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EU-Außenpolitik : Die Europäer stehen vor einer radikal neuen Realität

Trumps Schwenk in der Außenpolitik hat Europa kalt erwischt. Es muss künftig selbst für seine eigene Verteidigung und die Sicherheit der Ukraine sorgen.

21.02.2025
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5 Min

Schon im ersten Monat seiner zweiten Amtszeit hat US-Präsident Donald Trump die Europäer vor eine radikal neue Realität gestellt. Die transatlantische Partnerschaft, auf die sie sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verlassen konnten, hat keinen Bestand mehr. Die Europäer müssen künftig selbst für ihre Sicherheit sorgen. Und die Art und Weise, wie sie in den Jahren die Ukraine unterstützen und selbst für Abschreckung sorgen, wird darüber entscheiden, ob Russland und die USA Europa ernst nehmen werden. „Die Sicherheit der Ukraine ist die Sicherheit Europas“, unterstrichen jüngst die Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne des Europäischen Parlaments in einer gemeinsamen Erklärung.

Foto: picture alliance / ROPI

Der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, traf sich am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz mit EU- Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident António Costa, um über die neuesten Entwicklungen zu beraten.

Die neue US-Regierung hat die Europäer gleich vor eine ganze Reihe vollendeter Tatsachen gestellt. Sie hat Verhandlungen mit Russland über ein mögliches Kriegsende aufgenommen, ohne die Europäer oder auch die Ukrainer einzubeziehen. Mitte Februar machte US-Verteidigungsminister Pete Hegseth beim Treffen der Ukraine-Kontakt-Gruppe in Brüssel zudem klar, dass die USA die Ukraine nicht in die Nato aufnehmen möchten. Und auch nicht bereit sind, Truppen in die Ukraine zu entsenden, um das Land nach einem möglichen Friedensabkommen zu sichern. Dafür sollten europäische Streitkräfte sorgen und keine Nato-Truppen. „Die Europäische Sicherheit zu wahren, ist die Pflicht der europäischen Nato-Mitgliedern“, sagte Hegseth in Brüssel. 

Was fordert US-Präsident Trump von den Europäern?

Trump geht es darum, dass die Europäer die Kosten ihrer Verteidigung selbst übernehmen. Er fordert, dass sie ihre Militärausgaben auf fünf Prozent der Wirtschaftsleistung steigern. Aktuell liegt das Nato-Ziel bei 2,0 Prozent, jedoch nur 24 von 32 Mitgliedstaaten erreichen es, darunter mittlerweile auch Deutschland, das knapp über der Marke liegt. Zum Vergleich: Russland gibt 9,0 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigung aus. US-Außenminister Marco Rubio hatte kürzlich darauf hingewiesen, dass die USA mit ihren Sicherheitsleistungen quasi den Sozialstaat in Europa subventionieren würden: „Wenn man Deutschland oder Frankreich fragt, warum sie nicht mehr für nationale Sicherheit ausgeben können, lautet ihr Argument, dass sie dann Kürzungen bei Sozialprogrammen, beim Arbeitslosengeld, bei der Möglichkeit mit 59 in Rente zu gehen und bei all den anderen Dingen vornehmen müssen.“

Nun steht Europa vor der Herausforderung, die eigene Sicherheit organisieren und finanzieren zu müssen - gleichzeitig aber auch gegenüber den USA und Russland geeint aufzutreten. Das ist eine Mammutaufgabe, denn es geht nicht nur um immense Summen, es fehlt auch an einer Struktur für eine einheitliche europäische Sicherheitspolitik. 

Was wird der Rückzug der Amerikaner die EU kosten?

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unterstrich bei ihrem Treffen mit dem US-Gesandten für die Ukraine, Keith Kellogg, dass Europa die Ukraine bisher finanziell schon in großem Umfang unterstützt hat - mit insgesamt 135 Milliarden Euro. Noch kursieren keine belastbaren Zahlen, wie viel die Sicherheit der Ukraine die Europäer künftig kosten wird. Allein 500 Milliarden Euro wären nach Schätzungen der EU-Kommission notwendig, um die EU-Mitgliedstaaten abwehrbereit zu machen. Diese Zahl stammt allerdings aus dem vergangenen Jahr, als noch nicht klar war, in welch großem Umfang sich die Amerikaner aus Europa zurückziehen wollen. Eine neue Studie des Brüsseler Thinktank Bruegel und des Kieler Instituts für Weltwirtschaft hält kurzfristig Mehrausgaben von 250 Milliarden Euro im Jahr für notwendig.

Welche Vorschläge liegen auf dem Tisch, um das zu finanzieren?

Von der Leyen hat vorgeschlagen, den Stabilitätspakt für Rüstungsausgaben auszusetzen. Ankäufe von Waffen würden dann nicht auf das Drei-Prozent-Ziel beim Haushaltsdefizit angerechnet. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass die Mitgliedstaaten dem zustimmen werden. Die Mittel für Verteidigung würden dann aber weiter aus den nationalen Haushalten kommen. 

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Zahlreiche Mitgliedstaaten, allen voran Frankreich, pochen dagegen auf gemeinsame Schulden für Verteidigungsausgaben, wie sie gerade auch die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas gefordert hat. Länder wie Deutschland, Österreich und die Niederlande sperren sich aber bisher gegen gemeinsame Anleihen für Verteidigungsausgaben. Die alte Bundesregierung argumentierte, dass das Bundesverfassungsgericht dies ablehnen würde. Das Gericht hatte die gemeinsame Schuldenaufnahme für den Corona-Fonds nur als einmalige Antwort auf eine Ausnahmesituation genehmigt. Der Druck auf die skeptischen Länder könnte jedoch in den kommenden Monaten steigen. 

Die EU-Kommission will die Mitgliedstaaten auch verstärkt dazu bewegen, Rüstungsgüter gemeinsam zu entwickeln und zu produzieren. Dadurch wären erhebliche Effizienzgewinne zu erwarten. Bisher haben nationale Regierungen am liebsten bei ihren bisherigen Lieferanten bestellt und standen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Herstellen skeptisch gegenüber. Bemühungen der Kommission, den zerklüfteten Markt zusammenzuführen, verliefen bisher zäh.

Wie steht es um den EU-Beitritt der Ukraine?

Weil sich die Regierung von Trump gegen die Aufnahme der Ukraine in die Nato sperrt, muss die EU die Aufnahme der Ukraine in die eigenen Reihen mit Nachdruck verfolgen. Von der Leyen und Ratspräsident António Costa betonten bei ihrem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodomyr Selenskij in München, dass sie bereit sind, die Verhandlungen zu beschleunigen, die seit Juni 2024 laufen. Das Tempo hängt aber von den Reform-Fortschritten der Ukraine ab. Die Europäische Volkspartei forderte jüngst, bis zum Jahresende fünf von insgesamt 35 Verhandlungskapiteln abzuschließen. Die zuständige Kommissarin Marta Kos hatte im Januar nur davon gesprochen, zwei Kapitel zu öffnen. Um in die EU aufgenommen werden zu können, muss die Ukraine unter anderem ihre Verwaltung, Polizei und Justiz reformieren, Korruption bekämpfen und den Einfluss von Oligarchen brechen. All das verlangt - selbst in Friedenszeiten - Ausdauer. 

Könnten bald europäische Soldaten den Frieden in der Ukraine sichern?

Die Sicherheit der Ukraine zu garantieren, wird eine große Herausforderung für die Europäer. Noch- Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete die Frage nach Truppen in der Ukraine als verfrüht. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat dagegen gemeinsam mit dem britischen Premier Keir Starmer einen konkreten Vorschlag gemacht, nach dem eine Truppe von unter 30.000 europäischen Soldaten den Frieden in der Ukraine sichern würde, mit dem Schwerpunkt Luft- und Seeraum. Der ukrainische Präsident Selensky hatte zuvor 100.000 bis 150.000 Mann als notwendig bezeichnet. Über die Entsendung von Truppen entscheidet jeder EU-Mitgliedsstaat souverän.

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Für den Sicherheitsexperten Sven Biscop von der Denkfabrik Institut Egmont in Brüssel ist die Debatte um die Truppen ein Beweis, dass Europa künftig ein „Kriegs-Kabinett“ brauche für Strategiefragen - und um im Ernstfall Einsätze zu koordinieren. Ein solches Kabinett sollte nach seiner Einschätzung die Atommächte Frankreich und das nicht EU-Mitglied Großbritannien umfassen, sowie Deutschland und Polen. Die EU sollte über den Ratspräsidenten und/oder die Kommissionspräsidentin eingebunden sein genauso wie der Nato-Generalsekretär. Nato und EU-Institutionen haben bisher ihr gegenseitiges Misstrauen gerne gepflegt. 

Was ist mit den EU-Sanktionen gegen Russland?

Damit Russland und die USA Europa ernst nehmen, müssen die Europäer ihren Machtwillen demonstrieren. Ein Schritt in diese Richtung war das 16. Sanktionspaket gegen Russland, das Mitte Februar auf Arbeitsebene beschlossen wurde, rechtzeitig zum dritten Jahrestag der russischen Invasion der Ukraine. Konkret geht die EU damit gegen die Schattentankerflotte vor und erhob Einfuhrbeschränkungen für Aluminiumprodukte. Die EU untermauert damit ihren Anspruch, bei den Verhandlungen mit Russland mitzureden. Bisher ist kein EU-Sondergipfel zur Verteidigung geplant, EU-Ratspräsident Costa konsultiert aktuell nationale Regierungen. Frankreichs Präsident Macron hat mit den beiden Krisentreffen in Paris den Führungsanspruch der Atommacht Frankreich untermauert. Er ist aktuell der wichtigste Ansprechpartner für Trump in Europa. 

Die Autorin ist freie Korrespondentin in Brüssel.

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