Eva Högl zur Wehrpflichtdebatte : "Die Verteidigung unserer Freiheit ist eine Angelegenheit aller"
Die Wehrbeauftragte des Bundestages Eva Högl hält eine Rückkehr zur alten Wehrpflicht für unrealistisch. Sie setzt auf mehr Freiwillige in der Bundeswehr.
Frau Högl, als Sie im Mai 2020 das Amt der Wehrbeauftragten übernahmen, mahnten Sie an, über die ausgesetzte Wehrpflicht müsse noch einmal diskutiert werden. Das stieß jedoch auf wenig Gegenliebe. Fühlen Sie sich angesichts der von Verteidigungsminister Boris Pistorius initiierten Diskussion bestätigt?
Eva Högl: Ich habe es damals als einen Fehler bezeichnet, dass die Wehrpflicht ausgesetzt wurde. Jetzt kommt Bewegung in die Debatte. Das begrüße ich ausdrücklich. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist sehr hartnäckig und schlägt ein Gesellschaftsjahr vor, das bei der Bundeswehr oder im sozialen, ökologischen oder kulturellen Bereich absolviert werden kann. Ich nehme wahr, dass man sich verstärkt darüber Gedanken macht, wie die Bundeswehr genügend Personal bekommen kann. Dazu gehört auch, dass die Diskussion über die Verteidigung unserer Demokratie vor dem Hintergrund des russischen Krieges gegen die Ukraine in der Mitte unserer Gesellschaft platziert wird.
Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, während eines Truppenbesuchs beim Objektschutzregiment "Friesland" der Luftwaffe im Juni 2022.
Im Frühjahr 2011 verzichtete der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg erstmals auf die Einziehung von Wehrpflichtigen und wenig später setze der Bundestag die Wehrpflicht per Gesetz aus. Wehrpflichtige können nur noch im Verteidigungsfall und im Spannungsfall einberufen werden. Den Spannungsfall müsste der Bundestag laut Grundgesetz aber erst mit Zweidrittelmehrheit beschließen. War es ein Fehler, dass der Gesetzgeber die Hürden für eine Reaktivierung der Wehrpflicht, die ja weiterhin im Grundgesetz verankert ist, so hoch gelegt hat?
Eva Högl: Im Jahr 2011 war die Welt eine andere als heute. Wir waren von Freunden umgeben und hatten die berechtigte Hoffnung, gemeinsam auch mit Russland eine dauerhaft friedliche Weltordnung gestalten zu können, die von Verständigung und Abrüstung geprägt ist. Mit der Annexion der Krim 2014 durch Russland änderte sich die Lage. Zu kritisieren ist, dass die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, ohne ein tragfähiges Konzept für die Personalgewinnung der Bundeswehr zu haben. Das hat zu sehr großen Schwierigkeiten geführt. Dass es so hohe Hürden für das Einziehen von Wehrpflichtigen gibt, ist prinzipiell richtig und nicht zu kritisieren. Auf die geänderte Sicherheitslage muss aber jetzt reagiert werden. Deshalb halte ich es für richtig, dass der Verteidigungsminister verschiedene Wehrpflichtmodelle prüfen lässt. Er blickt beispielsweise nach Schweden. Dort werden zwar alle jungen Männer und Frauen eines Jahrganges gemustert. Gezogen werden diejenigen, die wollen und geeignet sind.
Schweden hatte die Wehrpflicht im Jahr 2010 ausgesetzt und 2017 nach ähnlichen Personalproblemen wie in Deutschland in dieser neuen Form wieder eingeführt. Konnte die schwedische Armee ihre Probleme damit lösen?
Eva Högl: In Schweden wird dieses Modell als sehr positiv bewertet. Es herrscht trotz der Wehrpflicht auf dem Papier ein hohes Maß an Freiwilligkeit. Die Schweden wollen den Anteil der Wehrpflichtigen zukünftig noch steigern und ihr Modell auch auf den zivilen Sektor ausweiten.
In Schweden gilt die Wehrpflicht auch für Frauen. In Deutschland ist dies im Grundgesetz ausdrücklich untersagt. Sollte das Grundgesetz an dieser Stelle geändert werden?
Eva Högl: Ich halte es zumindest für veraltet, nur junge Männer in den Blick zu nehmen. Für unsere Verteidigung brauchen wir Männer und Frauen gleichermaßen in der Bundeswehr. Beim Frauenanteil von rund 13 Prozent in der Bundeswehr sehe ich ein deutliches Steigerungspotenzial. Grundsätzlich setze ich zunächst auf Freiwilligkeit. Das gilt auch für den zivilen Bereich. Es sollten gute und attraktive Angebote gemacht werden. Im Bundesfreiwilligendienst müssen die jungen Menschen fast noch eigenes Geld mitbringen, um sich das leisten zu können.
Welches Personal die Bundeswehr braucht, lässt sich auch in ihrem Jahresbericht nachlesen. Der Truppe fehlt es unter anderem an Hubschrauberpiloten, Medizinern oder technischen Spezialisten. Da helfen Wehrpflichtige aber kaum weiter.
Eva Högl: Mit einer Wehrpflicht oder einem Gesellschaftsjahr lassen sich die aktuellen massiven Personalprobleme der Bundeswehr nicht lösen. Schon gar nicht kurzfristig. Deshalb gehört zu den anstehenden Problemen nicht nur die schnelle Gewinnung von Personal, sondern auch langfristige Personalbindung und -entwicklung. Die Bundeswehr steht in einem knallharten Wettbewerb der Arbeitgeber um die besten Köpfe. Deshalb müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Dazu gehören an erster Stelle die materielle Ausstattung und die Infrastruktur. Nur eine gut aufgestellte Bundeswehr ist ein attraktiver Arbeitgeber.
Ist dann aber die Diskussion nicht verfehlt? Politisch scheint die Wehrpflicht nicht mehrheitsfähig, wäre kaum zu bezahlen und es fehlen die Kasernen und die Ausrüstung.
Eva Högl: Natürlich soll die Diskussion über die Wehrpflicht nicht zu einer Gespensterdebatte werden. Eine Wehrpflicht muss vor allem militärisch begründet sein. Es muss geklärt werden, wie viel und welches Personal die Bundeswehr für ihre vielfältigen Aufträge braucht. Niemand will zur alten Wehrpflicht zurück. Wir brauchen ein neues und intelligentes Konzept unter der Prämisse "so viel Freiwilligkeit wie möglich und nur so viel Zwang wie nötig". Aber die Debatte dient auch dazu, in der Gesellschaft das Bewusstsein zu stärken, dass die Verteidigung unserer Freiheit eine Angelegenheit aller ist.
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Verteidigungsminister Pistorius hat gefordert, die Bundeswehr müsse "kriegstüchtig" werden. Plant er denn eine Erhöhung der Truppenstärke von 203.000 Soldaten, die bis 2031 erreicht werden soll?
Eva Högl: Bislang wird an diesem Ziel festgehalten. Obwohl sich alle Beteiligten einig sind, dass es unrealistisch ist, dies zu erreichen, wenn die Personalgewinnung und -bindung nicht deutlich verbessert wird. Es ist eine enorme Kraftanstrengung, den aktuellen Bestand von 181.000 Soldatinnen und Soldaten zu halten. Der Minister hat vor Weihnachten die Ergebnisse der Task Force Personal vorgelegt bekommen. Die vorgeschlagenen 60 Maßnahmen sind sehr sinnvoll und richtig. Sie sollten nun zügig umgesetzt werden.