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Chefökonom Michelsen im Interview : Lob für Abbau der "kalten Progression" und Strompreispaket

Das Steuerfortentwicklungsgesetz ist wichtig für das Wachstum, sagt Ökonom Claus Michelsen. Die Infrastruktur benötige Sondervermögen über "mehrere 100 Milliarden".

18.10.2024
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4 Min

Herr Michelsen, wie beurteilen Sie den Entwurf des Steuerfortentwicklungsgesetzes?

Claus Michelsen: Im Entwurf des Steuerfortentwicklungsgesetzes sind wichtige Punkte der Wachstumsinitiative verankert. Das betrifft deutlich verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen, was Anreize für private Investitionen setzen soll. Dazu kommt die erhöhte Forschungszulage: Firmen können jetzt bis zu zwölf Millionen Euro pro Jahr geltend machen. Schließlich noch die Verschiebung der Tarifwerte in der Einkommensteuer, womit die sogenannte Kalte Progression ausgeglichen werden soll.

Wie wichtig sind diese Maßnahmen?

Claus Michelsen: Wir rechnen damit, dass diese drei Punkte der Wachstumsinitiative einen wirtschaftlichen Impuls von 0,15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) setzen würden. Wenn die Wachstumsinitiative mit ihren 49 Punkten zu zwei Dritteln umgesetzt würde, dürfte die Wirtschaft im kommenden Jahr um insgesamt 0,4 Prozent stärker wachsen als ohne die Initiative.

Schon heute können Unternehmen sich über die Forschungszulage 25 Prozent der Aufwendungen für Forschung und Entwicklung erstatten lassen, maximal 2,5 Millionen Euro pro Jahr. Künftig sollen es drei Millionen Euro sein, wenn das Gesetz kommt. Macht das wirklich einen Unterschied?

Claus Michelsen: Ja, auf jeden Fall. Allerdings profitieren davon vor allem kleine und mittlere Unternehmen. Für große Industrieunternehmen ist die Bemessungsgrundlage von derzeit zehn und künftig zwölf Millionen Euro dagegen zu niedrig.

Foto: vfa/B.Brundert
Claus Michelsen
ist seit 2021 Chefvolkswirt des Verbandes forschende Arzneimittelhersteller (VfA). Am 7. Oktober 2024 war er auf Vorschlag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen als Sachverständiger in der Anhörung zum sogenannten 'Steuerfortentwicklungsgesetz geladen. Von 2018 bis 2021 war er Abteilungsleiter Konjunkturprognose und Wirtschaftspolitik beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.
Foto: vfa/B.Brundert

Gleicht die höhere Forschungszulage es aus, wenn zugleich Fördermittel für die Batterieforschung im Bundeshaushalt gestrichen werden?

Claus Michelsen: Nein, nötig ist beides, sowohl die allgemeine Forschungsförderung über die steuerliche Zulage als auch gezielte Projektförderung.

Wie wichtig ist der Ausgleich der Kalten Progression über höhere Steuerfreibeträge und Eckwerte im Steuertarif?

Claus Michelsen: Der Ausgleich der Kalten Progression dient dazu, dass den Bürgern Einkommenszuwächse für den Inflationsausgleich nicht durch höhere Besteuerung wieder abgeschmolzen werden. Das erhält die reale Kaufkraft und ist Teil des nötigen Wachstumsimpulses.

Die Steuern werden zwar gesenkt, aber die Sozialbeiträge steigen zugleich heftig.

Claus Michelsen: Die steigenden Beitragssätze in der Sozialversicherung verteuern den Faktor Arbeit. Der Grund liegt darin, dass in den zurückliegenden Jahren Strukturreformen verschlafen wurden. Die Konjunktur lief gut und hat politischen Handlungsdruck reduziert. Deshalb sind jetzt umso mehr Reformen nötig. Das heißt aber nicht, dass der Ausgleich in der Einkommensteuer nicht gemacht werden sollte. Nötig sind Sozialreformen und der Ausgleich der kalten Progression.

Beschlossen hat der Finanzausschuss mit dem Gesetzentwurf zum Bürokratieabbau im Strom- und Energiesteuerrecht eine Senkung der Stromsteuer für Unternehmen. Die zweite und dritte Lesung war am späten Freitagnachmittag angesetzt. Wie bedeutend ist das für die Industrie und die Pharmabranche?

Claus Michelsen: Die Pharmabranche selbst ist nicht energieintensiv, gleichwohl sind natürlich auch für sie die Energiepreise ein Kostenfaktor. Wichtiger als die Preise ist aber die Verfügbarkeit von Energie. Dazu kommt, dass die Pharmaunternehmen energieintensive Vorleistungsgüter benötigen, insbesondere aus der chemischen oder der Glasindustrie. Hier gab es zuletzt erhebliche Preissprünge, was die Pharmahersteller belastet.

Was halten Sie vom Strompreispaket?

Claus Michelsen: In unserer Simulation zur Wachstumsinitiative ist das Strompreispaket der drittwichtigste Punkt. Es bedeutet eine signifikante Entlastung von drei Milliarden Euro pro Jahr für das produzierende Gewerbe. Wir erwarten davon einen weiteren Wachstumsimpuls in Höhe von 0,06 Prozent des BIP.


„Deutschland hat ein Defizit bei den Investitionen in seine Infrastruktur.“
Claus Michelsen, Chefvolkswirt VfA

Reicht die Senkung der Stromsteuer auf das europäische Minimum von 0,5 Cent pro Kilowattstunde aus?

Claus Michelsen: Aus Sicht der energieintensiven Industrie reicht das noch lange nicht. Es ist aber das, was sich jetzt zügig umsetzen lässt.

Was muss noch passieren?

Claus Michelsen: Die Industrie braucht Sicherheit bei den Netzentgelten. Der nötige Ausbau des Stromnetzes im Zuge der Energiewende muss anders finanziert werden.

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Wie?

Claus Michelsen: Wenn wir den Ausbau der Netze über Entgelte finanzieren, dann werden die Stromkosten steigen. Das macht einen Umstieg auf Strom unattraktiver und gefährdet die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. Deshalb sind andere Finanzierungswege und auch öffentliche Investitionen nötig. Die sind aber nicht nur bei den Stromleitungen nötig, sondern auch in anderen Bereichen wie Straßen, Brücken oder Schienen. Deutschland hat insgesamt ein erhebliches Defizit bei den Investitionen in seine Infrastruktur. Die 50 Milliarden Euro im Bundeshaushalt für Investitionen reichen bei weitem nicht aus, um die Lücke zu schließen.

Woher soll das Geld kommen?

Claus Michelsen: Es ist sinnvoll, diese öffentlichen Investitionen auch über Kredite zu finanzieren, insbesondere da davon über mehrere Jahrzehnte hinweg auch künftige Generationen profitieren. Angesichts der Schuldenbremse im Grundgesetz sind dafür wahrscheinliche neue Sondervermögen nötig.

Wie hoch sollten die sein?

Claus Michelsen: Da gibt es verschiedene Schätzungen, aber wahrscheinlich sind mehrere 100 Milliarden Euro nötig.