Der Untergang der Weimarer Republik : Den Demokraten fehlte eine Strategie
Jens Bisky hat mit „Die Entscheidung“ ein großartiges Buch über die letzten Jahre der ersten deutschen Demokratie vorgelegt.
Großartig", "fulminant", "packend", "quellenreich", "realistisch", "anschaulich", "profund", "detailreich und spannend" - das deutsche Feuilleton überschlägt sich aktuell mit Lobeshymnen auf das neue Buch des Kulturwissenschaftlers und Historikers Jens Bisky. Und dies zu Recht! Bevor der Autor begann, Sachbücher zu schreiben, arbeitete er viele Jahre als Feuilletonredakteur der "Süddeutschen Zeitung". Davon profitiert der Leser, denn Bisky schreibt nicht nur allgemein verständlich, sondern auch unterhaltsam. Zudem liest sich sein neuestes Werk mitunter wie ein historisches Begleitbuch zu den Romanen Volker Kutschers.
Warum die Tragödie noch längst nicht auserzählt ist
Nach Büchern über Preußen veröffentlichte Bisky das Kult-Buch "Berlin. Biographie einer Stadt". Fünf Jahre später folgt nun sein Werk über die letzten Jahre der Weimarer Demokratie. Obwohl über das Endspiel des deutschen Parlamentarismus gegen Hitlers NS-Bewegung schon einige hundert Bücher veröffentlicht wurden, ist die Tragödie noch längst nicht auserzählt. Dabei gibt auch Bisky zu, dass die letzte Phase der Weimarer Republik "zu den am besten dokumentierten Perioden der deutschen Geschichte" gehört. Warum soll man also das opulente Buch lesen, und was macht "Die Entscheidung" so bedeutsam?
Jens Bisky:
Die Entscheidung.
Deutschland 1929 bis 1934.
Rowohlt Berlin,
Berlin 2024;
640 Seiten, 34,00 €
Wer die Gegenwart besser verstehen will, sollte die eigene Geschichte kennen. Mit profundem Hintergrundwissen fällt es leichter, aktuelle politische Entwicklungen zu bewerten. Bisky betont, dass "die Unordnung der Gegenwart im Spiegel der damaligen Kämpfe und Katastrophen besser" verstanden werden kann. Die Unterschiede und mögliche Parallelen herauszuarbeiten ist wichtig, da seit dem 100. Jahrestag der wirtschaftlichen und politischen Krise von 1923 und der zunehmenden Erfolge der extremen Rechts- und Linksparteien wieder viel von "Weimarer Verhältnissen" die Rede ist.
Bisky verzichtet darauf, Gemeinsamkeiten zu den heutigen parteipolitischen Machtkämpfen darzulegen. Stattdessen zeichnet er den fünfjährigen Siegeszug der NSDAP durch die Institutionen auf der lokalen, regionalen und der Reichsebene nach. Am Ende stand der Zusammenbruch des Parteiensystems und das Scheitern der Republik. "An Warnungen vor der faschistischen Gefahr fehlte es nicht. Zum Dritten Reich führten viele kleine und große Entscheidungen - nicht zuletzt die zeittypische Erwartung, die eine, alles umwälzende Entscheidung stünde unmittelbar bevor". Das Resümee des Autors: Die erste deutsche Demokratie fiel nicht, weil es zu wenige Demokraten gab, sondern weil sie keine Strategie hatten.
Der Tod Gustav Stresemanns als Anfang vom Ende
Bisky beginnt sein Buch mit dem Tod Gustav Stresemanns am 3. Oktober 1929, der das Land als Reichskanzler durch das Krisenjahr 1923 gesteuert hatte. Mit diesem Datum begann die "Agonie der Republik", notiert Bisky und knüpft an Sebastian Haffner an, der dieses Datum als "Anfang vom Ende" bezeichnet hatte. Gleichwohl bezweifelt Bisky, dass selbst Stresemann "länger wichtigste Kreise des Bürgertums im Lager der Republik" hätte halten können. Zuletzt sei ihm dies nur noch mit Rücktrittsdrohungen geglückt.
Im ganzen Land wuchs die Unruhe, sogar Angst vor einem Bürgerkrieg, Inflation und Wirtschaftskrise, über drei Millionen Menschen waren arbeitslos, rechte Parteien und nationalistische Verbände attackierten die Verfassung, die Auslandsverschuldung stieg immer weiter und es war nicht ersichtlich, wie das Defizit im Reichshaushalt hätte ausgeglichen werden können.
Weitere Bücher zum Thema
Philipp Austermann schildert in "Ein Tag im März" das Ende der Weimarer Republik.
Der "Welt"-Journalist Sven Felix Kellerhoff analysiert Ursachen, Verlauf und Scheitern des Hitler-Putsches vom 8./9. November 1923.
Trotz Hyperinflation und Angriffen von Extremisten meistert die junge Weimarer Republik das Krisenjahr. Gleich drei Neuerscheinungen behandeln das "Jahr am Abgrund".
Nüchtern listet Bisky die einzelnen Mosaiksteine auf, die zum Untergang der Republik führten. Beispielhaft nennt er die Schulden der deutschen Landwirte, die sich zwischen 1924 und 1928 mehr als verdreifachten. Es kam zu immer mehr Zwangsversteigerungen: Wurden in Schleswig-Holstein 1925 rund 210 Hektar versteigert, waren es im Jahr 1928 mit 2.913 Hektar bereits mehr als zehnmal so viel. 1932 kamen 4.145 Hektar unter den Hammer. "Im Juli dieses Jahres wählten 51 Prozent der Menschen dort die NSDAP."
Die Nationalsozialisten wollten "strikt legal" an die Macht
Ungeachtet der aufgeheizten Atmosphäre legten die Nationalsozialisten Wert darauf, "strikt legal" an die Macht zu gelangen. Sie wollten sie nicht mit einem Putsch, einem Marsch auf Berlin erobern, "sondern in einer faschistischen Koalition aus alten Eliten und jungen Kämpfern, unterstützt von Militaristen, Unternehmern, Großagrariern, nationalistisch entflammten Pfarrern, getragen von Millionen Wählern".
Hitlers Kanzlerschaft war kein Betriebsunfall - dem 30. Januar 1933 gingen viele kleine und große Erfolge der NSDAP an Universitäten, in Vereinen, Kommunen und auf der Straße voraus. Hitler sei es gelungen, eine Organisation aufzubauen, "deren Schlagkraft Konkurrenten auf der Rechten wie linke Gegner in Erstaunen versetzte". Das Ende der parlamentarischen Republik und des Rechtsstaates war "für alle sichtbar, die sehen wollten".