
Nach der Parlamentswahl in Grönland : Zwischen Autonomie und Annexion
Die künftige Regierungspartei steht vor großen Herausforderungen: Die Loslösung der Arktis-Insel vom dänischen Mutterland ist nur eine. Denn da ist auch noch Trump.
Wenn US-Präsident Donald Trump eines mit seinen imperialistischen Übernahmeträumen geschafft hat, ist es eine neue Einigkeit auf der größten Insel der Welt, Grönland. Wenige Tage nach den Parlamentswahlen am 11. März auf der Arktis-Insel versammelten sich rund 1.000 Menschen in der Hauptstadt Nuuk, um gegen Trumps Annektionspläne zu demonstrieren.
Eine solch große Demonstration hat es in der 19.000-Einwohner zählenden Stadt noch nicht gegeben. Und es war nicht das einzige Aufbegehren gegen Trumps Pläne, die Arktis-Insel zu übernehmen. Auch in Sisimiut und Qaanaaq versammelten sich viele Menschen, um gegen Trumps Pläne zu demonstrieren.
Ein Meer aus rot-weißen Flaggen als Antwort auf Trumps Übernahmepläne
„Trump, das reicht“, stand auf mehreren Plakaten, „Grönland gehört uns und steht nicht zum Verkauf“, auf anderen. Das Meer aus rot-weißen grönländischen Flaggen bildete einen ungewöhnlichen Kontrast zum strahlend blauen Himmel an diesem Tag. Der bisherige Regierungschef Múte B. Egede hatte die Demo mitinitiiert und sämtliche Vorsitzenden der anderen Parteien waren seinem Ruf gefolgt. „Das gibt uns Kraft, und es ist berührend, dass so viele Menschen im Land Einigkeit demonstrieren“, erklärte Egede. Sein wahrscheinlicher Nachfolger Jens-Frederik Nielsen ergänzte: „Ich bin sehr stolz. Wir können so viele unterschiedliche Meinungen haben, aber bei diesem speziellen Thema sind wir uns alle einig und stehen zusammen“.

Wahlgewinner Jens-Frederik Nielsen von der Demokraatit-Partei will als künftiger Premier die Trennung Grönlands von Dänemark vorbereiten.
An die Adresse von Trump gerichtet veröffentlichten alle fünf im Parlament vertretenen Parteien zudem eine gemeinsame Erklärung. „Wir, die Parteivorsitzenden aller Parteien, akzeptieren die erneuten Aussagen zur Einverleibung und Kontrolle Grönlands nicht“. Und: „Dieses Verhalten gegenüber Freunden und Verbündeten halten wir als Parteivorsitzende für inakzeptabel“. Selbst die nach den Wahlen zweitgrößte Partei, die nationalistische Naleraq, die einem Assoziierungsvertrag mit den USA während des Wahlkampfes nicht abgeneigt war, schloss sich der gemeinsamen Erklärung an.
Grönland strebt nach Unabhängigkeit
Und auf einmal schien auch das vergessen zu sein, was den Wahlkampf eigentlich dominiert hatte: Das deutlich gestörte Verhältnis zum Mutterland Dänemark. Obwohl Grönland seit 2009 weitgehend selbstverwaltet ist, gehört es weiterhin zum dänischen Königreich. Seit Jahrzehnten streben die Inuit, die rund 90 Prozent der 57.000 Einwohner stellen, nach Unabhängigkeit. Doch bislang scheiterten diese Bestrebungen an der finanziellen Abhängigkeit von Dänemark. Kopenhagen überweist jährlich rund 670 Millionen Euro nach Grönland.
„Dänemark scheint bereit zu sein, liebgewonnene Großerzählungen von der angeblichen humanen dänischen Kolonisierung zu hinterfragen.“
Viele Grönländer fühlen sich seit Jahrzehnten von Dänemark diskriminiert. Der deutsche Kulturhistoriker Ebbe Volquardsen, der als Professor an der Universität in Nuuk lehrt, spricht von „einer komplexen Frage“, wenn es um das grönländisch-dänische Verhältnis geht. „Seit etwa fünf Jahren sehen wir eine Entwicklung, wo Dänemark bereit zu sein scheint, liebgewonnene Großerzählungen von der angeblichen humanen dänischen Kolonisierung zu hinterfragen“. Sie sei nicht human gewesen, sagt Volquardsen und nennt den „Spiralen-Skandal“.
In den 60er Jahren hat Dänemark grönländischen Mädchen und Frauen zum Teil gegen deren Willen oder ohne deren Wissen Spiralen eingesetzt. Grund war, dass Dänemark eine heimliche Geburtenkontrolle mit dem Ziel betrieb, die Anzahl grönländischer Kinder zu begrenzen. Noch-Regierungschef nannte das „Genozid“.
Seltene Erden locken, doch ihr Abbau ist schwierig und kostspielig
Die Aufarbeitung dieses Skandals und die von Grönländern weiterhin empfundene Diskriminierung durch Dänemark war bis kurz vor der Wahl eines der dominierenden Themen. Doch dann kamen Trumps unverhohlene Drohungen, die Insel notfalls sogar mit Gewalt übernehmen zu wollen. Das sei wegen ihrer strategisch wichtigen Lage und der reichen Bodenschätze notwendig, so der US-Präsident.
Man wolle die Arktis vor dem Hintergrund, dass China und Russland ihr Engagement in der Region verstärkt haben, besser kontrollieren können. Dieses Argument hat Unverständnis in Grönland ausgelöst, unterhalten die USA doch einen großen Militärstützpunkt. Und die Förderung, beispielsweise von Seltenen Erden, ist wegen der schwierigen klimatischen Verhältnisse und der fehlenden Infrastruktur - außerhalb der Städte gibt es keine Straßen - äußerst schwierig und kostspielig.
Grönland ist altnordisch für „Grünland“
❄️ Grönland ist mit einer Landfläche von 2,16 Millionen Quadratkilometern die größte Insel der Welt. Beinahe 80 Prozent des Landes sind von einer Eiskappe bedeckt. Das war nicht immer so: Vor über 2,5 Millionen Jahren soll es tatsächlich weitgehend grün gewesen sein.
👨👧👦 Mit einer Einwohnerzahl von geschätzt 56.480 zählt das Land zu den am dünnsten besiedelten Ländern der Welt. 88 Prozent der Grönländer sind Inuit, 12 Prozent europäischer, vor allem dänischer Abstammung.
📗 Grönland ist ein selbstverwaltetes Gebiet innerhalb des Königreichs Dänemark. Seit 1721 war Grönland eine dänische Kolonie und wurde 1953 Teil des dänischen Reichs. 1979 wurde die erste Stufe der Selbstverwaltung eingeführt, 2009 wurden weitere Verantwortungsbereiche an die grönländische Regierung übertragen. Für Sicherheit und Verteidigung ist trotzdem noch Dänemark verantwortlich.
Ob Trumps Drohungen ein Umdenken in Grönland ausgelöst haben, ist unklar. Sicher ist jedoch, dass die sozialliberale Partei Demokraatit überraschend als klarer Sieger feststand und aller Voraussicht nach mit Jens-Frederik Nielsen den neuen Regierungschef stellen wird. Parteichef Nielsen hatte im Wahlkampf vor allem für Steuersenkungen und Wirtschaftsförderungsprogramme geworben. Außerdem tritt er für eine geordnete Loslösung von Dänemark ein.
Auf den zweiten Platz kam die nationalistische und rechtspopulistische Partei Naleraq, die ihr Ergebnis gegenüber den Wahlen von vor vier Jahren nahezu verdoppelte. Die Partei tritt für eine schnelle Trennung von Dänemark ein. Die linksliberale Partei Inuit Ataqatigiit vom bisherigen Regierungschef Múte B. Egede musste dagegen einen deutlichen Stimmenverlust hinnehmen und kam nur noch auf 21,4 Prozent.
Trumps Drohung eint auch politische Gegner
Der Politologe Rasmus Leander Nielsen von der Universität in Nuuk rechnet dennoch mit einem Gesprächsangebot an die Inuit Ataqatigiit vom bisherigen Regierungschef Egede. Der hatte bereits in der Wahlnacht erklärt, dass er bereit sei, sich an der neuen Regierung zu beteiligen. Noch allerdings sind die Sondierungsgespräche, die Nielsen mit allen Parteien führt, nicht abgeschlossen. „Wir müssen bedenken, dass wir einem äußeren Druck ausgesetzt sind. Ein Druck, dem wir gemeinsam und mit einer Stimme begegnen sollten, um die Glaubwürdigkeit und Integrität des Landes zu bewahren“, begründete der Wahlsieger die andauernden Sondierungsgespräche.
In Grönland hatte man bereits während Trumps erster Amtszeit dessen Kaufangebote freundlich, aber bestimmt zurückgewiesen. „Grönland gehört den Grönländern“, hieß es damals. Mittlerweile wurde aus dem Kaufangebot eine Drohung. Und auch die Reaktionen aus Grönland sind mittlerweile im Tonfall deutlich schärfer geworden. Damit hat der US-Präsident etwas erreicht, was über viele Jahre unmöglich erschien. Denn plötzlich gibt es ein Thema in der grönländischen Politik, auf das sich alle Parteien, egal welcher politischen Ausrichtung, einigen können.
Der Autor ist Nordeuropa-Korrespondent des Handelsblattes.
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