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Finanzpolitischer Kurswechsel : Wie die Schuldenbremse gelockert werden soll

Bereichsausnahme, Verschuldungsspielraum sowie Sondervermögen für Investitionen und Infrastruktur: Das ändert sich in der Finanzverfassung des Grundgesetzes.

21.03.2025
True 2025-03-21T13:16:50.3600Z
6 Min

Mit 512 Ja-Stimmen gegen 206 Nein-Stimmen hat der Bundestag am Dienstag das Grundgesetz geändert und das Milliarden-Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur beschlossen. Nach rund sechsstündiger Debatte stand fest, dass das Finanzpaket von SPD und Union die notwendige Zweidrittelmehrheit für die Grundgesetzänderung erhalten hat. Am Freitag stimmte auch der Bundesrat mit einer Zweidrittelmehrheit zu.

Die von Bundestag beschlossenen Änderungen stellen die weitreichendste Eingriffe in die Finanzverfassung seit Einführung der Schuldenbremse im Jahr 2009 dar. Neben einem Sondervermögen für Investitionen und Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro, das sich in seiner Ausgestaltung an dem 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögen für die Bundeswehr orientiert, wird die Schuldenbremse für Bund und Länder deutlich gelockert. Die Details des beschlossenen Entwurfs:

Bereichsausnahme für Verteidigung und Sicherheit beschlossen

Im Grundgesetz wird in den Artikeln 100 und 115 eine so genannte begrenzte Bereichsausnahme für Verteidigungsausgaben und bestimmte sicherheitspolitische Verteidigungsausgaben verankert. Alle Ausgaben, die ein Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts übersteigen, sind künftig von der Schuldenbremse ausgenommen. Die Einzelheiten zur Umsetzung der Neuregelung soll der nächste Bundestag einfachgesetzlich regeln.

Foto: picture alliance/Ulrich Baumgarten

Mit einem 500-Milliarden-Euro Sondervermögen wollen Union und SPD nicht nur Investitionen in Schienenwege, sondern auch beispielsweise in Energienetze, Klimaschutz und Schulen ermöglichen.

Die Schuldenbremse des Grundgesetzes schreibt bislang vor, dass Ausgaben und Einnahmen in den Haushalten von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Kredite auszugleichen sind. Zum Ausgleich darf der Bund aber in normalen Zeiten grundsätzlich bis zu 0,35 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts als Neuverschuldung aufnehmen; läuft die Konjunktur schlecht, steigt die erlaubte Kreditaufnahme, läuft sie gut, sinkt sie.

Durch die "limitierte Bereichsausnahme" werden künftig Ausgaben für Verteidigung und bestimmte sicherheitspolitische Ausgaben, die ein Prozent des BIP übersteigen, bei der Berechnung der zulässigen Kreditaufnahme nicht mehr berücksichtigt. Sie können also ohne weitere Beschränkung schuldenfinanziert werden. Dies gilt nach dem beschlossenen Entwurf zum einen für die im Einzelplan 14 veranschlagten Verteidigungsausgaben. Hinzu kommen - das war die Forderung der Grünen - die Ausgaben für die Nachrichtendienste, die Ausgaben für den Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie den Schutz informationstechnischer Systeme, die im Einzelplan des Bundesinnenministeriums veranschlagt sind, sowie "die im Einzelplan 60 veranschlagten Aufgaben zur Ertüchtigungshilfe für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten", also aktuell die Unterstützung für die Ukraine.

Neuregelung hat erhebliche Auswirkungen auf Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels der Nato

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Legt man die Zahlen des Haushalts 2024 (Soll) zugrunde, erhält man eine ungefähre Vorstellung von den zusätzlich gewonnenen Spielräumen. Ein Prozent des BIP entspricht rund 43 Milliarden Euro. Allein der Einzelplan 14, der Verteidigungshaushalt, war seinerzeit mit rund 52 Milliarden Euro veranschlagt. Laut Bundesverteidigungsministerium flossen im selben Jahr rund 7,1 Milliarden Euro als Ertüchtigungshilfe in die Ukraine, die Ausgaben für Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militärischen Abschirmdienst beliefen sich auf rund 1,8 Milliarden Euro. Nicht direkt ablesbar sind die Ausgaben für den Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie den Schutz informationstechnischer Systeme, auf die sich der Entwurf bezieht. Deutlich wird aber: Die neu geschaffenen Spielräume sind erheblich.

Die Neuregelung hat auch - wie von SPD und Union gewünscht - erhebliche Auswirkungen auf die Erreichung des Nato-Ziels für Verteidigungsausgaben von derzeit zwei Prozent des BIP. Derzeit erreicht Deutschland das Ziel, weil auch Milliarden aus dem Sondervermögen Bundeswehr fließen. Dessen Mittel, die außerhalb der Schuldenbremse finanziert werden, laufen aber voraussichtlich 2027 aus. Ab voraussichtlich 2028, so hatte es die Bundesregierung in ihrer jüngsten Finanzplanung dargelegt, müsste das Nato-Ziel vollständig aus dem Kernhaushalt finanziert werden. Rund 30 Milliarden Euro müssten dafür aufgebracht werden, rechnete die Bundesregierung vor. Dieser unmittelbare "Handlungsbedarf" dürfte mit der Neuregelung vorerst vom Tisch sein.

Grüne konnten zwei ihrer Hauptkritikpunkte durchsetzen

Bei dem geplanten Sondervermögen, das in Artikel 143h des Grundgesetzes verankert werden soll, haben sich auf Druck der Grünen wesentliche Änderungen ergeben. Wie ursprünglich vorgesehen, soll das Sondervermögen ein Volumen von 500 Milliarden Euro haben, die Kredite sollen außerhalb der Schuldenbremse aufgenommen werden. Als Laufzeit sind nun zwölf statt zehn Jahre vorgesehen. Neu gefasst wurde die Zweckbindung. Hieß es im ursprünglichen Entwurf noch, die Mittel sollten für "Investitionen in die Infrastruktur" verwendet werden, heißt es nun, die Mittel seien "für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und für zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045".

Damit haben die Grünen zwei ihrer Hauptkritikpunkte durchgesetzt. Zum einen soll ein Zusätzlichkeitskriterium im Grundgesetz verankert werden. "Zusätzlichkeit liegt vor, wenn im jeweiligen Haushaltsjahr eine angemessene Investitionsquote im Bundeshaushalt erreicht wird", soll es dazu im Grundgesetz heißen. In der Begründung zum Änderungsantrag heißt es, dies sei "dann der Fall, wenn der im jeweiligen Haushaltsjahr insgesamt veranschlagte Anteil an Investitionen 10 vom Hundert der Ausgaben im Bundeshaushalt ohne Sondervermögen und finanzielle Transaktionen übersteigt".

Ein Fünftel des Sondervermögens soll in den Klima- und Transformationsfonds fließen

Zum anderen wird der Klimaschutz stärker berücksichtigt. Dass es im Grundgesetz nun allerdings "zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045" heißt, hatte in den vergangenen Tagen für einige Diskussionen gesorgt. Kritiker befürchten, dass es den Grünen damit gelungen sei, ein implizites Staatsziel in der Finanzverfassung des Grundgesetzes unterzubringen - mit womöglich von Union und SPD ungewollten Folgen.

Foto: Bundesrat/Steffen Kugler

Für die Grundgesetzänderung zur Schuldenbremse muss auch der Bundesrat zustimmen. Die Abstimmung über das Finanzpaket ist für Freitag geplant.

Konkret bedeutet die Einigung der Parteien, dass ein Fünftel des Sondervermögens, also 100 Milliarden Euro, in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) fließen soll. Der Klima- und Transformationsfonds, ein seit Jahren bestehendes Sondervermögen des Bundes, war in den vergangenen Jahren erheblich unter Druck geraten, nachdem das Bundesverfassungsgericht Ende 2023 den zweiten Nachtragshaushalt 2021 für nichtig erklärt hatte. Damit gingen Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro verloren, die mit dem Nachtragshaushalt auf den KTF übertragen worden waren.

Verschuldungsspielraum der Länder soll der neue Bundestag einfachgesetzlich regeln

Neben Investitionen in den Klimaschutz sollen die Mittel in die Verkehrs- und Energieinfrastruktur, in Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, aber auch in Krankenhausinvestitionen fließen, wie es in der ursprünglichen Gesetzesbegründung von SPD und Union heißt. Die Details soll der nächste Bundestag einfachgesetzlich regeln. 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen sollen den Ländern für Investitionen zur Verfügung gestellt werden, das Kriterium der Zusätzlichkeit gilt hier nicht unmittelbar. Weitere Details sollen ebenfalls einfachgesetzlich geregelt werden.

Auch die Regelungen zum Verschuldungsspielraum der Länder müssen vom nächsten Bundestag noch einfachgesetzlich ausgestaltet werden. Anders als der Bund dürfen sie bisher im Normalfall keine neuen Kredite zum Haushaltsausgleich aufnehmen. Künftig soll in Artikel 109 des Grundgesetzes festgeschrieben werden, dass auch die Ländergesamtheit über einen Verschuldungsspielraum von bis zu 0,35 Prozent des BIP verfügt. Die genaue Verteilung auf die einzelnen Länder muss noch geregelt werden. Mit der Neuregelung im Grundgesetz wird auch normiert, dass landesrechtliche Regelungen, etwa in den Landesverfassungen oder in den Haushaltsordnungen, die hinter dieser neuen Kreditobergrenze zurückbleiben, außer Kraft treten.

Union und SPD wollen eine weitere Reform der Schuldenbremse

Union und SPD haben sich in ihren Sondierungsgesprächen auch auf eine weitergehende Reform der Schuldenbremse verständigt. Danach soll eine Expertenkommission einen Vorschlag für eine Modernisierung der Schuldenbremse erarbeiten, "die dauerhaft zusätzliche Investitionen zur Stärkung unseres Landes ermöglicht". Das Gesetzgebungsverfahren soll noch 2025 abgeschlossen werden.

Politisch dürfte das schwierig werden. Im 21. Deutschen Bundestag, der sich am 25. März konstituiert, wären Union und SPD für eine Grundgesetzänderung nicht nur auf die Stimmen der Grünen angewiesen, sondern auch auf die der AfD oder der Linken. Eine Zusammenarbeit mit der AfD gilt für alle anderen Parteien als ausgeschlossen. Eine Zusammenarbeit mit der Linken war für die Union bisher ein rotes Tuch.

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