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Christian Dürr im Interview : "Der Liberalismus wird mehr denn je gebraucht"

FDP-Fraktionschef Christian Dürr kritisiert das Verfahren bei der Lockerung der Schuldenbremse und sorgt sich wegen der Belastung künftiger Generationen.

21.03.2025
True 2025-03-21T10:54:58.3600Z
5 Min

Der Bundestag hat noch schnell vor der Konstituierung des neuen Parlaments die Schuldenbremse gelockert und eine Billion Euro Schuldenaufnahme für Armee, Zivilverteidigung und Nachrichtendienste sowie für Infrastruktur ermöglicht. Haben Sie so ein Verfahren schon mal erlebt und was sagen Sie dazu?

Christian Dürr: Nein, das habe ich noch nicht erlebt. Die Union hat damit nicht nur ihre Wahlversprechen gebrochen, sondern auch ihr neues Grundsatzprogramm über Bord geworfen. Die Schuldenbremse wurde nicht reformiert, sondern faktisch abgeschafft. Es gibt Handlungsbedarf bei der Verteidigungsfähigkeit, keine Frage. Aber Schulden in einem solchen Ausmaß für alles mögliche aufzunehmen, um eine künftige Koalition zusammenzuhalten, halte ich für völlig falsch.

Foto: picture-alliance/dpa/Michael Kappeler

Insbesondere mit Blick auf die finanzpolitische Wende braucht es laut Christian Dürr den Liberalismus in Deutschland mehr denn je.

Was bedeutet das für die Finanzarchitektur und für die kommende Generation?

Christian Dürr: Unsere öffentlichen Finanzen, die wir mit Christian Lindner als Bundesfinanzminister nach der Corona-Pandemie langsam wieder auf solide Beine gestellt hatten, werden dadurch massiv geschwächt. Und natürlich müssen die nächsten Generationen dafür zahlen.

CDU-Chef Friedrich Merz begründet die Maßnahmen mit Putins Angriffskrieg gegen Europa, was einen "Paradigmenwechsel in der Verteidigungspolitik" notwendig mache. Den Sonderfonds begründet er mit einem über Jahrzehnte aufgelaufenen Erneuerungsbedarf bei der Infrastruktur. Was sagen Sie dazu ? 

Christian Dürr: Ich sagte eingangs, dass wir bei der Verteidigung mehr tun müssen. Aber man kann deshalb nicht jedes andere Problem mit Geld zuschütten. Infrastrukturvorhaben scheitern in erster Linie an Bürokratie und langwierigen Genehmigungsverfahren, nicht am Geld. Da hat die Ampelkoalition übrigens einiges verbessert, es hat nur leider nicht ausgereicht. Es dauert Jahrzehnte, bis eine Autobahn fertig gebaut ist. In Niedersachsen hat ein Schiff auf der Ems im Jahr 2015 die Friesenbrücke gerammt, eine zentrale Zugverbindung zwischen Deutschland und den Niederlanden. Die Ersatzbrücke ist immer noch im Bau. Und das hat nichts mit Geld zu tun.

Was hätten Sie als FDP gemacht, um die Bundeswehr zu stärken?

Christian Dürr: Wir haben einen Gegenvorschlag ins Parlament eingebracht: Eine dauerhafte Erhöhung der regulären Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent im Haushalt und die Einrichtung eines Verteidigungsfonds für Deutschland in Höhe von 300 Milliarden Euro. Damit hätten wir sichergestellt, dass die Ausgaben an einen Zweck gebunden sind und wirklich der Bundeswehr zugute kommen.

Welche Auswirkungen haben Lockerung der Schuldenbremse und Sondervermögen für Europa und die Währungsunion?

Christian Dürr: Eine solche Verschuldung wird auch Auswirkungen auf die Stabilität der Eurozone haben, mit Sicherheit. Unsere europäischen Partner haben bereits davor gewarnt. Deutschland galt bislang als Stabilitätsanker.


„Die parlamentarische Demokratie ist eine der größten Errungenschaften unseres Landes.“
Christian Dürr (FDP)

Gleichzeitig spricht Merz von einem erheblichen Konsolidierungsdruck für die öffentlichen Haushalte. Erwarten Sie, dass von der künftigen Regierung gespart wird?

Christian Dürr: Das ist doch absurd. Wenn man über eine Billion Euro Schulden noch vor Amtsantritt ermöglicht, hat man keinen Druck zu sparen.

Das Sondierungspapier von Union und SPD wird dort, wo die Probleme am größten sind, wie Kranken- und Pflegeversicherung, ziemlich einsilbig beziehungsweise es macht Rentengarantien, die sehr teuer werden dürften. Erwarten Sie Reformen oder werden alle Probleme mit den jetzt reichlich zu schöpfenden Milliarden aus Kreditmitteln zugedeckt?

Christian Dürr: Deutschland braucht dringend Reformen, wir brauchen eine echte Staatsmodernisierung. Aber Union und SPD wollen in erster Linie Geld für den Sozialstaat bereitstellen. Daher fehlt mir der Glaube, dass es zu großen Reformen kommt.

Helmut Kohl sagte einst, eine Staatsquote von über 50 Prozent sei Sozialismus. Was bedeuten die Entscheidungen von Union, SPD und den Grünen eigentlich für die Staatsquote?

Christian Dürr: Die Staatsquote wird spürbar ansteigen und das wird unser Land auf Dauer schwächen. Meine größte Sorge ist aber, dass ein schuldenfinanziertes "Weiter so" dazu führt, dass die Ränder noch stärker werden. Dem wollen wir als FDP in der außerparlamentarischen Opposition etwas entgegensetzen.

Sie haben der angehenden Koalition vorgeworfen, sie binde linke Fiskalpolitik mit bürgerlicher Wirtschaftspolitik zusammen. Können Sie das begründen?

Christian Dürr: Ich habe gesagt, dass sie diesen Anschein erweckt, aber beides passt meines Erachtens nicht zusammen. Die Union hat eine bürgerliche Wirtschaftspolitik versprochen: Entlastung, Bürokratieabbau, einen schlankeren Staat, der es Industrie, Unternehmen und Selbstständigen leichter macht. Aber in Wahrheit setzt sie jetzt eben eine linke Wirtschaftspolitik um, indem anstelle echter Reformen und attraktiver Rahmenbedingungen Geld für alles mögliche ins Schaufenster gestellt wird.

Foto: FDP Fraktion / Christian Dürr
Christian Dürr (FDP)
ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages und war von 2021 bis 2025 Vorsitzender der FDP-Fraktion. Er war für die Themenbereiche Haushalt und Finanzen zuständig. Nach dem Rückzug von Christian Lindner bewirbt sich Dürr nun für den FDP-Vorsitz. Gewählt werden soll die neue Führung beim Bundesparteitag Mitte Mai in Berlin.
Foto: FDP Fraktion / Christian Dürr

Die FDP hat es nicht mehr in den Bundestag zurück geschafft. War das die Quittung dafür, dass die Liberalen in der Ampel-Koalition zu wenig wahrgenommen wurden und eigentlich zu spät rausgegangen sind?

Christian Dürr: Sicher werden wir diese Zeit aufarbeiten. Wenn eine Koalition zerbricht, ist niemand frei von Schuld, auch die FDP nicht. Es geht aber nicht darum, ob man früher hätte gehen oder länger hätte bleiben sollen. Man muss sich kritisch fragen, ob man das Land mit guten Entscheidungen noch voranbringt und dazu war die Ampel nicht mehr in der Lage.

Für Sie war die Rede am Dienstag die vorerst letzte Rede im Bundestag. Wenn Sie einmal zurückblicken: Wie bewerten Sie die Arbeit des Parlaments?

Christian Dürr: Zunächst will ich sagen, dass ich voller Demut und Dankbarkeit auf meine Zeit im Bundestag zurückblicke. Ich bin seit über 20 Jahren Parlamentarier, davon sieben Jahre im Bundestag. Etwas bewegen zu können und immer wieder um die beste Lösung ringen zu dürfen, ist ein großes Privileg. Gerade in den letzten Jahren hat der Deutsche Bundestag bewiesen, dass er Regierungsarbeit nicht durchwinkt, sondern lebhaft diskutiert und Kompromisse verbessert. Die parlamentarische Demokratie ist eine der größten Errungenschaften unseres Landes.

Der Liberalismus ist eine der großen politischen Bewegungen Deutschland. Ist das jetzt vorbei und die FDP Geschichte?

Christian Dürr: Im Gegenteil. Zurzeit bewegt sich die deutsche politische Landschaft zwischen zwei Extremen: Die einen lehnen den Staat ab. Sie machen seine Institutionen lächerlich und säen Misstrauen. Die anderen ketten sich an den Staat und überfordern ihn so sehr, dass er seine Kernaufgaben vernachlässigt, innere und äußere Sicherheit etwa. Es muss eine Partei der Mitte geben, die an die Kraft des Einzelnen glaubt und auf einen Staat setzt, der seine Kernaufgaben erfüllt. Das kann nur die FDP leisten. Der Liberalismus wird mehr denn je gebraucht.

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