Wenn die Orte der Begegnung weniger werden : Die Kneipe als Hort der Demokratie
Der Demokratie fehlt es an Begegnung, meint der Soziologe Rainald Manthe. Bibliotheken, Schwimmbäder und die Dorfkneipe seien unverzichtbar für die Gesellschaft.
Treffpunkt für unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen: die Kneipe.
Der Stammtisch in der Kneipe um die Ecke als Hort der Demokratie? Das mag zunächst abwegig erscheinen, gilt der Stammtisch doch vielen eher als ein Ort, an dem in alkohol- und rauchgeschwängerter Luft zumeist dumpfe Parolen gedroschen werden. Doch der Stammtisch werde unterschätzt, meint der Soziologe Rainald Manthe. Kneipen seien, so wie auch öffentliche Schwimmbäder, Bibliotheken, Parks, Volkshochschulen oder der öffentliche Nahverkehr, Orte der Begegnung, und der "Demokratie fehlt Begegnung", wie bereits der Titel seines Buches verrät.
Orte, an denen Diversität wahrgenommen werden kann
All diese Orte seien unverzichtbar für den Zusammenhalt in einer Gesellschaft und somit auch für eine funktionierende Demokratie. Weil dort vollkommen unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Ansichten zusammenkommen, in einen Dialog treten oder anderweitig interagieren. Rainald Manthe nennt es die Wahrnehmung von Diversität. Durchaus kritisch blickt er auf die digitale Welt. Soziale Medien seien zwar nicht per se zu verdammen, aber dort würden sich meist die lautesten Stimmen durchsetzen. Ähnliches gelte auch für TV-Talkshows. Die analoge Begegnung von Menschen sei nicht durch eine digitale zu ersetzen.
Gut ist es um diese "Alltagsorte des sozialen Zusammenhalts" allerdings nicht bestellt. Während der Corona-Pandemie hätten etwa 30 Prozent aller Kneipen Deutschlands schließen müssen. Und der Sparzwang in vielen Kommunen führe vermehrt zur Schließung öffentlicher Einrichtungen.
Rainald Manthe:
Demokratie fehlt Begegnung.
Über Alltagsorte des sozialen Zusammenhalts.
Transcript,
Bielefeld 2024;
154 S., 22,00 €
So richtig die Beobachtungen und Schlüsse Manthes auch sind, dem Umstand, dass Begegnungen zwischen Menschen in öffentlichen Einrichtungen eben nicht zwangsläufig zu mehr Verständigung führen, räumt er zu wenig Raum ein. Trotzdem hat er einen klugen Beitrag in die Debatte über die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft eingeworfen.
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