Schadstoffe in der Luft : Aufschub für strengere EU-Vorschriften zur Luftqualität?
Die EU-Kommission plant, die Grenzwerte für Schadstoffe wie Feinstaub und Stickoxide zu verschärfen. Im Bundestag warnt die Union vor drohenden Fahrverboten.
Die Luftverschmutzung durch Verkehr und Industrie, wie hier in Duisburg, sind laut Wissenschaftlern das größte Umweltrisiko für die Gesundheit.
Sie ist laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) das größte Umweltrisiko für die Gesundheit: Luftverschmutzung. Seit Anfang der 1990er Jahre hat sich zwar die Luftqualität in Europa deutlich verbessert, in Deutschland etwa konnte der Ausstoß von Stickstoffdioxid und Feinstaub mehr als halbiert werden, doch noch immer verursachen Schadstoffemissionen vor allem in Städten schwere Krankheiten wie Asthma und sogar Todesfälle. Die Europäische Umweltagentur (EUA) schätzt die Zahl der vorzeitigen Todesfälle in der EU aufgrund der Luftbelastung mit Feinstaub, Stickstoffdioxid und Ozon auf über 300.000 jährlich. Verschmutzte Luft ist aber der EUA zufolge auch für den fortschreitenden Verlust der biologischen Vielfalt mitverantwortlich: Sie schädigt Ökosysteme und führt nicht zuletzt auch zu Ernteeinbußen in der Landwirtschaft.
Bis 2030 sollen die Grenzwerte teils um die Hälfe sinken
Gute Gründe, weshalb die EU-Kommission bereits im vergangenen Oktober ihren Vorschlag für eine Änderung der seit 2008 geltenden EU-Luftqualitätsrichtlinie im Rahmen ihres "Null-Schadstoff-Aktionsplans" vorgelegt hat. Das Ziel: Bis 2030 sollen Ziel- und Grenzwerte für Ozon, Feinstaub, Stickstoffdioxid und Schwefeldioxid teils um die Hälfte sinken und sich damit den noch strengeren Empfehlungen der WHO annähern. Im Fall von Stickstoffdioxid würde der Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft auf 20 Mikrogramm herabgesetzt. Für Feinstaub der Partikelgröße 2,5 Mikrometer soll ein Grenzwert von zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft anstatt von bisher 25 Mikrogramm gelten.
"2018/19 hatten überschrittene Stickstoffdioxid-Grenzwerte in Stuttgart und anderen Ballungsgebieten schon einmal zu Fahrverboten für ältere Diesel-Fahrzeugen geführt."
Doch ob es so kommt, ist fraglich, denn das Vorhaben ist höchst umstritten - auch in Deutschland: Während Mediziner und Umweltschützer an die Bundesregierung appellieren, sich für saubere Luft einzusetzen und das ambitionierte Vorhaben nicht scheitern zu lassen, verweisen Wirtschaftsvertreter auf drastische Folgen verschärfter Grenzwerte. In einer Anhörung im Umweltausschuss Ende September warnte der Stahlhersteller ThyssenKrupp vor Anlagenstilllegungen und Arbeitsplatzverlusten.
AfD hält strengere Grenzwerte für "Irrsinn"
Es sind Sorgen, die die Union teilt. Sie drängt in einem Antrag zu einem Aufschub. Erst 2040 sollten strengere Grenzwerte greifen, heißt es dort. Aktuell seien sie nicht einzuhalten. Zu früh eingeführt, könnten sie zu einer "Klagewelle" und "flächendeckenden Fahrverboten" führen, argumentierte Anja Weisgerber (CSU), als der Bundestag am Donnerstagabend über die Vorlage beriet. 2018/19 hatten überschrittene Stickstoffdioxid-Grenzwerte in Stuttgart und anderen Ballungsgebieten schon einmal zu Fahrverboten für ältere Diesel-Fahrzeugen geführt, die diesen Luftschadstoff stark ausstoßen. Eine solche Situation drohe erneut. Weisgerber hielt der Regierung vor, die Gefahr zu missachten: Bei der Abstimmung im Europäischen Rat habe sie sich enthalten. Das zeige auch, wie gespalten die Ampel sei.
Die AfD kritisierte die Pläne der EU-Kommission zur Absenkung der Grenzwerte als "reinen Irrsinn": Im Industrie- und Technologiezeitalter lasse sich keine "Null-Schadstoff-Strategie" umsetzen, so Andreas Bleck, "es sei denn, man möchte zurück ins vorindustrielle Zeitalter".
SPD kritisiert "Schwarmalerei"
Redner der FDP, die in den parlamentarischen Beratungen gemahnt hatten, technische und finanzielle Belastungen für Unternehmen mehr zu berücksichtigen, ergriffen in der Debatte nicht das Wort. Nils Gründer (FDP) gab seine Rede, ebenso wie der Linken-Abgeordnete Ralph Lenkert, zu Protokoll. (Dieses lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor, Anm. d. Red.)
Redner der Koalition bezichtigten Union und AfD der "Schwarzmalerei". Daniel Rinkert (SPD) betonte, die allgemeine Ausrichtung des Rates berücksichtige deutsche Forderungen, wie etwa die nach mehr Flexibilität bei der Umsetzung der neuen Richtlinie. Wo die Einhaltung von Grenzwerten "aufgrund standortspezifischer Bedingungen oder ungünstiger klimatischer Voraussetzungen unerreichbar" sei, könnten die EU-Staaten beantragen, die Frist zur Einhaltung um "maximal zehn Jahre, bis Januar 2045" zu verlängern.
Tessa Ganserer (Grüne) unterstrich, das Thema saubere Luft habe auch eine gern vergessene "soziale Komponente": Den Gefahren verschmutzter Luft seien vor allem Menschen mit geringem Einkommen ausgesetzt, weil sie häufiger als andere an "Verkehrs-Hotspots" lebten.
Der Bundestag lehnte den Antrag schließlich ab. Die Entscheidung auf EU-Ebene steht dagegen noch bevor: Die Trilogverhandlungen über eine neue Luftqualitätsrichtlinie beginnen bereits in der kommenden Woche.