CUM-EX-Skandal : Warten auf den Kanzler
Nach Ablehnung des Untersuchungsausschusses durch die Koalition will die Union vor das Verfassungsgericht ziehen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor dem Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschuss. Bis er von einem Untersuchungsausschuss des Bundestages befragt werden könnte, dürfte es noch dauern.
Wolfgang Kubicki (FDP) bringt normalerweise nichts aus der Ruhe. Aber bei der Abstimmung über den Oppositionsantrag gegen möglicherweise drohende Aktenvernichtungen im Zusammenhang mit der Cum-Ex-Steueraffäre zeigte sich der Bundestagsvizepräsident am vergangenen Mittwoch irritiert: "Dagegen stimmt offenbar niemand", ergab sein Blick auf die Abgeordneten. Kubicki wiederholte den Satz und stellte fest: "Damit ist der Antrag angenommen."
Quorum erreicht, trotzdem kein Untersuchungsausschuss
Die CDU/CSU-Fraktion hatte damit einen Abstimmungserfolg erzielt. Die für sie wichtigere Abstimmung ging jedoch verloren: Der Bundestag lehnte die Einsetzung eines Cum-Ex-Untersuchungsausschusses ab - und das, obwohl die CDU/CSU das erforderliche Quorum erreicht hatte. Deshalb will die Union vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.
Nach Artikel 44 des Grundgesetzes muss der Bundestag einen Untersuchungsausschuss einsetzen, wenn ein Viertel seiner Mitglieder dies verlangt. Der von der Union beantragte Untersuchungsausschuss soll die Cum-Ex-Steueraffäre der Hamburger Warburg Bank und die Rolle des damaligen Ersten Bürgermeisters und heutigen Bundeskanzlers Olaf Scholz untersuchen.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Einsetzungsantrag
Im Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung hatten die Koalitionsfraktionen jedoch erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Einsetzungsantrag erhoben und dem Plenum in der Beschlussempfehlung eine Ablehnung empfohlen. Für diese Beschlussempfehlung stimmten die Koalitionsfraktionen SPD, Grüne und FDP, dagegen stimmten Union, AfD und Linke.
Ein Änderungsantrag der Union , die Ablehnungsempfehlung des Ausschusses in eine Zustimmungsempfehlung zu ändern, wurde abgelehnt. Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Verhinderung möglicher Aktenverluste fand eine Mehrheit, weil sich die Koalitionsfraktionen enthielten. Für diesen Antrag stimmten CDU/CSU, AfD und Linke.
SPD: Novoum in der Parlamentsgeschichte
In der Debatte sprach Johannes Fechner (SPD) von einem "denkwürdigen Tag". Zum ersten Mal in der Parlamentsgeschichte traue sich eine Oppositionspartei, einen verfassungswidrigen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu stellen.Die Union wolle Vorgänge in einem Bundesland untersuchen. Doch dafür sei der Bundestag nicht zuständig. Außerdem gebe es zu Cum-Ex bereits einen Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft. Man müsse das Grundgesetz achten und die Kompetenzverteilung. "Wir wollen keinen verfassungswidrigen Untersuchungsausschuss."
"Scholz hat keine Fehler gemacht"
Die SPD habe sich bemüht, einen Konsens herbeizuführen und mehrere Angebote gemacht. Doch darauf sei die Union nicht eingegangen. Zur inhaltlichen Diskussion sagte Fechner, Scholz habe keinen Fehler gemacht. Keine Staatsanwaltschaft habe einen Anfangsverdacht gesehen. Der Union gehe es nicht um Sachaufklärung, sondern sie wolle "mit möglichst viel Dreck" auf den Kanzler werfen. Dieses "miese parteipolitische Spiel" mache die SPD-Fraktion nicht mit.
Patrick Schnieder (CDU) erklärte, die Ablehnung der Koalition sei ein "historisch einmaliger Vorgang" und zeige, wie respektlos die regierungstragende Mehrheit mit dem Parlament umgehe. Von den Argumenten der Koalition bleibe nichts übrig.
Die Koalition habe nicht berücksichtigt, dass die Union ihren Antrag noch ergänzt habe. Damit wollte die Fraktion sicherstellen, dass die Untersuchung "ausschließlich der Kontrolle der Aufsicht des Bundes bei der Rückforderung unberechtigter Kapitalertragssteuererstattungen dient und nicht selbstzweckhaft in die Eigenstaatlichkeit und Verfassungshoheit eines Landes eingreift", wie es in der Beschlussempfehlung heißt.
Schnieder wies darauf hin, dass sich Untersuchungsausschüsse in der Vergangenheit regelmäßig mit dem Handeln von Ländern befasst hätten. Er kündigte an: "Wir werden vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Wir werden das grundlegende Recht der Opposition einklagen." Schnieder fragte: "Wovor hat Bundeskanzler Olaf Scholz Angst? Warum hat er die Hosen gestrichen voll? Was hat er zu verbergen?"
Grüne: Keine leichte Entscheidung
Andreas Audretsch (Grüne) sagte, die Grundsätze Aufklärung und Transparenz habe die Grünen-Bundestagsfraktion immer hochgehalten. Die Rechte von Minderheiten im Bundestag seien von allergrößter Bedeutung. Es gehe um Grundfragen der Demokratie. Man habe aber die Aufgabe, entsprechend der Verfassung zu verfahren.
Das sei ausführlich geprüft worden. Der Antrag sei in dieser Form nicht verfassungskonform. Substanzielle Veränderungen habe die Union nicht vorgenommen. Es sei keine leichte Entscheidung, aber der Antrag sei abzulehnen.
AfD spricht von "Anschlag auf Minderheitenrechte"
Kay Gottschalk (AfD-Fraktion) nannte das Verhalten der Koalition einen "Anschlag von noch nie dagewesenen Qualität auf das Minderheitenrecht der Opposition". Gottschalk sprach von einer Delegitimierung der Demokratie.
Der Bundestag habe eine direkte Untersuchungskompetenz. Die Koalition begehe einen "ganz bewussten Verfassungsbruch", überschreite eine "rote Linie" und sei "eine Schande für unser Land".
FDP: Bundestag ist kein Oberparlament
Stephan Thomae (FDP) sprach von einer schwerwiegenden Entscheidung, die die Koalition nicht auf die leichte Schulter nehme. Die Kontrolle der Regierung durch einen Untersuchungsausschuss sei ein elementarer Bestandteil der Demokratie.
Elementarer Bestandteil sei aber auch der Föderalismus, der Bund und Ländern unterschiedliche Aufgaben zuweise. Landtage hätten demgemäß Landesregierungen zu kontrollieren, und der Bundestag kontrolliere die Bundesregierung. "Der Bundestag ist kein Oberparlament", erklärte Thomae.
Linke: Menschen haben ein Recht auf Aufklärung
Christian Görke (Linke) warf der Ampelkoalition vor, mit Fingerhakeleien den Untersuchungsgegenstand so klein wie möglich zu halten. Doch die Menschen hätten ein Recht darauf, dass "dieser finanzpolitische Skandal mit allen erforderlichen Mitteln und Ressourcen hier im Deutschen Bundestag aufgeklärt wird".
Bis es dazu kommt, kann es eine Weile dauern. Und vor allem muss die Union dafür vor dem Verfassungsgericht erst einmal Recht bekommen.