Andreas Jung zum Klimaschutzgesetz : "Die Ampel hat das Klimaschutzgesetz entkernt"
Der Unionsfraktions-Vize Andreas Jung kritisiert die Aufweichung der Sektorziele im Klimaschutzgesetz als "Rückschritt für den Klimaschutz".
Herr Jung, das Klimaschutzgesetz wurde novelliert. Ist es besser geworden?
Andreas Jung: Im Gegenteil. Die Ampel hat das Klimaschutzgesetz entkernt. Es wird an entscheidender Stelle aufgeweicht. Bisher galt: Wird das Jahresziel gerissen, greift die Pflicht zur Nachsteuerung, damit die Lücke geschlossen statt immer größer wird. Wohlgemerkt: Auch im geltenden Klimaschutzgesetz gibt es die Option, den Lückenschluss sektorübergreifend zu schaffen. Die Ampel geht nicht nur an die Sektoren ran, auch diese Gesamtverantwortung wird nun ausgehöhlt und durch eine unverbindliche Regelung ersetzt. So wird letzten Endes nicht nachgesteuert, vielmehr wird der Streit der Minister auf Dauer gestellt. Das ist ein Rückschritt für den Klimaschutz.
Die Grünen hatten in der Opposition das alte Klimaschutzgesetz als nicht ausreichend bewertet, tragen jetzt aber die Aufweichung der Sektorziele mit. Was halten Sie davon?
Andreas Jung: Mir hat die Fantasie gefehlt, dass die Grünen die Aufweichung eines Klimaschutzgesetzes beschließen, das sie in der Opposition als zu lasch hart kritisiert haben. Es hat sich gezeigt, dass unser Gesetz Zähne hatte: Es hat die Bundesregierung zu zusätzlichen Maßnahmen gesetzlich verpflichtet. Statt sie zu erfüllen, wird jetzt die Pflicht abgeschafft: Die Ampel stellt sich selbst einen Freibrief aus. Das Ziel muss nun mit Blick auf 2030 zweimal verfehlt werden, bevor mit Maßnahmen gegengesteuert werden muss. Dann ist die Wahlperiode vorbei. Ganz egal wie die Emissionen sich entwickeln: Die Ampel wird jetzt also keine Verpflichtung aus dem Gesetz mehr treffen. Sie verschiebt verlässlichen Klimaschutz in die Zukunft und die Pflicht zur Umsetzung auf die kommende Regierung.
Andreas Jung ist seit 2005 Mitglied des Bundestages. Der 48-Jährige aus Konstanz ist Sprecher für Klimaschutz und Energie der CDU/CSU-Fraktion.
Vor allem im Verkehrssektor hätte es Sofortmaßnahmen gebraucht. Wären Unions-Verkehrsminister für Fahrverbote und Tempolimit eingetreten?
Andreas Jung: Fahrverbote haben nie gedroht. Das ist ein Schreckensszenario, das Volker Wissing aufgebaut hat, um Druck auszuüben. Das Gesetz verpflichtet auch nicht zu einem Tempolimit. Sofortmaßnahme heißt nicht, dass die Maßnahmen über Nacht wirken müssen, wohl aber dass unmittelbar zusätzlich etwas vorgelegt werden muss. Genau das verweigert Wissing aber kontinuierlich. Dabei hätte er Spielraum bei der Art der Maßnahmen. Er könnte Biokraftstoffe stärken, klimafreundliche LKWs fördern oder die Schnellladeinfrastruktur ausbauen. Stattdessen geht es in die falsche Richtung: Der Umweltbonus zur Förderung der Elektromobilität wurde in einer Nacht und Nebel-Aktion abgeschafft. Die Batterieförderung wurde um 75 Prozent gekürzt - und bei der Bahn wird der Rotstift angesetzt.
Jetzt gibt es aber mehr Flexibilität zwischen den Sektoren, um das Gesamtziel zu erreichen.
Andreas Jung: Auch bisher galt: Was in einem Sektor nicht geht, kann durch mehr Einsparungen in einem anderen Sektor ausgeglichen werden. Voraussetzung: Das geht dort auch wirklich. Flexibilität gab es also schon, aber mit Verbindlichkeit.
Was es ebenfalls gab, war die Zusage der Ampel, den steigenden CO2-Preis durch ein Klimageld aufzufangen. Das kommt nun nicht. Wie bewerten Sie das?
Andreas Jung: Damit wird der Emissionshandel als wichtiges marktwirtschaftliches Klimainstrument beschädigt. Bei der Einführung von CO2-Preisen im Verkehr und bei Gebäuden wurde beschworen, dass die Einnahmen zur sozialen Abfederung zurückgegeben werden, statt sie zum Stopfen von Haushaltslöchern zu verwenden. Dafür gibt es mehrere Wege. Alle drei Ampelparteien haben im Wahlkampf ein Klimageld versprochen. Jetzt kommt es nicht und das Geld wird ganz anders verplant. Das beschädigt die Akzeptanz...
... die laut Umfragen im Sinken ist. Sind die Menschen angesichts von Pandemie und Krieg einfach krisenmüde?
Andreas Jung: Der falsche Ansatz beim Heizungsgesetz, gebrochene Versprechen beim Klimageld und Sorge um Arbeitsplätze sind eher verantwortlich. Dazu kommt das entkernte Klimaschutzgesetz. So wird Akzeptanz und Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt.
Verabschiedet wurde am Freitag auch der Solarpakt I. Damit wird unter anderem der Anschluss von Balkonkraftwerken erleichtern. Eine gute Sache, oder?
Andreas Jung: Das stimmt, obgleich auch hier das Verfahren zu kritisieren ist. Erst streitet die Ampel nach dem Kabinettsbeschluss sieben Monate, dann soll das Parlament in sieben Tagen entscheiden. Gleichwohl stehen erleichterte Anschlüsse und Verbesserungen beim Mieterstrom auf der Haben-Seite. Aber: Wir brauchen eine klare Priorität für Doppelnutzungen, PV-Ausbau und Erhalt von Ackerflächen. Die Fortschritte bei Agri-PV und Parkplatz-PV im Paket greifen zu kurz. Die rechtlichen Hürden werden nicht konsequent abgeräumt. Bei der Baggersee-PV bleibt es bei den von der Ampel selbst aufgebauten Barrieren.
Keine Rolle im Solarpaket spielt das Thema Netzausbau. Ist nicht aber hier der Flaschenhals?
Andreas Jung: Ja, und deshalb darf man nicht nur Maßnahmen zum Ausbau der Erneuerbaren auf den Weg bringen, sondern muss sicherstellen, dass die produzierte Energie auch genutzt werden kann. Wir brauchen eine Systematik, die die Systemdienlichkeit unterstützt. Da geht es auch um Speicher.
Sonne und Wind werden für eine zuverlässige Energieversorgung nicht ausreichen...
Andreas Jung: Daher brauchen wir eine verlässliche Energie als Partner von Wind und Sonne. Die Regierung plant für viele Milliarden Euro eine Kraftwerksstrategie für neue Gaskraftwerke. Sie riskiert aber, dass die vorhandene zuverlässige Bioenergie massiv abgebaut wird. Es gibt keinerlei verlässliche Perspektiven für bestehende Biogasanlagen.
Verlässliche Energieproduktion wäre auch mit Kernkraft möglich. Die Kraftwerke sind aber abgeschaltet, die Kernforschung ist so gut wie gestoppt.
Andreas Jung: Wir hätten die drei Kernkraftwerke inmitten der Energiekrise nicht abgestellt. Unmittelbare Folge davon war, dass wir im letzten Jahr Energie importiert haben. Auch Kernenergie aus Frankreich und fossilen Strom. Im Grundsatzprogramm formulieren wir unsere generelle Haltung.
Die wie genau aussieht?
Andreas Jung: Offenheit für Forschung und neue Ergebnisse. Ausdrücklich werden Forschungsprojekte bei Kernkraftwerken der 4. und 5. Generation genannt. Bei ihnen erhofft man sich, Risiken drastisch minimieren zu können und die Atommüllfrage zu entschärfen. Wir wissen nicht, welche Entwicklungen es in 10 oder 15 Jahren gibt. Da sollten wir keine Türen zuschlagen.
Kurzfristig also kein Kernkraft-Revival mit der Union?
Andreas Jung: Neben der Offenheit für Forschung und künftige Entwicklungen brauchen wir zum Erreichen eines klimaneutralen Industrielands eine belastbare Strategie mit den heute verfügbaren Technologien. Dabei setzen wir auf die Säulen Energieeffizienz, Erneuerbare Energien, Wasserstoff und CO2-Kreisläufe mit CCS und CCU. All das muss pragmatisch vorangebracht werden. Als Brücke kommen Gaskraftwerke dazu, die dann klimaneutral umgestellt werden.
Stichwort Kernenergie: Es gibt den Verdacht, dass im Wirtschaftsministerium Informationen zurückgehalten wurden, die gegen eine Abschaltung der AKW im letzten Jahr gesprochen haben.
Andreas Jung: Der Verdacht konnte in der Sondersitzung am Freitag nicht ausgeräumt werden. Robert Habeck hatte öffentlich eine ergebnisoffene Prüfung zum Weiterbetrieb der drei Kernkraftwerke in der Krise angekündigt. In seinem Ministerium wurde aber offenbar das Gegenteil gemacht, inklusive dem Verdrehen von Fakten. Der Minister ist politisch für alle Vorgänge in seinem Ministerium verantwortlich. Er muss jetzt lückenlos Aufklärung schaffen.
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