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Foto: picture alliance / Caro
Jüdische Studierende protestierten im Februar 2024 nach einem Angriff auf einen Kommilitonen vor der Freien Universität Berlin gegen Antisemitismus und Diskriminierung.

Resolution beschlossen : Mehr Einsatz gegen Antisemitismus an Unis und Schulen gefordert

Mit großer Mehrheit verabschiedet der Bundestag eine Resolution gegen Antisemitismus an Unis und Schulen. Gestritten wird erneut über die IHRA-Definition.

30.01.2025
True 2025-01-30T17:56:07.3600Z
4 Min

Der Deutsche Bundestag hat am Mittwochabend erneut ein Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt. Mit großer Mehrheit verabschiedete das Parlament einen gemeinsamen Antrag von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, der sich gegen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Hochschulen und Schulen wendet.

Hintergrund sind anhaltende propalästinensische Proteste an Hochschulen seit dem Terror-Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem anschließenden Krieg im Gazastreifen. Bei Besetzungen durch Aktivisten kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu Sachbeschädigungen. Teilweise wurden auch Symbole der islamistischen Terrororganisation Hamas gezeigt und das Existenzrecht Israels in Frage gestellt. Jüdische Studierende zeigen sich besorgt über das Klima an den Bildungseinrichtungen.


Nicole Gohlke im Portrait
Foto: Olaf Krostitz
„Sie schenken kritischen Einwänden überhaupt kein Gehör!“
Nicole Gohlke (Die Linke)

Der Antrag fordert Bund und Länder unter anderem auf, Antisemitismus an Bildungseinrichtungen stärker zu bekämpfen. Bund und Länder sollen demnach gemeinsam mit der Allianz der Wissenschaftsorganisationen beispielsweise gegen Gruppierungen wie die BDS-Bewegung vorgehen, die israelbezogenen Antisemitismus verbreite. Hochschulen und Schulen werden aufgefordert, bei antisemitischen Vorfällen durchzugreifen. "Dazu gehören die konsequente Anwendung des Hausrechts, der temporäre Ausschluss vom Unterricht oder Studium bis hin zur ggf. Exmatrikulation in besonders schweren Fällen", heißt es in dem Antrag. Zur Prävention sollen Lehrkräfte für das Thema Antisemitismus sensibilisiert und die Forschung gestärkt werden.

Antrag betont die Freiheit der Wissenschaft

Gleichzeitig betont der Antrag die Freiheit der Wissenschaft. So solle die bewährte Praxis, Fördermittel des Bundes ausschließlich nach dem Kriterium der wissenschaftlichen Exzellenz zu vergeben, beibehalten werden, ein Echo der "Fördergeld-Affäre". "Bei Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträgern in Wissenschaft und Forschung besteht nach Wahrnehmung der Antragsteller darüber Konsens, dass wissenschaftliche Exzellenz und Antisemitismus einander ausschließen", schreiben die Antragsteller.

Der Antrag bekräftigt erneut die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Dies hatte der Bundestag bereits in seiner Antisemitismus-Resolution im November getan. Diese Definition, die auch die antisemitische Dimension mancher Israelkritik in den Blick nimmt, ist in Teilen der Wissenschaft und auch im Bundestag umstritten. Nicole Gohlke (Die Linke) warf den Fraktionen vor, "kritischen Einwänden überhaupt kein Gehör" zu schenken. Es sei falsch, der Wissenschaft eine Definition von Antisemitismus vorzugeben. "Die Diskussion über die Definition von Antisemitismus ist ja gerade Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung."

CSU: Hochschulen und Schulen sind "Brennpunkte für antisemitische Ausfälle"

Andrej Hunko (BSW) kritisierte, dass der Antrag der notwendigen Bekämpfung des Antisemitismus einen Bärendienst erweise. Man wolle die IHRA-Definition mit "autoritären Mitteln" an Schulen und Hochschulen durchsetzen, kritisierte der Abgeordnete: "Legitime Kritik, etwa an der in Teilen rechtsextremen Netanjahu-Regierung, droht so unter den Verdacht des Antisemitismus zu geraten." Das BSW lehnte den Antrag schließlich ab. Die Linke enthielt sich.


Das Portrait des BundestagsabgeordnetenAlexander Kai Gehring, Bündnis 90/ Die Grünen, MdB.
Foto: DBT/ Inga Haar
„Wenn sich jüdische Schülerinnen und Schüler auf dem Schulweg oder Studierende auf dem Campus nicht sicher fühlen, ist das unerträglich.“
Kai Gehring (Grüne)

Die Rednerinnen und Redner der antragstellenden Fraktionen bekräftigten die Bedeutung und Notwendigkeit des Antrags, wenn auch mit unterschiedlichen Nuancen. Ein Antrag zu Hochschulen und Schulen sei notwendig, betonte etwa Daniela Ludwig (CSU) für die Unionsfraktion, da diese "Brennpunkte für antisemitische Ausfälle" seien. Sie sehe auch keine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit, wie Kritiker meinten, sagte Ludwig, “auch die Wissenschaftsfreiheit hat ihre Schranken.”

Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, es sei unerträglich, wenn sich "jüdische Schülerinnen und Schüler auf dem Schulweg oder Studierende auf dem Campus nicht sicher fühlen". Antisemitismus müsse überall tatkräftig zurückgedrängt werden. Alle Schulen und Hochschulen müssten "Safe Spaces" sein, "in denen jede und jeder ohne Angst frei und sicher verschieden sein kann". In seiner letzten Rede als Bundestagsabgeordneter betonte Gehring aber auch, dass Studien zeigten, dass Hochschulen nicht stärker von Antisemitismus betroffen seien als andere Institutionen und Räume; Studierende seien seltener antisemitisch als andere gesellschaftliche Gruppen. In der "polarisierten Gegenwart" brauche es diese Differenziertheit und weniger Reflexhaftigkeit, forderte der scheidende Vorsitzende des Bildungsausschusses.

SPD betont "funktionierende Hochschulautonomie"

Oliver Kaczmarek (SPD) sagte, der Antrag sei ein "Kompromiss" von vier Fraktionen mit zum Teil unterschiedlichen Auffassungen in Einzelfragen. Kritische Stimmen müssten ernst genommen werden. Wichtig sei ihm zu betonen, dass an Schulen und Hochschulen bereits viel gegen Antisemitismus getan werde. Dies sei ein Beweis für eine "funktionierende Hochschulautonomie". Der offene Diskurs müsse erhalten bleiben, Voraussetzung dafür sei die Anerkennung der Grenzen des Diskurses. Die Freiheit des Diskurses ende bei "der Anwendung von Gewalt, der Verbreitung von Antisemitismus und auch bei der Infragestellung des Existenzrechtes des Staates Israel".

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Ria Schröder (FDP) sah in dem Antrag einen "Ausdruck unserer Verantwortung gegenüber den Menschen jüdischen Glaubens in unserem Land". Es sei auch eine "Kampfansage an die Personen, die mit ihren Aktivitäten versuchen, systematisch ein Klima der Unsicherheit und Angst an Hochschulen zu erzeugen und eine antisemitische Deutungshoheit über den Nahostkonflikt etablieren wollen". Man müsse gar keine "historische Verantwortung" empfinden, um sich gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit auch dann zu stellen, wenn es Jüdinnen und Juden sind. "Man kann auch einfach kein Arschloch sein", forderte Schröder.

Unterstützung bekam der Antrag auch von der AfD-Fraktion. Michael Kaufmann behauptete, dass jüdische Mitmenschen wüssten, "dass ihr Schutz und ihr Wohlergehen bei der AfD und vor allem bei der AfD in den besten Händen ist". Es möge noch einige antisemitische Rechtsextremisten geben, "doch die Bedrohung für Juden und den Staat Israel geht heute vom Linksextremismus und vom muslimischen Antisemitismus aus". Dieser werde im Antrag zwar erwähnt, die "wahre Dimension" des Judenhasses unter Muslimen "verschweigen Sie aber schamhaft".