Atom-Ausschuss : Zeuge spricht von "blankem Horror"
Der Untersuchungsausschuss setzte am Mittwoch und Donnerstag seine Arbeit fort. Es ging um die Verfügbarkeit von Brennstoffen und Szenarien zur Energiekrise.
Für einen Weiterbetrieb der verbliebenen drei deutschen Kernkraftwerke über das Jahresende 2022 hinaus hätten rechtzeitig Brennelemente zur Verfügung gestanden, und auch die Lieferung von Uran wäre offensichtlich kein Problem gewesen. Man sei von der Bundesregierung aber gar nicht gefragt worden, beschwerten sich Vertreter der Atomindustrie in dieser Woche im 2. Untersuchungsausschuss des Bundestages, der die Umstände des deutschen Atomausstiegs untersucht.
Martin Pache, Geschäftsführer der Westinghouse Electric Germany GmbH, machte klar, dass die beteiligten Ministerien (Wirtschaft und Umwelt) entgegen einem Pressebericht keineswegs bei seinem Unternehmen nachgefragt hätten, ob die übliche Fertigungsdauer von Brennelementen zwischen Vertrag und Lieferung von zwölf bis 18 Monaten hätte verkürzt werden können.
Hätte liefern können: Sitz der Uran-Firma Urenco in Gronau (Nordrhein-Westfalen)
Am 7. März 2022 hatten Umwelt- und Wirtschaftsministerium in einem gemeinsamen "Prüfvermerk" erklärt, dass ein Weiterbetrieb der letzten deutschen Atomanlagen aus sicherheitstechnischen Gründen und wegen der langwierigen Beschaffung neuer Brennelemente abgelehnt werde. Im August gab es dann laut Pasch erneut Hinweise auf eine mögliche Laufzeitverlängerung. Damals habe Westinghouse deutlich gemacht, wenn es zur Einigung mit allen Zulieferern komme, könne eine Brennelemente-Lieferung binnen sechs oder sieben Monaten möglich sein.
Pasch versicherte, dass nach dem Beginn des Ukraine-Krieges Lieferengpässe oder Uran-Abhängigkeiten von Russland nicht gedroht hätten. Unter anderem Westinghouse stelle auch Brennelemente für Reaktoren russischer Bauart her, wie sie etwa in Slowenien oder Tschechien gebraucht würden. Und ausreichende Kapazitäten für Uranlieferungen gebe es auch außerhalb Russlands.
Urenco-Geschäftsführer: Hätten Uran liefern können
Auch Jörg Harren, Geschäftsführer der Urenco Deutschland GmbH, erklärte, wenn er gefragt worden wäre, hätte er darstellen können, dass sein Unternehmen kurzfristig mehr angereichertes Uran für Brennstäbe hätte liefern können. Die drei letzten deutschen Kernkraftwerke hätten für sein Unternehmen jedoch nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Konfrontiert mit der Behauptung, die weltweiten Uranvorräte reichten nur noch 20 Jahre, meinte er: "Quatsch mit Soße". Uran komme viel häufiger vor als etwa Gold. Es gebe auch keine Abhängigkeit von Russland.
Bei früheren Vernehmungen von Kraftwerksbetreibern im Ausschuss hatte sich ergeben, dass der schließlich von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) entschiedene Streckbetrieb der letzten drei Atomkraftwerke bis Mitte April 2023 auch ohne neue Brennelemente möglich war. Zentraler Grund für den Streckbetrieb war die sich im Sommer 2022 stark verschlechternde Energieversorgungslage in Deutschland, was auch in einem zweiten Stresstest der Übertragungsnetzbetreiber zum Ausdruck kam. Der erste Stresstest war noch nicht so pessimistisch ausgefallen. Daraufhin hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) offenbar Vorgaben gemacht, die Risiken für die Energieversorgung stärker zu berücksichtigen.
Ein Vertreter der Bundesnetzagentur zeigte bei seiner Vernehmung Verständnis für die Vorgaben von Habeck. Der Minister sei offenbar mit dem ersten Stresstest der Übertragungsnetzbetreiber unzufrieden gewesen und habe die Berücksichtigung von mehr Risiken und Gefährdungen gewollt, schilderte der Vertreter der Bundesnetzagentur.
Der Wirtschaftsminister habe drei oder vier Kriterien formuliert, offenbar um sich nicht vorwerfen zu lassen, Risiken unterschätzt zu haben. Ein Zeuge aus dem Wirtschaftsministerium bestätigte, es habe die Bitte gegeben, das System so zu stressen, dass neuralgische Punkte erkennbar würden.
Zweiter Stresstest war eine Art Weltuntergangsszenario
Die Ergebnisse des zweiten Stresstests nannte der Vertreter der Netzagentur jedoch derart alarmistisch, dass man daraus auch eine Art Weltuntergangsszenario hätte machen können. Dadurch hätte das Risiko bestanden, dass es zu einer weiteren Erhöhung der damals schon ohnehin hohen Energiepreise hätte kommen können. Der Zeuge erklärte, eine mehrjährige Verlängerung der Laufzeiten hätte sich mit den Ergebnissen des zweiten Stresstests nicht begründen lassen. Die Entscheidung für einen mehrmonatigen Streckbetrieb, wie sie dann von Bundeskanzler Olaf Scholz getroffen worden sei, "hat mir schon gepasst", erklärte der Zeuge.
Forderungen aus der Politik nach sofortigem Stopp russischer Lieferungen unmittelbar nach Beginn des Krieges hätten bei der Bundesnetzagentur "blanken Horror" ausgelöst, so der Zeuge. Das hätte zu einer Gasmangellage geführt. Es wäre eine Umstellung auf Planwirtschaft erfolgt. Die Bundesnetzagentur hätte entscheiden müssen, wer noch Gas bekomme. Es hätte die Notfallstufe im Sinne des Energiesicherheitsgesetzes ausgerufen werden müssen.
Die Bundesnetzagentur hätte prüfen müssen, welche Abschaltmaßnahmen sinnvoll seien. Verbraucher seien geschützte Kunden. Dann gebe es systemrelevante Gaskraftwerke, die für Stabilität im Stromnetz sorgen und nicht abgeschaltet werden könnten. Der Rest müsse dann zeitweise abgeschaltet werden. Inzwischen wisse man, welche Abschaltungen sinnvoll wären. Im Frühjahr 2022 hätte man nur raten können.