Merkel als letzte Zeugin im U-Ausschuss : Eine Prise Selbstkritik
Die Altkanzlerin lässt Zweifel an den Entscheidungen rund um die Evakuierung aus Afghanistan durchblicken. Erneut stand das BND-Lagebild im Fokus des Ausschusses.
Mit einer Spur von Selbstkritik hat Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrer Vernehmung als Zeugin im Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestages auf die Entscheidungen rund um die Evakuierung aus Kabul zurückgeblickt. Sie betonte, beim Abzug der Bundeswehr und der Räumung von Camp Marmal im Norden Afghanistans sei 2021 alles gut gelaufen. "Der Zeitplan wurde eingehalten. Ich war darüber sehr erleichtert", sagte Merkel, die als letzte Zeugin des Ausschusses am Donnerstag auftrat. Mitte November war zuletzt ihr Nachfolger im Amt, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), von den Abgeordneten befragt worden.
Sie halte die deutsche Beteiligung an dem Militäreinsatz in Afghanistan auch im Rückblick für richtig, sagte Merkel vor dem Ausschuss. Denn damals habe es die "begründete Hoffnung" gegeben, dass danach keine weiteren Terrorangriffe von Afghanistan aus geplant werden würden. Bei allen anderen Zielen - von der Rechtsstaatlichkeit bis zu den Frauenrechten - "müssen wir, muss die internationale Gemeinschaft feststellen, gescheitert zu sein", führte sie weiter aus.
Als Ursache für das Scheitern nennt Merkel mangelndes kulturelles Verständnis
Als Ursachen für dieses Scheitern nannte sie unter anderem mangelndes kulturelles Verständnis der westlichen Verbündeten, Vetternwirtschaft und Rauschgifthandel. Auch habe man wohl die geopolitische Lage des Landes und den Einfluss Pakistans auf das eigene Engagement nicht ganz richtig eingeschätzt. Dass man Afghanistan damals auf der Flucht vor den Taliban habe evakuieren müssen, sei "ein furchtbares Scheitern" gewesen.
Die mangelnden Fortschritte in Afghanistan hätten sie 2011 auch skeptisch werden lassen, was mehr Engagement in Libyen nach dem Aufstand gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi betraf. Sie habe damals gedacht, man solle dort nicht "eine nächste Baustelle" anfangen.
Dass es in jedem Fall auf eine Evakuierung aus Kabul hinauslaufen werde, sei ihr ab dem 13. August 2021 - dem letzten Tag ihres Sommerurlaubs - bewusst gewesen, als sie telefonisch über die dramatische Zuspitzung der Lage in Afghanistan informiert worden sei, sagte Merkel. Die Taliban hatten am 15. August 2021 mit der Eroberung von Kabul - praktisch ohne Gegenwehr - komplett die Kontrolle über Afghanistan übernommen. Dass Präsident Aschraf Ghani damals aus dem Land geflohen sei, nennt Merkel wenig beispielhaft. Sie stellte einen Vergleich mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj her, der nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022 vor Ort geblieben sei.
In ihrem Eingangsstatement schilderte Merkel sehr genau, wann in welcher Konstellation über die Situation in Afghanistan und die Ortskräfte gesprochen wurde. "So systematisch wie Sie hat hier niemand eingeführt", erklärte dazu der Ausschussvorsitzende Ralf Stegner (SPD), der die Vernehmung auch auf einen besonderen Aspekt lenkte und Bezug nahm auf die Vernehmung von Brigadegeneral Ansgar Meyer im Jahr 2023. Nach dessen Aussage habe Merkel ihm damals aufgetragen, dass sie keine Bilder wie in Saigon sehen wolle, was man auch geschafft habe.
Saigon als abschreckendes Beispiel für chaotischen Truppenabzug
Die chaotische Evakuierung von US-Truppen und ihrer Verbündeten im Frühjahr 1975 aus der südvietnamesischen Hauptstadt Saigon markierte das Ende des Vietnamkriegs. Auf die Frage, warum Merkel das damals gesagt habe, antwortete diese, sich an die Aussage selbst nicht zu erinnern. Wenn der General das so sage, so wolle sie dies aber nicht in Abrede stellen. Gemeint habe sie wohl, "dass es ein sicherer Abzug sein soll".
Der Ausschuss hat den Auftrag, die Umstände der hektischen deutschen Evakuierung aus Kabul und die Entscheidungswege mit Blick auf die Aufnahme afghanischer Ortskräfte zu untersuchen. Dabei soll er auf mögliche politische Fehlentscheidungen hinweisen und Empfehlungen für das Handeln in der Bundesregierung in künftigen Krisen und Konflikten abgeben.
Vor der Vernehmung Merkels befragte der Ausschuss am Donnerstag ihren einstigen Kanzleramtschef Helge Braun (CDU). Braun räumte ein, es wäre wohl besser gewesen, man hätte sich damals auch auf das vom Bundesnachrichtendienst (BND) für unwahrscheinlich erachtete Szenario einer raschen Machtübernahme durch die militant-islamistischen Taliban vorbereitet. Fachaufsicht für den BND hat das Kanzleramt.
Gab es das Szenario einer Taliban-Machtübernahme?
Die Grünen-Politikerin Canan Bayram wies Braun darauf hin, dass dieses intern "Emirat 2.0" genannte Szenario in einer Staatssekretärsrunde bereits im November 2020 als wahrscheinlich angesehen wurde. Merkel sagte, darauf angesprochen, dass sie diesen Begriff so nicht zur Kenntnis bekommen habe.
Im November stand neben dem früheren SPD-Außenminister Heiko Maas auch Ex-Entwicklungsminister Gerd Müller dem Ausschuss Rede und Antwort.
Auf eine Frage des FDP-Abgeordneten Peter Heidt, ob sie in Bezug auf Afghanistan jemals von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht habe, antwortet die Altkanzlerin: "Richtlinienkompetenz ist ja nicht Ordre de Mufti oder basta", vielmehr habe sie sich stets um Einigkeit im Kabinett bemüht.
Bereits Ende November standen den Abgeordneten der frühere Außenminister Heiko Maas (SPD) und der damalige Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) Rede und Antwort.
Maas kritisiert Zusammenarbeit mit USA
Maas hob vor allem mangelnden Kooperationswillen der USA angesichts des Zusammenbruchs der afghanischen Regierung hervor, räumte aber auch rückblickend Fehleinschätzungen in Berlin ein. Die Einschätzung des BND am 13. August 2021 sei falsch gewesen, in Bezug auf die Aussage des BND bei der Krisenstabssitzung, wonach keine unmittelbare militärische Machtübernahme der Taliban bevorgestanden hätte.
Einen Tag später seien die Entscheidungen getroffen worden, die zur Evakuierung der Botschaft geführt hätten. Später sei ihm zur Kenntnis gebracht worden, dass es unterschiedliche Einschätzungen gegeben habe, wie jene des deutschen Gesandten vor Ort, Jan Hendrik van Thiel, sagte Maas. Es sei aber schwierig gewesen, sich eher auf eine Einzelperson zu verlassen als auf das Lagebild des BND.
Auch Müller führte aus, dass er sich bei der Einschätzung der Sicherheitslage auf die Analyse des Bundesnachrichtendienstes (BND) und des Auswärtigen Amtes habe stützen müssen. Er habe zudem mit NGOs zusammengearbeitet, um zu erfahren, wie diese die Sicherheitslage einschätzten.
"Wenn jemand sagte, ich will raus, oblag es der Lageeinschätzung vor Ort", sagte der Ex-Minister in Bezug auf die Ortskräfte. Die Maßgabe sei gewesen, "keine Gefahr für die Mitarbeiter" zuzulassen, und das Ergebnis sei befriedigend gewesen: “Es gab keine Toten und keine ernsthaften Bedrohungen.”
Mehr zum Untersuchungsausschuss lesen
Der Bundeskanzler verteidigt den früheren Innenminister Seehofer, Ex-Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer ihre Lockerungen für Ortskräfte.
Ex-Innenminister Horst Seehofer verteidigt seine Entscheidungen zum Visa-Verfahren für Ortskräfte - und erklärt, warum er Abschiebungen für gerechtfertigt hielt.