Piwik Webtracking Image

Foto: Stiftung Denkmal/Marko Priske
Obdachlose, Prostituierte, Unangepasste: Einige NS-Opfern wurden jahrzehntelang von der Erinnerungskultur ausgeschlossen.

Ausstellung "Die Verleugneten" in Berlin : Vergessene Schicksale - die "Verleugneten" des NS-Regimes

Jahrzehntelang blieben sie unsichtbar: Menschen, die von den Nazis als "Asoziale" oder "Berufsverbrecher" verfolgt wurden. Eine Ausstellung erzählt ihre Geschichten.

17.01.2025
True 2025-01-17T15:26:52.3600Z
3 Min

Direkt neben dem Holocaust-Mahnmal in Berlin-Mitte erzählt eine Ausstellung von Menschen, die unter dem NS-Regime gelitten haben, deren Schicksale jedoch jahrzehntelang verschwiegen wurden. Es sind die Geschichten von Obdachlosen, Prostituierten oder Transvestiten und vielen mehr, die von den Nationalsozialisten als "Asoziale", "Berufsverbrecher" oder "Gemeinschaftsfremde" abgestempelt wurden. Ihre Vergehen? Ihre Lebensweise entsprach nicht den sozialen und moralischen Vorstellungen des Regimes.

Die Ausstellung "Die Verleugneten" beleuchtet die Schicksale jener, die lange am Rande der Erinnerungskultur standen. Zu den rund 80.000 Betroffenen gehört zum Beispiel Liddy Bacroff, die nachts ihren männlichen Namen ablegte und in Frauenkleidern durch das Hamburger Nachtleben zog. Oder Sibilla Rombach, die ohne die Erlaubnis ihrer Eltern einen jungen Mann besuchte. Auch Werner Thürmer, der auf Jahrmärkten arbeitete, wurde von den Behörden verfolgt und anschließend inhaftiert. Es brauchte nicht viel, um ins Visier der NS-Maschinerie zu geraten: eine unkonventionelle Lebensführung, wechselnde Partner oder das Nichteinhalten "gesellschaftlicher Normen" reichten aus.


„Ich dachte, der schlägt mich tot.“
Ilse Heinrich, Überlebende des Frauen-KZ Ravensbrück

Bei der Verfolgung spielten Behörden wie die Jugend-, Arbeits- und Gesundheitsämter eine zentrale Rolle. Sie lieferten Informationen, die oft zur Verhaftung führten. Im Fall von Rudi Zerbst beispielsweise verweigerten die Behörden dem jungen Mann, als Zeichner zu arbeiten. Anderen Berufen konnte er aufgrund eines Herzfehlers nur bedingt nachgehen. Daraufhin wurde er als "arbeitsscheu" deklariert und inhaftiert.

Doch oftmals brauchte es nicht einmal konkrete Anschuldigungen: Viele Opfer landeten in "Vorbeugungshaft" - ein Euphemismus für die willkürliche Inhaftierung, die meist in Konzentrationslagern (KZ) endete. Dort wartete ein Alltag aus Gewalt, ständiger Angst und Zwangsarbeit. Frauen beispielsweise mussten Uniformteile für die Waffen-SS nähen und ausbessern. Bei kleinsten Vergehen drohten brutale Strafen. An einen der Aufseher erinnert sich Ilse Heinrich, eine Überlebende des Frauen-KZ Ravensbrück: "Ich dachte, der schlägt mich tot."

BRD und DDR verweigern Entschädigungszahlungen

Ilse Heinrichs wollte eigentlich Kinderkrankenschwester werden - auf dem Land musste sie jedoch auf Bauernhöfen und Feldern arbeiten. Mehrmals versuchte sie die Flucht in die Stadt, um dort an einem Krankenhaus anzufangen. Doch die "Fluchtversuche" wurden ihr als "Faulheit" ausgelegt. Schließlich wird sie in ein Arbeitshaus nach Güstrow in Mecklenburg und 1944 in das KZ Ravensbrück deportiert.

Während andere Opfer der NS-Diktatur später Anerkennung und Entschädigungen erhielten, wurden die "Asozialen" und "Berufsverbrecher" ignoriert. Die Gründe ihrer Verfolgung - Armut, Prostitution oder unkonventionelle Lebensweisen - galten auch nach dem Krieg als Makel. Entschädigungsforderungen wurden sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR abgelehnt.

2020 erkennt der Bundestag "Asoziale" und "Berufsverbrecher" als NS-Opfer an 

Erst in den 1980er-Jahren begannen Historiker, sich mit dem Schicksal "der Verleugneten" auseinanderzusetzen und die Lücken in der Erinnerungskultur zu schließen. 

Mehr zum Thema lesen

Ausstellungseröffnung Queeres Leben im Nationalsozialismus.
Neue Ausstellung im Bundestag : Gefährdete Leben: Queere Menschen im Nationalsozialismus
In den 1920er-Jahren war Berlin für viele queere Menschen ein Sehnsuchtsort. Doch ab 1933 bestimmten Denunziationen und Verhaftungen den Alltag unter den Nazis.
Bärbel Bas bei ihrem Besuch der Gedenkstätte in Bernburg an der Saale
Ortstermin: Gedenkstätte in Bernburg: "Den Opfern ein Gesicht geben"
In Bernburg ließen rund 14.000 Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten sowie KZ-Häftlinge ihr Leben. Eine davon ist die als "Lesbierin" verhaftete Mary Pünjer.

Doch es sollten weitere Jahrzehnte vergehen, bis die politische Anerkennung folgte: Erst 2020 erkannte der Deutsche Bundestag die als "Asoziale" und "Berufsverbrecher" Verfolgten offiziell als Opfer des Nationalsozialismus an.

Im Zuge dessen entstand die Ausstellung "Die Verleugneten", realisiert von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Ein längst überfälliger Schritt, um die Geschichten dieser Menschen ins Bewusstsein der Gesellschaft zu rücken. 

Die Ausstellung "Die Verleugneten" wird noch bis zum 31. Januar 2025 im B. Place in der Cora-Berliner-Straße 2, 10117 Berlin gezeigt. Sie ist von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Anschließend wird die Wanderausstellung in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg sowie an weiteren Orten in Deutschland und Österreich präsentiert.