Ortstermin im Mauer-Mahnmal : Zwischen Beton und Freiheit – die Berliner Mauer aus anderer Sicht
So haben DDR-Bürger die Mauer nicht zu Gesicht bekommen: Zum 35. Jubiläum des Mauerfalls zeigt eine Ausstellung im Bundestag seltene Aufnahmen der DDR-Grenztruppen.
Im Militärischen Zwischenarchiv in Potsdam öffneten Annett Gröschner und Arwed Messmer 1995 einen unscheinbaren, grauen Pappkarton - und entdeckten eine Fundgrube aus der Zeit der Berliner Mauer. Der Karton war gefüllt mit zusammengerollten Kleinbildfilmen. Erst langsam wurde ihnen klar, dass sie hier ein außergewöhnliches Zeitdokument in ihren Händen hielten: Negative, aufgenommen von den Grenztruppen der DDR, die die Berliner Mauer in den Jahren 1965/1966 aus der Perspektive ihrer Erbauer zeigen.
Ursprünglich waren diese Aufnahmen für Ingenieure in der DDR gedacht, die Schwachstellen der Mauer erkennen und ausbessern sollten - doch auch heute ermöglichen sie einen intensiven Blick auf das Grenzsystem der DDR: menschenleere, beklemmende Räume, die von Kälte und bedrückender Isolation geprägt sind.
Ausstellung von Mauer-Fotografien an einem symbolträchtigen Ort
Die Fotografien zeigen dabei nicht nur die Mauer selbst, sondern auch das komplexe Sicherungssystem aus Hausmauern, Betonplatten, Drahtzäunen und Stacheldraht, das die brutale Teilung Berlins sichtbar macht. Gröschner und Messmer erkannten den historischen Wert dieser Bilder und machten es sich zur Aufgabe, sie der Nachwelt zugänglich zu machen.
Die Ausstellung "Inventarisierung der Macht", die am Dienstagabend im Mauer-Mahnmal des Bundestags von der Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU) eröffnet wurde, zeigt die Bilder als eindrucksvolle Panoramen an einem symbolträchtigen Ort: direkt auf dem ehemaligen Grenzstreifen, der an die Opfer der Teilung erinnert.
Bilder der Mauer werden durch Aufzeichnungen der Grenzsoldaten ergänzt
"So nah konnten normale Bürger der DDR gar nicht an die Mauer heran", erklärte Gröschner am Dienstag bei einer Führung durch die Ausstellung. Für die Ostberliner Publizistin eröffnen die Bilder so eine neue Perspektive auf die Grenze.
Die stummen, menschenleeren Bilder der Mauer ergänzte Gröschner mit Aufzeichnungen der Grenzsoldaten, die während des Fotografierens festhalten mussten, was sie auf der anderen Seite der Grenze hörten oder beobachteten. So entstand eine eindrucksvolle Kombination aus Bild und Text, die die vermeintliche Leere des Grenzgebietes durch Erinnerungen und Eindrücke belebt und den Menschen jenseits der Mauer eine Stimme gibt: Wie etwa einem Mann an der Bernauer Straße, der die Grenzsoldaten aufforderte: "Kommt, die Mauer ist nicht hoch. Das schafft ihr!" Oder einem westlichen Besatzungssoldaten, der per Lautsprecher am Reichstagsufer DDR-Grenzschützer fragte: "Wollt ihr eine Zigarette?"
Bundestag zeigt Dokumente über tragische Ballonflucht
28 Jahre lang zog sich die Mauer durch Berlin. Errichtet am 13. August 1961, war sie eine Betonbarriere, die Familien, Freunde und Nachbarn voneinander trennte und die Stadt in zwei Lager spaltete. Mit einer Länge von etwa 155 Kilometern umschloss sie West-Berlin fast vollständig. Die Mauer sollte Fluchtversuche in den Westen verhindern und wurde zum weltweit bekannten Symbol des Kalten Krieges.
Heute erinnere die Mauer daran, was für ein Glücksfall die Wiedervereinigung trotz aller Härten gewesen sei, sagte Bundestagsvizepräsidentin Magwas während der Ausstellungseröffnung. Außerdem dürfe nicht vergessen werden, dass die Mauer von Ostdeutschen zum Einsturz gebracht wurde, "die sich vom diktatorischen SED-Regime nicht einschüchtern ließen; die für Freiheit, für Demokratie auf die Straße gingen", so Magwas.
Fotos von Fluchtleitern und Tunneln verdeutlichen Mut der DDR-Bürger
Die Ausstellung, kuratiert von Kristina Volke, Leiterin des Kunstreferats im Bundestag, zeigt neben den Panoramabildern der Mauer auch Dokumente zur Flucht, wie Fotos von Fluchtleitern und Tunneln, die den Mut der DDR-Bürger verdeutlichen. Auch Berichte über das letzte Maueropfer Winfried Freudenberg, der 1989 beim Versuch, mit einem Gasballon von Ost- nach Westberlin zu entkommen, ums Leben kam, werden ausgestellt.
Mehr zum 35 Jahre Mauerfall
Am Morgen dieses Donnerstags des Jahres 1989 ahnt noch kein Mensch, dass sich die Tore in der Berliner Mauer noch vor Mitternacht öffnen werden.
35 Jahre nach dem Umbruch in der DDR erinnert der Bundestag an den zentralen Beitrag der ostdeutschen Oppositionellen von 1989 zu Freiheit und Einheit.
Passend zum 35. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November lädt die Ausstellung dazu ein, die Geschichte der Berliner Mauer und die tiefe Kluft, die sie zwischen Ost und West gerissen hat, neu zu betrachten. Die historischen Fotografien der Grenztruppen und die akribisch gesammelten Protokolle zeigen eindrucksvoll die düstere Realität der Teilung, erinnern aber auch an Momente der Menschlichkeit.
"Inventarisierung der Macht" wird im Mauer-Mahnmal des Bundestages noch bis zum 27. April 2025 ausgestellt. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 11 bis 17 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr. Der Eintritt ist frei.