Piwik Webtracking Image

Steuergesetze verabschiedet : Finanzminister Lindner will mehr bei der kalten Progression

Das Steuerfortentwicklungsgesetz stockt, weil Lindner eine höhere Entlastung will. Derweil warnt Siemens: Nichts spricht für Investitionen in Deutschland.

18.10.2024
True 2024-10-18T16:37:07.7200Z
6 Min

Wird die "Fortschrittskoalition" noch zu einer Steuersenkungskoalition? Immerhin deuteten die Zeichen in Parlament und Regierung zuletzt in diese Richtung. Der Bundestag gab am Freitagnachmittag grünes Licht für das Jahressteuergesetz 2024 und das Gesetz zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums 2024. 

Sicher, es gab auch Schatten: Die Ampel-Fraktionen konnten sich nicht durchringen, auch das Steuerfortentwicklungsgesetz zu beschließen, das weitere steuerliche Entlastungen sowie Maßnahmen der Wachstumsinitiative der Bundesregierung vorsieht. Medien berichteten noch am Dienstag, dass der Vorstoß von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), die Entlastung der Bürger um 200 Millionen Euro für 2025 und 260 Millionen Euro für 2026 zu erhöhen, auf Widerstand bei Bündnis 90/Die Grünen stieß.

Foto: picture-alliance/Geisler-Fotopress /Frederic Kern

Finanzminister Lindner hat die für 2025 geplante steuerliche Entlastung der Bürger nochmal etwas erhöht. Sein Gesetzentwurf ist noch im Bundestag.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der bereits im parlamentarischen Verfahren ist, sieht in der Einkommensteuer bereits eine Erhöhung der steuerlichen Freibeträge für die Jahre 2025 und 2026 sowie eine Verschiebung der Eckwerte nach oben vor. Doch Lindner wollte nochmal nachlegen, argumentierte auf Basis des Steuerprogressionsberichts. Nun soll unter anderem für 2025 ein Freibetrag von 12.096 Euro gelten, 312 Euro mehr als 2024 und zwölf Euro mehr als im ursprünglichen Regierungsentwurf geplant.

Steuerzahlerbund mahnt Abbau der Kalten Progression an

Ein neuer Streitpunkt für die Ampel-Koalition? Überraschenderweise erstmal nicht. Am Mittwoch stimmte das Bundeskabinett den Vorschlägen Lindners zu. Damit könnte das Steuerfortentwicklungsgesetz in der nächsten Sitzungswoche im November beschlossen werden. Das ist auch deshalb nötig, weil die FDP die Wachstumsinitiative der Bundesregierung zur Bedingung für einen Beschluss des Bundeshaushalts 2025 gemacht hat. Das Gesetz müsste also vor der Bereinigungssitzung am 14. November beschlossen werden.

Inhaltlich stößt es unter Experten auf Zustimmung. So sagt Matthias Warneke vom Bund der Steuerzahler, der bei der Anhörung zu dem Gesetz am 7. Oktober auf Vorschlag der FDP-Fraktion als Sachverständiger anwesend war, auf Anfrage: "Wenn die Steuerentlastung nicht kommt, wäre das eine nicht zu rechtfertigende Mehrbelastung für die Bürger! Es geht beim Ausgleich der sogenannten Kalten Progression nicht um Steuergeschenke, sondern darum, dass die Inflation nicht einseitig zugunsten des Fiskus und zulasten der Einkommensteuerzahler wirkt. Inflationsbedingt steigende Löhne stellen keine gesteigerte Leistungsfähigkeit dar, auf die der Fiskus zugreifen darf."

Warneke lobt deshalb auch, dass die Regierung die Entlastung nochmal aufstocken wolle. Er sagt: "Der neue Progressionsbericht hat ergeben, dass aufgrund der aktualisierten Inflationsdaten die Eckwerte in der Einkommensteuer 2025 nicht nur wie ursprünglich um 2,5 Prozent steigen müssen, sondern um 2,6 Prozent." Dass die Maßnahme 2025 zu Mindereinnahmen im Bundeshaushalt führe, sei verkraftbar, "zumal es sich streng genommen um illegitime Mehreinnahmen handeln würde".

Steigende Sozialabgaben zehren Steuerentlastung auf

Obwohl viele Ökonomen diese Sicht teilen, gibt es auch kritische Stimmen. Katja Rietzler von der Hans-Böckler-Stiftung, die in der Anhörung auf Vorschlag der SPD-Fraktion anwesend war, relativiert die Entlastungswirkung: "Man muss das Gesamtpaket betrachten, also nicht nur Steuern, sondern auch Sozialabgaben", sagt sie auf Anfrage. 

Und die steigen. Allein in der Krankenversicherung soll sich der durchschnittliche Zusatzbeitrag 2025 um 0,8 Prozentpunkte auf 2,5 Prozent erhöhen. "Steigende Sozialabgaben treffen besonders Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, die deutlich mehr Sozialbeiträge zahlen als Einkommensteuer. Sie profitieren trotz Ausgleichs der kalten Progression insgesamt nicht", erklärt Rietzler. Um Familien mit kleinen und mittleren Einkommen zu entlasten, sei ein höheres Kindergeld sinnvoller. "Berücksichtigt man den Kinderbonus von 150 Euro im Jahr 2021, so ist das Kindergeld seither gerade mal um acht Prozent gestiegen und damit deutlich geringer als die Preissteigerung", erklärt sie. Zwar sieht auch das Steuerfortentwicklungsgesetz eine Kindergelderhöhung vor, allerdings von nur fünf Euro für 2025.

Immerhin müssen Eltern vorerst wohl keine höheren Kosten für den Musikunterricht ihrer Kinder fürchten. Im Zuge des gebilligten Jahressteuergesetzes hatte die Bundesregierung mehrere umsatzsteuerrechtliche Änderungen geplant. Eine hätte die Gefahr beinhaltet, dass Musikunterricht steuerpflichtig würde. Hier haben die Ampel-Fraktionen indes im Finanzausschuss noch für Änderungen gesorgt.


„Es gibt eigentlich nichts, was dafür spricht, in Deutschland zu investieren.“
Christian Kaeser, Global Head of Tax der Siemens AG

Insgesamt standen dort am vergangenen Mittwoch 59 Änderungsanträge der Regierungskoalition auf der Tagesordnung. Vielen davon stimmte die Unionsfraktion zu, wenngleich sie den Gesetzentwurf insgesamt wie AfD-Fraktion und Gruppe Die Linke ablehnte. Lob für die Änderungen kam von Matthias Warneke vom Steuerzahlerbund: "Beim Jahressteuergesetz gibt es einige Lichtblicke. Dass künftig Kinderbetreuungskosten zu 80 Prozent und bis maximal 4.800 Euro abzugsfähig sind, ist gut und richtig. Gleiches gilt für den Verzicht auf das Mobilitätsbudget und für die Streichung der Beschränkung der Verlustverrechnung bei Termingeschäften."

Aus für das Mobilitätsbudget

Am Mobilitätsbudget hatte die Mehrheit der Experten in der öffentlichen Anhörung kein gutes Haar gelassen. Ursprünglich sollten Arbeitgeber ihren Beschäftigten bis zu 2.400 Euro pro Jahr zu einem Pauschalsteuersatz von 25 Prozent Mobilitätsleistungen wie etwa Car-Sharing-Angebote bezahlen können. Aber Warnungen vor Bürokratie, einer Bevorzugung von Stadtbewohnern und Besserverdienern veranlassten die Koalitionsfraktionen dazu, die Maßnahme zu streichen.

Mehr steuerliche Entlastungen verlangt freilich die Opposition. Die AfD-Fraktion fordert in einem Gesetzentwurf, dass die Kalte Progression im Steuerrecht künftig automatisch ausgeglichen werden soll. Die Gruppe Die Linke will Wohngemeinnützigkeit noch stärker fördern, als das im Jahressteuergesetz geplant ist. Ihr Antrag zur Beschlussfassung stand zusammen mit den Regierungsentwürfen zum Steuerrecht und der ersten Beratung des AfD-Gesetzentwurfs am Freitag auf der Tagesordnung.

Siemens: Nichts spricht für Investitionen in Deutschland

Im parlamentarischen Verfahren befindet sich darüber hinaus noch ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel “Modernisierung des deutschen Unternehmenssteuerrechts voranbringen”. Auch zu diesem gab es im Finanzausschuss in der vergangenen Sitzungswoche eine öffentliche Anhörung. Harte Worte dort vom Sachverständigen Christian Kaeser, Global Head of Tax der Siemens AG: "Es gibt eigentlich nichts, was dafür spricht, in Deutschland zu investieren." Deshalb seien die Investitionen von Siemens zuletzt größtenteils im Ausland erfolgt.

Skeptisch zu Steuersenkungen äußerte sich in der Anhörung Sebastian Eichfelder, Professor für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und geladen auf Vorschlag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Er sagte: "Der empirische Zusammenhang zwischen langfristigem Wachstum und Steuersätzen ist mau." Niedrigere Steuersätze hätten lediglich einen moderaten Effekt auf die privaten Investitionen.

AfD-Antrag für einheitliche Steuer von 22 bis 25 Prozent

Entgegen dieser Sicht des Wirtschaftswissenschaftlers erklärte kurz nach der Anhörung am Mittwoch Jörn König für die AfD-Fraktion: "Langfristig hat jede Steuerreform mit Entlastung zu Steuermehreinnahmen geführt." Anlass war die Debatte zu einem weiteren AfD-Antrag in erster Lesung. Darin wird unter anderem eine einheitliche Ertragssteuer statt der bisherigen Einkunftsarten des Einkommensteuerrechts und der Körperschaftsteuer mit einem einheitlichen Satz von lediglich 22 bis 25 Prozent gefordert. Wegfallen sollen Grund-, Erbschafts- und Schenkungssteuer.

Interview zum Thema

Mehr zum Thema Lob für Abbau der "kalten Progression" und Strompreispaket
Chefökonom Michelsen im Interview: Lob für Abbau der "kalten Progression" und Strompreispaket

Für die SPD-Fraktion sagte Michael Schrodi dazu: “Ihre Vorschläge würden Bestverdienende entlasten und kleine und mittlere Einkommen stärker belasten.” Sebastian Schäfer von der Grünen-Fraktion rechnete vor, dass mit dem AfD-Vorschlag ein Einkommensmillionär um jährlich 200.000 Euro entlastet würde, ein Durchschnittsverdiener aber nur um 2.500 Euro. In ironischer Form merkte er an: "Die Alternative für Deutschland will wohl die Alternative für Einkommensmillionäre werden."

Markus Herbrand erklärte für die FDP-Fraktion: "Die Forderungen erscheinen als ein wildes Durcheinander steuerpolitischer Vorstellungen." Alois Rainer von der CDU/CSU-Fraktion sagte, die AfD habe "keine fundierte Finanzierung" für ihr Konzept. "Ihr Antrag ist ein Luftschloss im nationalsozialistischen Wunschdenken der AfD", sagte Rainer.

Abstimmungen im Bundestag

Für den Entwurf zum Jahressteuergesetz 2024 stimmten die Fraktionen der Koalition, dagegen stimmten die Fraktionen von CDU/CSU und AfD sowie die Gruppe Die Linke. Dem Gesetzentwurf zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums 2024 stimmten neben den Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP auch die CDU/CSU-Fraktion und die Gruppe Die Linke zu. Die AfD-Fraktion enthielt sich. 

Die Gruppe Die Linke scheiterte mit ihrem Antrag zur Wohngemeinnützigkeit an den Gegenstimmen aller Fraktionen. Der Gesetzentwurf der AfD-Fraktion zum Steuertarif auf Rädern wurde in den Finanzausschuss überwiesen.