Leipziger Autoritarismus-Studie 2024 : Warnung vor einer autoritären Restitution
Die Verfasser der Leipziger Autoritarismus-Studie 2024 sehen die Demokratie vor dem Hintergrund wahrgenommener Polykrisen als "nicht mehr unumstritten" an.
Die Autoritarismusforschung, theoretisch fundiert durch die Frankfurter Schule um Theodor Adorno und Max Horkheimer, hat inzwischen auch im wiedervereinigten Deutschland eine lange Tradition. In den 1990er Jahren initiierte der Bielefelder Soziologe Willhelm Heitmeyer die Erhebungsreihe "Deutsche Zustände", die wertvolle Erkenntnisse zur Stimmungslage in der Bundesrepublik lieferte.
Seit 2002 untersucht das Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universität Leipzig den Grad der Unterstützung für die Demokratie und das Ausmaß der Verbreitung von Ressentiments. Die alle zwei Jahre wiederholte empirische Langzeitbeobachtung dient seither als wichtiges Stimmungsbarometer.
In Krisenzeiten sind Menschen besonders anfällig für Ressentiments
Zwar habe die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen nicht in dem Maße zugenommen, wie die aktuellen Wahlerfolge der AfD vermuten lassen, schreibt das Forschungsteam. Dennoch habe sich eine Partei etabliert, die den "in der Gesellschaft vorhandenen destruktiv-aggressiven Wünschen ein Politikangebot macht". Die Bindungskraft der AfD habe zugenommen und sie könne sich vor allem im Osten Deutschlands auf diejenigen stützen, die "nur auf die Legitimation warten, die Wut gegen Migranten, Juden, Homosexuelle oder ,Schwache' und ,Abweichende' zu richten".
Oliver Decker, Johannes Kiess, Ayline Heller (Hg.):
Vereint im Ressentiment.
Leipziger Autoritarismus Studie 2024.
Psychosozial-Verlag,
Gießen 2024;
274 Seiten, 26,90 €
Für Ressentiments sind Menschen in Krisenzeiten offenbar besonders anfällig. Zu den massiven Veränderungen angesichts von Krieg, Klimawandel und Inflation kommen eine marode Infrastruktur im Bildungssystem und öffentlichen Nahverkehr sowie Stellenstreichungen und eine bröckelnde soziale Sicherung.
Leipziger Wissenschaftler: Der Osten Deutschlands ist “weniger krisensicher”
Die Antwort darauf liege in der "autoritären Restitution", die Sündenböcke präsentiert. Die Verfasser der Studie kritisieren aber auch den Versuch etablierter Parteien, das "Thema der Rechten zu einem Thema der Mitte zu machen" oder selbst die "autoritäre Flucht" anzutreten. Die Bereitschaft, "auf Reizthemen ständig mit hoher Erregung zu reagieren" sei ein Kennzeichen der ersten zwei Dekaden des 21. Jahrhunderts. Von "Triggerpunkten" spricht treffend auch der Soziologe Steffen Mau.
Es dürfe "nicht aus dem Blick geraten, dass Ostdeutschland als nach wie vor überwiegend strukturschwache Region weniger krisensicher ist", warnen die Leipziger Wissenschaftler. Die Zukunftsängste steigerten sich angesichts der "wahrgenommenen Polykrisen". Viele Menschen fühlten sich überfordert und suchten statt dessen "einfache, überschaubare Lösungen, die beherrschbar erscheinen". Das Fazit der Forscher wirkt eher düster: In "nervösen Zeiten" sei die Demokratie "nicht mehr unumstritten".
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