Corona und die Folgen : "Eine Pandemie ist kein rein medizinisches Phänomen"
Der Virologe Hendrik Streeck fordert in seinem Buch "Nachbeben" eine Aufarbeitung der Corona-Pandemie und eine scharfe Trennung von Wissenschaft und Politik.
Der Initiator der Heinsberg-Studie über den Corona-Ausbruch im rheinischen Gangelt will "vermeintlich unversöhnliche Positionen wieder auf den Pfad einer offenen Diskussion führen". Streeck kritisiert die Rolle der Wissenschaft in der Pandemie. Politisches Handeln dürfe sich nicht allein auf "Expertenmeinungen der vermeintlichen Mehrheit" stützen, gewonnene Erkenntnisse müssen immer wieder hinterfragt werden.
Streeck: Fehler und Versäumnisse transparent machen
Für den Autor steht im Vordergrund, was "wir beim nächsten Mal besser machen sollten". "Die Teenager, die Teile ihrer Schulzeit im Lockdown verbracht haben, werden mindestens noch eine, wenn nicht zwei Pandemien erleben." Er fordert eine gründliche Aufarbeitung und die transparente Darstellung von Fehlern und Versäumnissen während der Pandemie. Die Politik solle sich künftig nicht mehr hinter ausgesuchten Fachleuten verstecken; umgekehrt sollten Forscher nicht vorschnell politische Forderungen bedienen. Man brauche eine "scharfe Trennung: Wissenschaftliche Experten beraten, Politiker treffen die Entscheidungen - auch wenn einige Experten dies anders sehen".
Der letzte Halbsatz ist typisch für Streeck: Die eigene Meinung versteckt er hinter Formulierungen, die Differenzen zu den Ansichten von Kollegen nur andeuten. Schon während der Pandemie äußerte sich der Bonner Virologe stets vorsichtig und dramatisierte viel weniger als etwa der heutige Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).
Hendrik Streeck:
Nachbeben.
Die Pandemie, ihre Folgen und was wir daraus lernen können.
Piper,
München 2024;
320 Seiten, 22,00 €
Kooperiert hat er vor allem mit dem damaligen Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), der sich in Nordrhein-Westfalen interdisziplinär beraten ließ. Durch die Expertise aus Ökonomie, Soziologie, Psychologie oder Pädagogik gerieten die Folgen langer Schulschließungen oder die prekäre Lage von Selbstständigen erst ins Blickfeld. Eine Pandemie sei kein rein medizinisches Phänomen, betont Streeck. Sein Fazit: “Die Pandemie ist vorbei, ihre Nachbeben spüren wir bis heute.”
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