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Marie-Agnes Strack-Zimmermann im Interview : "Ganz Europa hat sich versündigt an der Sicherheit"

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im EU-Parlament sieht großen Nachholbedarf bei der Abwehrbereitschaft. Beim Thema Schulden müsse Europa aber aufpassen.

07.03.2025
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6 Min

Frau Strack-Zimmermann, US-Präsident Donald Trump hat den Europäern unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie sich künftig selbst um ihre Sicherheit kümmern müssen. Die EU hat auf ihrem jüngsten Gipfel beschlossenen, souveräner zu werden. Wie schnell kann das gelingen?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Wir haben sehr viel nachzuholen. Abgesehen von den Ländern, die direkt an Russland grenzen, haben alle Länder in Europa nach dem Fall der Mauer 1989 ihre Verteidigungsbudgets gekürzt, auch neutrale Länder wie Österreich und die Schweiz. Jetzt geht es darum, progressiv auf ein höheres Abwehrniveau zu kommen. Wir sprechen nicht nur von Panzern und Raketen, was gemeinhin mit Verteidigung assoziiert wird. Wir müssen uns um den kompletten Bereich der Cyberabwehr kümmern, die Unterwasserinfrastruktur schützen, im Weltraum unsere Satelliten abschirmen. Das ist eine riesige Herausforderung. Ich hoffe, dass wir in zwei, drei Jahren weiter sein werden.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bei ihrem „ReArm Europe“ Projekt 800 Milliarden Euro für Verteidigung ins Schaufenster gestellt. Ist das eine realistische Summe?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Wir reden über enorme Summen, weil die EU-Mitgliedstaaten Jahrzehnte lang so wenig für Verteidigung ausgegeben haben. Wir haben ja keine Verteidigungsunion, weshalb jedes Land in Europa nun mehr machen muss.

Foto: picture alliance/dpa

Marie-Agnes Strack-Zimmermann sitzt seit Juni 2024 für die FDP im Europäischen Parlament und ist dort Vorsitzendes des Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung (SEDE).

In vielen EU-Ländern ist der Spielraum im Staatshaushalt gering. Deutschland will wie nie zuvor Schulden machen, um abwehrbereit zu werden. Gemeinsame Schulden wie im Corona-Wiederaufbauprogramm wurden beim jüngsten EU-Gipfel nicht beschlossen, stehen aber weiter im Raum. Können Schulden die Lösung sein, um Europa aufzurüsten?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Europa muss beim Thema Schulden sehr aufpassen, damit wir nicht in eine Situation geraten, in der wir nicht mehr kreditwürdig sind. Dann wird der Euro schwach und die Inflation hoch. Die USA, Russland und China würden uns gerne den Euro zerschießen. Da müssen wir wachsam sein.

Haben Sie das Gefühl, dass der Ernst der Lage überall in der EU angekommen ist? 

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Bedingt. Ich glaube, dass in den baltischen und nordeuropäischen Staaten die Situation sehr realistisch eingeschätzt wird. In Mitteleuropa und Südeuropa bin ich mir nicht so sicher.

Für die Südeuropäer ist der Krieg in der Ukraine weit weg…

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: …aber sie haben das Mittelmeer vor der Tür und damit natürlich auch Gefahrenszenarien. Wenn Sie in Kreta sind, liegt Libyen auf der anderen Seite. Wenn Sie in Spanien sind, ist es nicht weit nach Marokko. Wir sehen, wie Russland hybride Kriegsführung betreibt und Hungersnöte auslöst, die wiederum zu Migration führen. Russland verhindert etwa, dass die Ukraine Korn ausführt. Das führt dazu, dass Menschen verhungern oder der Brotpreis in Afrika steigt. Diese Menschen kommen zunächst in Südeuropa an. Insofern hat jedes Land sein Paket zu tragen. 


„Ohne die USA wären wir heute nicht da, wo wir sind. “

Haben Sie eine Erklärung dafür, was gerade zwischen Trump und Europa passiert?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Wir haben 80 Jahre Frieden erlebt. Das gab es in der Geschichte der Menschheit eigentlich nicht, nirgendwo auf dieser Erde. Wir dürfen gleichzeitig nicht vergessen, dass schon Bill Clinton in seiner Amtszeit als US-Präsident die Europäer aufgefordert hatte, mehr für ihre eigene Sicherheit zu tun. Wir haben uns auf die Vereinigten Staaten verlassen, und das fällt uns nun vor die Füße. Europa hätte schon 2014, als Russland in die Ostukraine einmarschierte, anfangen müssen mit der Aufrüstung. Da hat sich ganz Europa versündigt an der Sicherheit. Ich hoffe, dass wir aber trotz allem im Gespräch bleiben mit den USA, auch mit republikanischen Kongressabgeordneten und Senatoren. Ohne die USA wären wir heute nicht da, wo wir sind. 

Wie soll Europa mit Trump umgehen, der kaum einen Tag ohne Provokation vergehen lässt?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Ich rate, cool zu bleiben - auch wenn ich Trumps Nähe zu Russland beängstigend finde. Wir sollten die Ruhe behalten und den USA signalisieren, dass wir ebenfalls an einem Frieden in der Ukraine interessiert sind. Die ganzen Tweets und Äußerungen, wir sollten sie gar nicht kommentieren. Im Grunde genommen passiert jetzt etwas, das eine gute Nachricht ist: Europa rutscht mehr zusammen. Großbritannien, einst mal Mitglied der EU, sucht wieder die Nähe zur Europäischen Union. Und vielleicht löst es auch ein innereuropäisches Gefühl aus, dass wir zusammenhalten müssen. Wir haben natürlich auch die Ungarn, die gerne opponieren. Aber dann muss man eben eine Koalition der Willigen finden aus EU-Mitgliedern und europäischen Staaten, die etwa wie Großbritannien, Norwegen und Albanien unsere Nähe suchen. 

Wir haben in der Vergangenheit erlebt, dass mehr Geld nicht unbedingt schnell zu höherer Abwehrbereitschaft führt, weil die Beschaffung sehr bürokratisch ist, gerade auch in Deutschland. Wird das künftig anders laufen?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Die Verteidigungsindustrie hätte gerne Aufträge mit sehr langen Laufzeiten. Vier- oder Fünfjahres-Verträge kann ich mir vorstellen. Sie werden aber vermutlich keinen Politiker finden, der Verträge über Legislaturen hinaus abschließt. Da muss auch die Industrie ins ins Risiko gehen, sie verdient viel Geld mit den Aufträgen.

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Die USA wollen die Erkenntnisse ihrer Geheimdienste nicht mehr mit der Ukraine teilen. Muss Europa sich da auch neu aufstellen?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Es wäre vermessen zu sagen, dann machen wir es selber. Wir müssen sehen, was wir künftig noch bekommen. Beim technischen Know-How haben die Amerikaner ein Vollsortiment. Sie gehen in den Laden und es gibt nichts, was es nicht gibt. Das ist in Europa nicht so, und wir müssen darauf hinarbeiten, dass wir selbst mehr können. 

Europa hat 250 Milliarden Euro an russischen Zentralbankmitteln eingefroren. Sollte die gesamte Summe der Ukraine zugutekommen?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Als Sicherheitspolitikerin plädiere ich dafür, die gesamte Summe in die Hand zu nehmen und nicht nur wie bisher die Zinsen. Ich weiß, dass Leute aus der Wirtschaft warnen, dass dann Kapital aus Europa abfließen würde, weil Oligarchen ihr Geld lieber in den USA parken würden. 

Wieviel können Sie im Verteidigungsausschuss im Europäischen Parlament eigentlich bewirken? Der Ausschuss, dem Sie vorsitzen, wurde in dieser Legislaturperiode zum Vollausschuss aufgewertet, gleichzeitig ist Verteidigung in der EU aber in weiten Teilen Angelegenheit der Mitgliedstaaten.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Wir haben ja erstmals einen EU-Verteidigungskommissar, Andrius Kubelius, der den Mitgliedstaaten gerade erklärt, dass wir nur gemeinsam stark sind. Die Budgets der einzelnen Nationen könnten sogar entlastet werden, wenn wir mehr gemeinsam beschaffen, weil der Preis dadurch fällt. Das wird natürlich nicht einfach. Ich stelle fest, dass im Europäischen Parlament deutlich heftiger um Kompetenzen gerangelt wird als im Deutschen Bundestag. Ausschüsse haben etwa die Sorge, man könnte ihnen Themen wegnehmen. Das finde ich schwierig, wir haben keine Zeit für solche Spielchen.


„Für den Liberalismus in Deutschland ist es eine ganz schlimme Zeit. “

Sind Sie heute froh, dass Sie 2024 ins Europäische Parlament gewechselt sind und nicht in Berlin geblieben sind, wo die FDP gerade aus dem Bundestag gewählt wurde? 

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Ich bin gerne in Brüssel und mittlerweile auch hier angekommen. Es war am Anfang ein sehr, sehr großer Unterschied, wie Verfahren hier laufen. Das hatte man mir schon prophezeit. Gleichzeitig ist es für den Liberalismus in Deutschland jetzt eine ganz schlimme Zeit. Ich leide als kooptiertes Präsidiumsmitglied der FDP natürlich mit. Ich bin sicher, dass die Deutschen relativ schnell merken, wie die Debatte sich verändert, wenn wir Liberale nicht mehr im Bundestag sind.

Wie wird es mit Ihrer Partei weitergehen?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Wir brauchen eine Teamlösung, um die FDP wieder aufzubauen. Einer alleine kann das nicht schaffen. Es wird einen Vorsitzenden geben, Stellvertreter und Fachleute, die zuarbeiten. In einem solchen Team kann ich meine Expertise mit einbringen, die ja momentan auch gerade von hoher Relevanz ist. Die Person an der Spitze sollte das Potenzial haben, das für eine Dekade zu machen, die kommenden vier Jahre werden brutal.

Also jemand, der jünger ist als Sie?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Ja, die Person sollte aus einer anderen Generation als ich stammen. Ich habe hier gerade sehr viel zu tun. 

Bekommen Sie in Brüssel weniger Beleidigungen als früher zugeschickt?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Nein, das ist auf demselben Niveau geblieben. Wenn ich bedroht werde, dann stelle ich eine Anzeige.

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