eine Anhörung beschlossen. Die Anhörung will vorbereitet werden. Dazu suchen und benennen die Fraktionen Sachverständige. Die eingehenden Stellungnahmen werden ausgewertet. Die Berichterstatter und Berichterstatterinnen müssen zudem klären, welche Themen sie in der Anhörung in den Vordergrund rücken wollen. "Wir haben uns beim KapMuG dafür entschieden, sowohl die anwaltliche als auch die richterliche Perspektive einzubringen", berichtet beispielsweise Plum. Unter anderem benennt die Fraktion darum einen erfahrenen Richter als Sachverständigen.
Die Anhörung ist technisch und kompliziert. Im Ergebnis gibt es kritische Hinweise und Ratschläge für die Berichterstatterinnen der Koalition. Licina-Bode lobt das Engagement der Sachverständigen, die sich neben ihrer hauptamtlichen Tätigkeit mit ihren Perspektiven im Bundestag einbrächten: “Erfolgreiche Politik für die Praxis kann nur aus dem gegenseitigen Austausch zwischen beiden Seiten entstehen.”
Berichterstattergespräche: Jetzt wird verhandelt
Nach der Anhörung sind die Berichterstatterinnen der Koalition gefragt. Sie müssen eine Einigung erzielen. Manchmal dauert das länger, manchmal klappt es nicht. Beim KapMuG läuft es aber. Keine Partei habe das Gesetz auslaufen lassen wollen, berichtet Licina-Bode. Die Frist zum Auslaufen habe die Beratungen entsprechend beschleunigt.
Wo kommen die bisherigen 475 Gesetzesvorhaben her?
In der laufenden Legislaturperiode verteilt sich die Urheberschaft wie folgt:
- Die Bundesregierung brachte bislang 259 Vorhaben ein.
- Aus dem Bundesrat erreichten den Bundestag 43 Vorhaben.
- Aus dem Bundestag wurden 173 Vorhaben eingebracht.
Die aus den Reihen des Bundestages eingebrachten Gesetzesvorhaben verteilen sich wie folgt:
🚦 Die Regierungskoalition brachte 67 Vorhaben ein.
⚫️ Die CDU/CSU-Fraktion kommt auf 31 Vorhaben.
🔵 Die AfD-Fraktion kommt bislang auf 56.
🟣 Die Linke kommt auf 10.
🤝 Initiativen von mehreren Fraktionen bzw. außerfraktionelle gab es bisher 9.
Die Sozialdemokratin trifft sich mit ihren Kolleginnen zu mehreren Berichterstattergesprächen, zwischenzeitlich berichtet sie ihren Kolleginnen und Kollegen in der Arbeitsgruppe über die Fortschritte der Verhandlungen. Zuerst wurden einfache, dann schwierige Punkte geklärt, berichtet die Sozialdemokratin.
Unterstützt werden die Abgeordneten dabei vom Ministerium. Dort werden rechtliche Fragen und Vorschläge geprüft und die finale Einigung in einen Änderungsantrag gegossen, der später im Rechtsausschuss eingebracht wird. Das Ergebnis ist, wie so oft, ein Kompromiss: Eine automatische Aussetzung der Verfahren wird es nicht mehr geben; dafür setzt Licina-Bode ihre Forderung nach einer Beweiserleichterung durch. "Es gehört auch zum parlamentarischen Arbeiten, dass man nicht immer alle seine Punkte durchsetzen kann", so die Abgeordnete.
Die Opposition: Eine Frage der Kapazitäten
Auf Seiten der Opposition geht es nach der Anhörung ruhiger zu. Man überlegt, ob man abwartet, was die Koalition macht, oder eigene Initiativen, etwa einen Änderungs- oder Entschließungsantrag, erarbeitet. "Bei Änderungsanträgen ist das auch eine Frage der Kapazitäten", berichtet Plum. "Wir können nicht auf die Bundesministerien zurückgreifen, um solche Anträge vorzubereiten, sondern müssen das alles in Eigenarbeit leisten."
Beim KapMuG entscheidet sich die Union für einen Entschließungsantrag. Damit solle die Kritik am Entwurf über ein bloßes Nein hinaus begründet werden, erklärt Plum.
Entscheidung im Rechtsausschuss: Der Entwurf wird geändert
In der am 11. Juni beginnenden Sitzungswoche steht dann der Gesetzesbeschluss an. Am Mittwoch wird der Gesetzentwurf samt Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen sowie dem Entschließungsantrag im Rechtsausschuss aufgerufen. In nicht öffentlicher Sitzung stellt die Koalition ihre wesentlichen Änderungen vor, die Opposition nimmt Stellung.
Die Aussprache ist kurz und sachlich. Dann lässt die Ausschussvorsitzende Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) abstimmen. Änderungsantrag und Entwurf passieren das Gremium, die Vorlage der Union findet keine Mehrheit. Das Ausschusssekretariat erstellt im Anschluss eine Beschlussempfehlung: Die Drucksache fasst die wesentlichen Inhalte der Beratung und der Änderungen zusammen.
2. und 3. Lesung: Die Koalition setzt sich mit ihrer Mehrheit durch
Mit der Mehrheit der Koalition gegen die Stimmen von Union und Linken sowie Enthaltung der AfD passiert der Entwurf am nächsten Tag dann den Bundestag nach zweiter und dritter Lesung - drei Monate sind da seit Kabinettsbeschluss vergangen. Plum zeigt sich vom Ergebnis insgesamt nicht überzeugt. Allerdings seien einige Änderungen im Sinne der Union gewesen - so ist zwar keine Befristung im KapMuG mehr vorgesehen, dafür eine Evaluierung festgeschrieben.
Ein Erfolg der Union? "Ob das am Ende auf uns zurückzuführen ist oder auf eigene Einsicht bei der Koalition, wird man nie abschließend sagen können", meint der Christdemokrat. Er habe aber insgesamt auch aus anderen Gesetzgebungsverfahren den Eindruck gewonnen, dass man durch die Benennung von Sachverständigen und das Hervorheben bestimmter Themen "die Koalition zu bestimmten Änderungen bewegen könne".
Licina-Bode hat nach Abschluss des KapMuG schon größere Pläne. Sie sieht die Harmonisierung des kollektiven Rechtsschutzes als eine der wichtigsten Aufgaben für die Zukunft - für die nächste Legislaturperiode.
Derweil geht die vom Bundestag beschlossene KapMuG-Reform ihren Weg. Der Bundesrat lässt den nicht zustimmungspflichtigen Entwurf in seiner Sitzung am 5. Juli ohne Debatte passieren, am 19. Juli wird er als eines von 272 Gesetzen in dieser Legislaturperiode verkündet - tags darauf tritt es in Kraft.