75 Jahre Europarat : Fortschritt mit Konventionen
Vor 75 Jahren wurde der Europarat gegründet: Am Anfang stand die Zusammenarbeit in Europa im Zentrum, heute Demokratie und Schutz der Menschenrechte. Ein Überblick.
St. James-Palast London: Am 5. Mai 1949 verpflichten sich die Außenminister von zehn europäischen Ländern mit ihrer Unterschrift, sich gegenseitig zu unterstützen. 75 Jahre später zählt der Europarat 46 Mitgliedsländer.
Die Antwort von 46 europäischen Staaten fällt unmissverständlich aus. Wenige Wochen nach dem russischen Angriffskrieg auf die ukrainischen Nachbarn schließt der Europarat im März 2022 Russland aus der Organisation aus. „Mit sofortiger Wirkung wegen gravierender Pflichtverletzung“ wie die Bundesregierung in ihrem Bericht zur Arbeit des Europarates notiert. Bereits nach der Annexion der ukrainischen Krim 2014 war Russland das Stimmrecht entzogen, 2019 dann aber wieder erteilt worden: Begründet wurde das auch damit, dass nur so Oppositionellen noch der Weg frei steht für eine Klage vor dem Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen Menschenrechtsverletzung und Willkür des russischen Staates.
Herzstück ist die Europäische Menschenrechtskonvention
Als der Europarat vor genau 75 Jahren, am 5. Mai 1949 in London, als erste europäische Organisation nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde, schrieben sich die zehn Gründungsländer (Belgien, Dänemark, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlanden, Norwegen, Schweden und Vereinigtes Königreich) „den engen Zusammenschluss unter seinen Mitgliedern" auf die Fahnen, wie es in Artikel 1 der Satzung heißt. Es ging um die Förderung der Zusammenarbeit in der Wirtschaft, beim Sozialen, in Kultur und Wissenschaft.
Zum Herzstück entwickelte sich jedoch schon bald die Europäische Menschenrechtskonvention, deren Anerkennung über die Jahre unverrückbare Voraussetzung für eine Mitgliedschaft im Europarat wurde und über die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wacht.
Europarat repräsentiert 700 Millionen Menschen
Sitz des Europarates ist Straßburg. In der Organisation sind mit den heute 46 Mitgliedsländern knapp 700 Millionen Menschen repräsentiert. Neben den Vollmitgliedern haben eine Reihe von Ländern wie die USA, Kanada, Mexiko, Japan und Israel Beobachterstatus.
Das Ministerkomitee ist das Entscheidungsorgan des Europarates und besteht aus den Außenministern jedes Mitgliedsstaates, die einmal jährlich zusammenkommen, oder ihren ständigen diplomatischen Vertretern in Straßburg, die wöchentlich tagen. Das Ministerkomitee legt die Politik des Europarates fest und genehmigt den Haushalt.
In der Parlamentarische Versammlung kommen Abgeordnete aus den nationalen Parlamenten zusammen. Derzeit sind das 306 Volksvertreter, darunter 18 Abgeordnete des Bundestages, mit Frank Schwabe (SPD) und Armin Laschet (CDU) an der Delegationsspitze. Die Versammlung wählt den Generalsekretär und den Menschenrechtskommissar des Europarats und die Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, außerdem entsendet sie Beobachter zu Wahlen in Mitgliedstaaten.
Gestaffelte freiwillige Teilnahme an weiteren Integrationsschritten
Der Europarat kann zwar keine Gesetze erlassen. Seit Gründung sind aber eine ganze Reihe von Konventionen und Abkommen beschlossen worden, die für die Mitglieder Bindungswirkung entfalten sollen. Das reicht zum Beispiel von der schon genannten und so wichtigen Europäischen Menschenrechtskonvention bis zur Europäischen Sozialcharta und den Konventionen gegen Folter, Kindesmissbrauch, Menschenhandel, zur Bekämpfung von Terrorismus und Geldwäsche, zum Schutz von Minderheiten.
Den Mitgliedstaaten steht es frei, ob sie eine Konvention unterzeichnen wollen, an deren Formulierung sie im Vorfeld bei der Entstehung auch mitwirken können. Staaten, die sich dazu entschließen, werden zu Unterzeichnerstaaten einer Konvention. Das „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ wie es für die Europäische Union immer wieder diskutiert wird - also eine gestaffelte freiwillige Teilnahme an immer weiteren Integrationsschritten - dieses Modell ist im Europarat schon seit Jahrzehnten Praxis.
Organisationen kritisieren lasches Vorgehen gegen Menschenrechtsverletzungen
Die Bundesrepublik, seit 1951 vollberechtigtes Mitglied, hat von den insgesamt 226 Übereinkommen des Europarats seit 1949 insgesamt 137 ratifiziert, 41 unterzeichnet und 38 nicht unterzeichnet. Sechs Übereinkommen sind aufgekündigt worden, wie die Bundesregierung in einem Bericht schreibt.
Kritik am Europarat gibt es natürlich auch: Menschenrechtsorganisation wie Human Right Watch erheben zum Beispiel den Vorwurf, die Organisation nehme es mit Menschenrechtsverletzungen bei ihren Mitgliedern nicht so genau. Vor einigen Jahren kam eine vom Europarat berufene Untersuchungskommission zu dem Schluss, dass es Hinweise für Bestechlichkeit unter einigen Mitgliedern der Parlamentarischen Versammlung gebe, darunter waren auch drei mittlerweile aus dem Bundestag ausgeschiedene Abgeordnete. Unter dem Schlagwort „Kaviar-Diplomatie“ lautete der Vorwurf: Parlamentarier sollten gegen Zuwendung dafür sorgen, dass Erklärungen des Europarates zur Menschenrechtslage in Aserbaidschan milder ausfallen.
Bundestag diskutiert in Vereinbarter Debatte über 75 Jahre Europarat
In einer Zeit, in der die multilaterale auf wechselseitige Vereinbarungen fußende internationale Ordnung infrage gestellt wird, hält die älteste zwischenstaatliche Organisation Europas nichtsdestotrotz den Anspruch auf den Schutz von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weiter hoch: Vielleicht nicht immer so umfassend, wie sich das Menschenrechtsverteidiger vom Europarat wünschen – aber immer als Antreiber im Hintergrund für politische, gesetzgeberische und verfassungsrechtliche Reformen in den Mitgliedstaaten.
Am Donnerstag der kommenden Sitzungswoche will der Bundestag in einer Vereinbarten Debatte zum 75 Jahrestag an diese wichtige Rolle des Europarats erinnern.
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