Dagmar Schmidt im Interview : "Das Rentenpaket II ist ein starkes Signal"
Die SPD-Sozialexpertin erläutert, warum eine Haltelinie für das Rentenniveau absolut richtig ist und warum es wichtig ist, jetzt noch die Betriebsrente zu stärken.
Frau Schmidt, das Rentenpaket II wurde von FDP-Fraktionschef Christian Dürr noch im Mai als "Jahrhundertreform" bezeichnet. Haben Sie Sorge, dass der nun angekündigte "Herbst der Entscheidungen" durch die FDP dem Projekt doch noch einen Strich durch die Rechnung macht?
Dagmar Schmidt: Nein, denn das Kabinett hat das Rentenpaket beschlossen, und deswegen gehe ich davon aus, dass wir als Ampel-Koalition es im Bundestag auch beschließen.
Das Rentenpaket II ist nur ein Baustein einer zuverlässigen Altersvorsorge, sagt die SPD-Sozialexpertin Dagmar Schmidt.
Würden Sie das Rentenpaket II auch mit solchen Superlativen beschreiben? Einige Kritiker nennen es im Gegenzug "einen kleinen Wurf".
Dagmar Schmidt: Ich bin mit Superlativen grundsätzlich vorsichtig. Aber: Wir senden ein sehr deutliches Signal der Sicherheit an jene, die heute arbeiten und wissen sollen, dass sie sich auf die gesetzliche Rente verlassen können. Denn für die allermeisten Menschen ist sie die Grundlage des Einkommens im Alter. Über einen langen Zeitraum bis 2040 geben wir den Menschen die Sicherheit, dass die Renten weiter mit den Löhnen steigen. Das ist in Zeiten, in denen große Angriffe auf den Sozialstaat gefahren werden, nicht Nichts.
Die 2018 beschlossene Haltelinie für das Rentenniveau von 48 Prozent soll über 2025 hinaus gelten. Sozialverbände argumentieren, auch 48 Prozent seien für eine armutsfeste Rente zu wenig.
Dagmar Schmidt: Zuerst orientiert sich die Rente an dem, was ich während meines Arbeitslebens verdient und eingezahlt habe. Und deswegen ist unser erster Ansatzpunkt, für gute Löhne zu sorgen. Ich kann das Rentenniveau noch so hochschrauben: Wenn ich einen schlechten Lohn gehabt oder lange Teilzeit gearbeitet habe, wird auch ein höheres Rentenniveau nicht zu einer armutsfesten Rente führen. Für die SPD gilt deshalb: Gute Arbeit ist gut bezahlte Arbeit; Teilzeitbeschäftigte müssen die Möglichkeit haben, auch Vollzeit zu arbeiten, es braucht eine gute Kinderbetreuung. All das sind zentrale Punkte, die die Chance auf eine gute Rente deutlich erhöhen.
Wie sinnvoll ist überhaupt die Konzentration der Debatte auf das Rentenniveau, denn das bezieht sich auf sogenannte Standard-Rentner, die 45 Jahre den Durchschnittslohn verdient haben? Das trifft auf Millionen Menschen, vor allem Frauen und ostdeutsche Beschäftigte, gar nicht zu.
Dagmar Schmidt: Das Rentenniveau ist wichtig, um deutlich zu machen: Die Renten sind an die Lohnentwicklung gekoppelt - und damit von der Wohlstandsentwicklung eben nicht abgekoppelt. Was die Frage von niedrigen Löhnen angeht: Darum kümmern wir uns, indem wir den Mindestlohn und die Tariflöhne im Blick haben, der Mindestlohn wurde bereits erhöht und am Tariftreuegesetz arbeiten wir mit Hochdruck.
Ohne Beitragssteigerungen wird es jedenfalls nicht gehen, dagegen laufen vor allem Wirtschaftsverbände Sturm, die diese zur Hälfte mittragen.
Dagmar Schmidt: Natürlich klingen niedrigere Rentenbeiträge zunächst verlockend. Aber das bedeutet als erstes: Ich muss privat vorsorgen. Private Vorsorge ist dann aber nicht mehr paritätisch, denn dafür zahlt der Arbeitgeber nichts mehr, außer ich habe eine gute Betriebsrente. Das ist am Ende nicht billiger. Wir wollen nicht, dass die Renten sinken und mit den von uns kalkulierten Beitragssätzen ist es auch machbar. Die Rentenbeiträge gehen bei all unseren Kalkulationen auch nicht durch die Decke.
Seit den Reformen von 2001 sinkt das Rentenniveau, als Beteiligung der Rentner am demografischen Wandel. Sind die Haltelinien so etwas wie eine Abkehr von dieser Idee?
Dagmar Schmidt: Es geht um das Festlegen einer Mindesthöhe, die signalisiert: Bestimmte Standards werden in unserer Gesellschaft nicht unterschritten, ein Grundsatz an sozialem Zusammenhalt ist garantiert. Wenn wir eine sehr gute Arbeitsmarktlage haben oder uns Fachkräftezuwanderung gut gelingt, wenn wir das Arbeitspotenzial von Frauen noch stärker nutzen als bisher, dann kann das Rentenniveau auch wieder über 48 Prozent liegen.
Die Lücke sollte mit privater Vorsorge gefüllt werden, mit bekanntlich mäßigem Erfolg. Für Geringverdiener ist es schwer, angesichts steigender Kosten allein für das Wohnen zusätzlich vorzusorgen.
Dagmar Schmidt: Die gesetzliche Rente ist häufig allein nicht ausreichend, um den gewohnten Lebensstandard auch im Alter zu sichern. Für uns ist es deshalb sehr wichtig, die Betriebsrente zu stärken. Sie ist wirklich die starke zweite Säule der Vorsorge. Betriebsrenten müssen nicht nur von einem selber getragen werden, sondern werden ebenfalls paritätisch finanziert. Dort kann man in großen Kollektiven sehr viel bessere Ergebnisse erzielen, als wenn jeder für sich selbst einen Versicherungsvertrag abschließt. Betriebsrenten sind auch für Geringverdiener eine gute Chance, ihre gesetzliche Rente aufzubessern. Daran arbeiten wir.
Die größte Herausforderung, der Renteneintritt der Babyboomer, erreicht bald seine Spitze. Hätte das Generationenkapital, die aktienbasierte Finanzspritze für die Rentenversicherung, nicht schon viel früher angelegt werden müssen?
Dagmar Schmidt: Insgesamt steht unser Rentensystem finanziell gut dar. Die Beiträge werden auch nicht ins unermessliche steigen. Man hätte aber auch, wie andere Länder das gemacht haben, sehr viel früher den Beitragssatz punktuell ansteigen lassen können, um vorbereitet zu sein. Wir waren in der Vorsorge nicht so gut wie andere Länder und müssen das jetzt nachholen.
In diesem Zusammenhang wird gern auf Schweden oder Österreich verwiesen.
Dagmar Schmidt: Das ist aber oft ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen. Gerade beim österreichischen System wird oft vergessen, dass man dort mindestens 15 Jahre einzahlen muss, um überhaupt einen Anspruch zu haben. Deswegen können wir nicht einfach sagen, wir machen es jetzt so wie in Österreich.
Kann die Aktienrente die gesetzliche Rentenversicherung retten? Alisha Mendgen hält sie eigentlich für ein gutes Mittel,für Wolfgang Mulke hat die Idee einige Haken.
In der Beratung über das Rentenpaket II der Koalition fordert die Union die FDP im Bundestag zum Widerstand auf – doch der große Knall bleibt aus.
Das Rentenpaket II fixiert die Höhe des Rentenniveaus und führt eine teilweise aktienbasierte Finanzierung der Rentenkasse ein. Kritiker fordern weitere Reformen.
Nun werden Ideen für eine große Rentenreform von vielen Seiten schon seit Jahren diskutiert. Der Sachverständigenrat hat unter anderem eine Dynamisierung des Renteneintrittsalters abhängig von der steigenden Lebenserwartung vorgeschlagen.
Dagmar Schmidt: Das Renteneintrittsalter entlang Lebenserwartung auszugestalten, trifft ganz besonders diejenigen hart, die eine deutlich geringere Lebenserwartung haben, also vor allem Menschen in geringen Einkommensgruppen, die oft harte Arbeit leisten. Menschen mit geringem sozioökonomischem Status haben bei uns eine deutlich geringere Lebenserwartung als in anderen Industrienationen. Dafür sollten wir uns schämen und ihnen nicht noch weiter die Renten kürzen.
Neu im Spiel ist das private Altersvorsorgedepot, an dem das Bundesfinanzministerium arbeitet, eine ebenfalls staatlich geförderte Anlagemöglichkeit ohne Beitragsgarantie aber mit mehr Wahlfreiheit, mehr Risiko, mehr Rendite. Für wie notwendig halten Sie diese Pläne?
Dagmar Schmidt: Die SPD hat nichts gegen private Vorsorge, aber man muss schon sehr genau prüfen, wie viel Steuergeld und Subventionen dort reingesteckt werden. Wer privat vorsorgen möchte, muss sich darauf verlassen können, dass er ein gutes Produkt bekommt. Wir wissen inzwischen, dass gerade in der Anfangszeit der Riester-Rente viele Produkte verkauft worden sind, die sich am Ende nicht so gut auszahlen. Unsere gesetzliche Rentenversicherung als Generationenvertrag hat uns dagegen bisher durch alle Höhen und Tiefen dieses Landes sicher begleitet. Es ist ein System, das sehr gut funktioniert, obwohl es schon zigmal für gescheitert erklärt wurde. Die Rentenversicherung zahlt ja nicht nur monatlich eine bestimmte Rente aus, sie versichert die Beschäftigten im Fall von Erwerbsminderung, sie versichert Ehepartner und Reha-Ansprüche für Kinder, die ziemlich gut sind. Dieser ganzheitliche Ansatz ist in anderen Versicherungsmodellen so nicht abgebildet.