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Start der Kommission am 1. Dezember fraglich : Machtkampf im EU-Parlament eskaliert

Am Ende der Anhörungen kam es im EU-Parlament zum großen Krach. Die Entscheidung über wichtige Mitglieder der nächsten EU-Kommission ist vertagt.

15.11.2024
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3 Min

Im EU-Parlament ist es ein Schlüsselmoment der neuen Wahlperiode: Die Anhörung und Bestätigung der 26 designierten EU-Kommissare ist ein wichtiges Vorrecht der Abgeordneten, erst nach einer finalen Abstimmung im Plenum über die neue Kommission mit Präsidentin Ursula von der Leyen kann das Spitzenteam seine Arbeit aufnehmen. Doch diesmal wird das Verfahren zu einem Schlüsselmoment der besonderen Art: Die Anhörungen endeten in einem heftigen Machtkampf, zentrale Entscheidungen wurden erstmal vertagt. Auch Krisentreffen konnten die Lage zunächst nicht entspannen. Es gab Anzeichen, dass der ohnehin verspätete Start der Kommission, eigentlich für den 1. Dezember vorgesehen, nicht mehr zu halten sein könnte.

Aus einem friedlichen Beginn wurde der große Krach

Dabei hatte alles vollkommen friedlich angefangen: Seit dem 4. November befragten die Parlamentarier die designierten Kommissarinnen und Kommissare. In den ersten Runden bestanden alle Kandidaten die Prüfung, nur beim ungarischen Bewerber Olivér Várhelyi, der das Ressort für Gesundheit und Tierschutz verwalten soll, gab es wie erwartet Probleme und die Vorladung zu weiteren Befragungen - ob er Mitglied des Kollegiums wird, ist offen.

Foto: EU/Aurore Martignoni

Der Italiener Raffaele Fitto gilt als der umstrittenste Kandidat. Der Rechtsaußenpolitiker soll als EU-Vizepräsident für die Regionalförderung verantwortlich sein.

Streit entbrennt in der Schlussrunde

Doch das ging unter im Krach, der in der großen Schlussrunde am 12. November entbrannte. An diesem Tag sollten die sechs designierten Vizepräsidenten auf Herz und Nieren geprüft werden. Es begann mit scharfen Angriffen auf den Italiener Raffaele Fitto, der als Vizepräsident vor allem für die Regionalförderung verantwortlich sein soll. 

Die Nominierung des Ministers aus der Partei der ultrarechten Regierungschefin Giorgia Meloni sei ein Beispiel dafür, wie die extreme Rechte mit ihrer gefährlichen Ideologie salonfähig gemacht werde, hieß es bei Grünen, Sozialdemokraten, Linken und einem Teil der Liberalen. Fitto dürfe zumindest nicht Vizepräsident werden - während die christdemokratische EVP als stärkste Fraktion für Fitto plädierte.

EVP und Sozialdemokraten arbeiten sich aneinander ab

Nach den Querelen um Fitto arbeiteten sich EVP-Vertreter und Rechtsaußen-Abgeordnete im Gegenzug an der spanischen Sozialdemokratin Teresa Ribera ab, die als Vizepräsidentin für den Green Deal und für Wettbewerb vorgesehen ist. Vor allem Parlamentarier aus Spanien machten die Anhörung zu einem turbulenten Tribunal: Sie warfen der amtierenden Umweltministerin vor, sie und die Regierung in Madrid hätten die Bevölkerung nicht rechtzeitig vor der Flutkatastrophe in der Region Valencia gewarnt. "Sie sollten nicht in der Kommission sitzen, sondern vor Gericht", sagte der rechtsextreme Abgeordnete Jorge Buxadé Villalba. 

Allerdings äußerten sich auch Fachpolitiker enttäuscht: "Ribera hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt und so geredet, als gäbe es weder Wirtschaftskrise noch Krieg noch eine geänderte Mehrheit im Parlament", sagte Peter Liese (CDU).

Foto: EC - Audiovisual Service

Die spanische Sozialdemokratin Teresa Ribera ist als EU-Vizepräsidentin für den Green Deal und Wettbewerb vorgesehen.

Das Ergebnis der Konfrontationen war, dass sich die zuständigen Ausschüsse nicht in der Lage sahen, eine Empfehlung zu den sechs befragten Vizepräsidenten abzugeben, die Abstimmungen wurden mehrmals vertagt. Sozialdemokraten und Grüne richteten heftige Vorwürfe an die EVP: Diese verrate die informelle Koalition der Mitte und mache nun gemeinsame Sache mit Rechtsaußen. Würde am Ende Fitto von den Ausschüssen bestätigt, aber Ribera gestürzt, bevor das Parlament in die Schlussabstimmung über das gesamte Team geht? 

Die EVP genießt im neuen Parlament einen enormen Machtzuwachs - die Christdemokraten haben zwar die Kommissionspräsidentin noch in enger Abstimmung zusammen mit Sozialdemokraten und Liberalen und mit Hilfe der Grünen im Amt bestätigt, aber sie sind nicht mehr dauernd auf die Zusammenarbeit mit den Mitte-Links-Fraktionen angewiesen. Sie können unter Umständen auch mit Rechtsaußen Entscheidungen durchsetzen und sind dazu offenkundig von Fall zu Fall auch bereit.

Zeitplan für die neue EU-Kommission ist nicht mehr zu halten

Die Sozialdemokraten zeigten sich empört und drohten, der neuen EU-Kommission beim Abschluss-Votum ihre Zustimmung wegen Fitto und Várhelyi zu versagen. Für Ursula von der Leyen ist der Konflikt denkbar unerfreulich: Angesichts der internationalen Krisenlage sei jeder Tag der Unsicherheit über den Starttermin der neuen Kommission ein Problem, heißt es unter führenden Kommissionsbeamten. Und nach diesem Streit könne von der Leyen womöglich bei künftigen Entscheidungen nicht mehr auf die informelle Koalition der Mitte bauen. Die Atmosphäre im Parlament gilt schon jetzt als dauerhaft belastet.

Der Autor ist EU-Korrespondent der Funke Mediengruppe.

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