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Kriege und ihre Ursachen : Die ewige Frage nach dem Warum
Ist die Menschheit zum Krieg verdammt oder lässt er sich überwinden? Zwei Publikationen kommen zu unterschiedlichen Antworten.
Warum Krieg? Diese Frage ist in der Geschichte unzählige Male gestellt und ganz unterschiedlich beantwortet worden. Aktuell stellt sie sich mit dem Blick auf die Ukraine oder Gaza erneut. Ist die Menschheit prinzipiell nicht fähig, Frieden zu halten?
Der britische Historiker Richard Overy will dieser Frage erneut auf den Grund gehen. Und wer wäre besser geeignet, als ein Historiker, dessen wissenschaftliches Schaffen seit mehr als 40 Jahren von der Erforschung des Zweiten Weltkriegs und damit des katastrophalsten kriegerischen Konfliktes in der Menschheitsgeschichte geprägt ist? Doch allein die Sicht des Historikers wird der Sache eben nicht gerecht. Sein Buch, so räumt Overy gleich im ersten Satz ein, sei "eine Unverschämtheit". Schließlich seien naturwissenschaftlich geprägte Disziplinen wie die Anthropologie, Ethnologie, Ökologie, Psychologie, Humanbiologie und Archäologie deutlich häufiger als Historiker beteiligt, "wenn es um Antworten auf die große Frage geht, warum Menschen Kriege führen".

Richard Overy:
Warum Krieg?
Rowohlt Berlin,
Berlin 2024;
368 S., 28,00 €
Diesem Eingeständnis folgend, könnte der Leser lieber gleich zu dem Buch "Die Evolution der Gewalt" greifen, das einen interdisziplinären Ansatz verfolgt. Der Archäologe Harald Meller, der Historiker und Literaturwissenschaftler Kai Michel sowie der Verhaltensforscher und Evolutionsbiologe Carel van Schaik haben sich zusammengeschlossen und sich auf die Spuren des Krieges begeben- und dabei auch einen Blick auf unsere nächsten Verwandten im Tierreich geworfen.
Krieg ist nicht genetisch in der Natur des Menschen verankert
Die gewinnbringende und spannende Lektüre liefert zumindest eine tröstliche Antwort. Nein, die Natur hat den Menschen genetisch nicht zum Krieg verdammt. Im Gegenteil: "Generell haben Menschen Schwierigkeiten damit, ihre Artgenossen zu töten - und zwar mehr noch, als das bei anderen Arten der Fall ist", lautet das Urteil. Im Vergleich zu den Schimpansen sei der Homo sapiens eine "doch recht nette Affenart". Das klingt ein wenig flapsig, wird aber wissenschaftlich hergeleitet.
Vor rund 300.000 Jahren beginnt die Geschichte des Homo sapiens. Und für rund 99 Prozent seiner Geschichte führt er ein vergleichsweise friedliches Leben als nomadischer Jäger und Sammler. Vereinfacht ausgedrückt, fehlt es an ausreichend Gründen und Gelegenheiten für ausufernde gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den kleinen Gruppen von vielleicht 25 Menschen, wenn sie denn mal aufeinander treffen. Sie besitzen auch wenig, um das es sich lohnen würde, zu kämpfen.
„Krieg hat in der Geschichte der Menschheit eine lange Geschichte - und leider auch eine Zukunft.“
Dieser Zustand ändert sich erst mit dem Ende der letzten Eiszeit und der einsetzenden Sesshaftigkeit der Menschen in der Jungsteinzeit. Ackerbau und Viehhaltung lösen das Jagen und Sammeln ab, die Gemeinschaften wachsen, Land wird zum Besitz erklärt, die ersten Hochkulturen und staatlichen Gebilde entstehen - mit machtvollen politischen Führern, die ihre Völker in Kriege um Territorien und Ressourcen treiben. Es ist "eine entscheidende Zäsur in der Evolution der Gewalt". Jetzt gibt es Dinge, um die es sich scheinbar zu kämpfen lohnt. Bis zur Antike habe sich "der Komplex des Krieges in seinen entscheidenden Komponenten ausgebildet". Bis heute seien lediglich "immer innovativere Techniken" entwickelt worden: Vom Schießpulver bis zur Atombombe und Cyberattacken.
Eine kulturelle Erfindung vor rund 10.000 Jahren
Meller, Michel und van Schaik erkennen im Krieg in erster Linie eine kulturelle Erfindung, etwas, das die Menschen vor etwa 10.000 Jahren erlernt und seitdem gepflegt haben. Und so, wie der Krieg erlernt worden sei, könne man ihn eben auch überwinden - so wie beispielsweise die Sklaverei. Auch wenn Kriege "auf absehbare Zeit nicht verschwinden" würden, bestehe “aus einer evolutionären Perspektive kein Anlass für Fatalismus.”
All diese Befunde und Argumente kennt und benennt Richard Overy in seinem ebenfalls sehr lesenswerten Buch. Seinem eigenen Diktum folgend, greift auch er nicht nur auf die Historie zurück. Der größte Unterschied zwischen beiden Publikationen liegt letztlich in der Bewertung. Und die fällt bei Overy deutlich pessimistischer aus.
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Harald Meller, Kai Michel, Carel van Schaik:
Die Evolution der Gewalt.
Warum wir Frieden wollen, aber Kriege führen. Eine Menschheitsgeschichte.
dtv,
München 2024;
368 S., 28,00 €
Dem Argument, dass die Menschen mehrheitlich eine Aversion gegen das Töten hätten, stellt er gegenüber, dass im Zweiten Weltkrieg rund 100 Millionen Männer aus allen gesellschaftlichen Schichten nach nur kurzer militärischer Ausbildung dazu gebracht worden seien, viele Millionen Artgenossen umzubringen. Die Ansicht, dass der Mensch zum Frieden bestimmt sei, wenn man nur die Ursachen für Kriege erkenne, ignoriere den Umstand, dass diese viel zu divers seien. Und so kommt er zu einem für Historiker wohl typischen Fazit: “Krieg hat in der Geschichte der Menschheit eine lange Geschichte - und leider auch eine Zukunft.”
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