Auf dem Weg zur Klimaneutralität : Debatte um Klimaschutzgesetz geht weiter
Die Ampel hat schwer mit sich gerungen. Jetzt gibt es ein neues Klimaschutzgesetz - doch das Ergebnis bleibt umstritten.
Die Regierung hält sich nicht an das geltende Klimaschutzgesetz (KSG). Das hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg der Ampelkoalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP im November 2023 attestiert: Der 11. Senat gab Klagen der Deutschen Umwelthilfe und des BUND statt und verurteilte die Bundesregierung ein Sofortprogramm nach Paragraph 8 des KSG zu beschließen, um die gesetzlich vorgegebenen Jahresemissionsmengen einzuhalten. Die Regierung ging in Revision gegen das Urteil.
Macht die Novelle das Klimaschutzgesetz besser? Auch nach der politischen Einigung gibt es auf diese Frage zu verschiedene Antworten.
Der Hintergrund des Rechtsstreits ist folgender: Mit dem KSG wurden 2019 die Klimaschutzziele in Deutschland erstmals verbindlich geregelt. Auf den Weg gebracht hatte das die damalige große Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Für einzelne Sektoren - Energiewirtschaft, Industrie, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft, Verkehr, Gebäude und Sonstiges - wurden bis 2030 zulässige Jahresemissionsmengen festgelegt. Das Ziel dahinter: 65 Prozent weniger CO2 bis 2030, Klimaneutralität bis 2045.
Jeder Sektor muss CO2 einsparen
Dafür müssen, wenn es nach dem Gesetz geht, jeder Sektor, jedes Ministerium jährlich einen Beitrag leisten und Einsparungen nachweisen. Verfehlt einer der Sektoren seine Ziele, muss innerhalb weniger Monate ein Sofortprogramm aufgelegt werden, um die Einhaltung der Emissionsmengen sicherzustellen.
2022 überschritt der Sektor Verkehr zum wiederholten Male die gesetzlichen Zielwerte. Die Regierung legte daraufhin ein generelles Klimaschutzprogramm vor, damit die "Klimalücke" beim Einsparen von Treibhausgasen kleiner wird - und sah damit die Pflicht zum Nachsteuern als erfüllt an. Das sah das OVG anders: Das Klimaschutzprogramm erfülle nicht die Anforderungen an ein Sofortprogramm im Sinne des KSG, erklärte das Gericht - das müsse nämlich kurzfristig wirksame Maßnahmen zur Einhaltung der Emissionsziele enthalten, was das Klimaprogramm nicht tue.
Keine Sofortprogramme mehr
Es wird trotz der Verurteilung durch das OVG kein Sofortprogramm mehr geben, denn die Ampelfraktionen haben unterdessen den Weg für eine Änderung des KSG geebnet, die der Bundestag seit Herbst 2023 beraten und nach einigen Verzögerungen jetzt am Freitag beschlossen hat.
Die Novelle des KSG sieht nun vor, genau das zur Regel zu machen, was das OVG als Mangel monierte: Die Einhaltung der Klimaziele soll nicht mehr rückwirkend nach den verschiedenen Sektoren kontrolliert werden, sondern in die Zukunft gerichtet, mehrjährig und sektorübergreifend.
Einsparungen können verrechnet werden
Das bedeutet: Stößt der Verkehr auch künftig zu viel klimaschädliches CO2 aus, kann dies durch eine höhere Einsparung etwa bei der Stromerzeugung in der Industrie ausgeglichen werden.
Damit folgt die Ampel dem Beispiel anderer Länder mit Klimaschutzgesetzen wie Großbritannien, Finnland oder Schweden, wo nur Gesamteinsparungen festgehalten sind, nicht aber jahresgenaue, gesetzlich verbindliche Sektorziele.
Experte befürchtet "Verantwortungsdiffusion"
Im Fokus steht also künftig, ob der Treibhausgas-Ausstoß insgesamt reduziert wird, unabhängig davon, in welchem Bereich er entsteht. Die Klimaschutzziele blieben unverändert ehrgeizig, durch die Reform dürfe nicht eine Tonne mehr CO2 ausgestoßen werden als mit dem bisherigen Gesetz, heißt es regierungsseitig. Es werde weiter "volle Transparenz" bei den einzelnen Sektoren geben, weiterhin deutlich gemacht, wo die Emissionen entstehen und welcher Sektor "on track" sei. Und durch die gemeinsame Sorge aller um die Einhaltung der Ziele werde die Gesamtverantwortung der Bundesregierung noch gestärkt.
Das freilich sehen Kritiker ganz anders. Umweltverbände - und auch die CDU - befürchten vor allem, dass sich einzelne Ministerien durch die geplante Abschaffung der verbindlichen Sektorziele aus der Verantwortung ziehen könnten. Mit dem KSG gehe es offenbar darum, "säumige Ministerien vor schlechter Presse zu schützen" und "Klimablockadepolitik in Schlüsselsektoren in einer mehrjährigen Gesamtrechnung zu verstecken, sagte etwa Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, bei der Anhörung im Klimaschutz-Ausschuss. Kraenner sprach von drohender "Verantwortungsdiffussion".
FDP wollte "Planwirtschaft" beenden
Andere sehen mit Sorge, dass künftig nur dann neue Maßnahmen nötig werden und die Regierung nachsteuern muss, wenn die Gesamtemissionsmenge aller Sektoren in der Vorausschau überschritten wird. Und das auch nur dann, wenn das zwei Jahre in Folge der Fall ist. Das heißt in der Praxis: Die jetzige Regierungskoalition kann es nicht mehr treffen. 2025 wird in Deutschland gewählt.
Die Grünen hätten gern an den Sektorzielen festgehalten. Die FDP aber hatte schon bei den Koalitionsverhandlungen 2021 auf eine Reform des KSG gedrängt, die bei der Nachsteuerung mehr Flexibilität möglich macht. "Die alte Planung der großen Koalition war Planwirtschaft pur", sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr damals. Das Ziel müsse stattdessen sein, "dass wir technologieoffen unterwegs sind, dass wir innovativ sind und breit aufgestellt."
Ampel bindet auch die Nachfolger
Die Grünen setzten im Gegenzug durch, dass die Bundesregierung dazu verpflichtet wird, erstmals auch für die Jahre 2031 bis 2040 konkrete Klimaschutzmaßnahmen zu erlassen: Demnach soll Deutschland bis 2040 seine CO2-Emissionen um 88 Prozent reduzieren. Zudem muss künftig jede neue Regierung innerhalb der ersten zwölf Monate ihrer Amtszeit ein Klimaschutzprogramm beschließen. Die Ampelkoalition bindet damit also auch ihre Nachfolger.
Das Kabinett der Ampel hat ein solches, vom KGS gefordertes Klimaschutzprogramm im Oktober 2023 beschlossen. Es enthält die konkreten Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung die Klimaschutzziele bis 2045 erreichen will. Einige Maßnahmen des aktuellen Programms sind bereits umgesetzt, so zum Beispiel: das Deutschland-Ticket, die CO2-abhängige LKW-Maut, Verfahrensbeschleunigungen und Flächen für den Ausbau Erneuerbarer Energien und die Förderungen für energetisches Bauen und Sanieren.
Wirtschafts- und Klimaschutz-Minister Robert Habeck (Grüne) sagte, "mit den Maßnahmen des Klimaschutzprogramms können wir - wohlgemerkt, wenn wir sie konsequent umsetzen - voraussichtlich bis zu 80 Prozent der Klima-Lücke schließen, die wir von der großen Koalition geerbt haben. Das Ziel bis 2030 die Klimagas-Emissionen um 65 Prozent zu senken, ist damit erstmals in Reichweite gerückt."
Tatsächlich hat der Expertenrat für Klimafragen Anfang April bestätigt, dass es aufs Ganze gesehen im vergangenen Jahr 2023, einen starken Rückgang der Emissionen im von rund zehn Prozent gegenüber 2022 gab - der höchste prozentuale Rückgang innerhalb eines Jahres seit 1990. Wie Minister Habeck aber auch, führte Expertenrat das nicht auf wirksame Klimaschutzpolitik, sondern die schwächelnde Wirtschaft und das Wetter zurück. Unter anderen Bedingungen wäre das Jahres-Gesamtziel wohl nicht erreicht worden, erklärten die Experten.
Verkehrssektor verfehlt Ziele drei Mal in Folge
Und zur Wahrheit gehört, dass der Verkehrsbereich auch 2023 wieder deutlich mehr Abgase verursacht als gesetzlich erlaubt. Die bisher beschlossenen Maßnahmen reichten nicht aus, stellte der Expertenrat fest.
In dieser Situation kommt dem zuständigen Minister das neue KSG sehr gelegen: Die jetzt beschlossenen Änderungen machen vor allem Volker Wissing (FDP) das Leben leichter. Denn der Verkehr ist und bleibt das Klima-Sorgenkind Nummer 1. "Wir können die CO2-Emissionen nicht beliebig kurzfristig reduzieren, weil wir mobil sein müssen", sagt Wissing zur Begründung und erklärt: "Insofern haben wir im Mobilitätsbereich ein Problem." Weg vom Verbrenner hin zu Elektroautos - das brauche Zeit, und bis sich die Umstellung merklich in der CO2-Bilanz niederschlage, könnten noch einige Jahre ins Land gehen. CO2-Einsparungen in anderen Sektoren seien vorläufig leichter zu erreichen.
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Das ist womöglich nicht ganz falsch. Klimaschutz im Verkehrssektor ist herausfordernd: Hier werden 20 Prozent des CO2-Ausstoßes produziert. Kritiker ärgert aber, dass der Minister mit Fahrverboten droht, sich aber gegen ein Tempolimit auf Autobahnen und andere, niedrigschwelligere Maßnahmen stemmt wie etwa auch den Abbau der steuerlichen Vorteile von Dienstwagen oder eine Umgestaltung der Pendlerpauschale.
Kritiker setzen auf Emissionshandel
Die Hoffnungen ruhen nun auf Europa. Die EU-Staaten haben sich Ende 2023 darauf geeinigt, den CO2-Emissionshandel von 2027 an auszuweiten. Emissions-Obergrenzen gelten jetzt schon im Industrie- und Energiesektor, und künftig auch für die Bereiche Verkehr und Gebäude. Für Klimasünder wird es dann teurer. Unternehmen müssen Verschmutzungsrechte kaufen, um Treibhausgase ausstoßen zu dürfen. Und den Mitgliedstaaten drohen Strafen, wenn sie ihre Klimaschutzziele nicht erreichen. Das gilt auch für den Verkehrssektor.