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Foto: picture alliance / Kai Pfaffenbach/REUTERS POOL/dpa | Kai Pfaffenbach
Seltenes Verfahren: 2017 lehnte das Bundesverfassungsgericht ein Verbot der rechtsextremistischen NPD ab. Die Partei sei zwar verfassungsfeindlich, aber zu unbedeutend, urteilten die Richter damals.

Wehrhafte Demokratie : So kann eine Partei verboten werden

Im Bundestag liegt ein Antrag für ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD vor. Die Hürden für ein solches Verbot durch das Bundesverfassungsgericht sind hoch.

09.01.2025
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5 Min

Ist es nicht undemokratisch, eine Partei zu verbieten und damit den Wählern die Entscheidung abzunehmen? Diese Frage ist berechtigt, doch das Grundgesetz kennt eine klare Antwort. In Artikel 21 sind Parteiverbote als Möglichkeit ausdrücklich vorgesehen. Das dazugehörige politische Konzept nennt sich "wehrhafte Demokratie". In der Geschichte der Bundesrepublik gab es bisher nur zwei Parteiverbote. 1952 wurde die rechtsextremistische Sozialistische Reichspartei (SRP) verboten, vier Jahre später die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Zwei Verbotsverfahren gegen die Nationaldemokratische Partei (NPD), die inzwischen unter dem Namen "Die Heimat" auftritt, scheiterten hingegen.

Aktuell wird ein Parteiverbot mit Blick auf die Alternative für Deutschland (AfD) diskutiert. Im November 2024 brachten 113 Abgeordnete fraktionsübergreifend einen vom CDU-Abgeordneten Marco Wanderwitz initiierten Verbotsantrag in den Bundestag ein. Er wurde bisher im Parlament nicht beraten. Selbst wenn es vor der Bundestagswahl noch zu einer Beratung kommt, wird über den Antrag wohl nicht abgestimmt, sondern dieser nur in die Ausschüsse verwiesen. Ein weiterer Antrag von 43 Abgeordneten aus den Reihen der Grünen-Fraktion fordert, zunächst die Erfolgsaussichten eines etwaigen Verbotsantrages zu prüfen. Auch diese Vorlage wurde noch nicht beraten.

Nur das Bundesverfassungsgericht darf ein Parteiverbot aussprechen

Weil ein Parteiverbot ein so schwerwiegender Eingriff ist, kann es - anders als bei Vereinen - allerdings nicht von der Exekutive angeordnet werden. Einzig das Bundesverfassungsgericht kann ein Parteiverbot aussprechen. Nur drei Institutionen können ein Parteiverbotsverfahren überhaupt beantragen: der Bundestag, die Bundesregierung und der Bundesrat. Im Bundestag müsste ein Antrag mehr Ja-Stimmen als Nein-Stimmen erhalten. Enthaltungen könnten also die Chancen auf eine Mehrheit erhöhen.

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Am Bundesverfassungsgericht ist der Zweite Senat unter Vizepräsidentin Doris König für Parteiverbote zuständig. Federführender Richter ist Thomas Offenloch, der einst von der FDP vorgeschlagen wurde. Ein Parteiverbot erfordert eine Zwei-Drittel-Mehrheit, das heißt sechs von acht Richtern müssen zustimmen.

Im Fall eines Parteiverbots würde die Partei aufgelöst. Die Gründung einer Nachfolgepartei wäre verboten. Abgeordnete im Bundestag und in den Landtagen verlören ihre Sitze. Die Mehrheitsverhältnisse in vielen Parlamenten würden sich auf einen Schlag fundamental verändern.

Freiheitlich demokratische Grundordnung als Maßstab

Ob ein Verbotsantrag gestellt wird, ist eine politische Entscheidung. Die Gremien können auf einen Antrag verzichten, selbst wenn die rechtlichen Voraussetzungen für ein Verbot gegeben wären.

Kommt es zu einem Verbotsantrag, hat das Bundesverfassungsgericht kein politisches Ermessen. Es muss die Partei verbieten, wenn die Voraussetzungen vorliegen, also wenn die Partei darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen oder zu beeinträchtigen. In seinem NPD-Urteil von 2017 hat das Bundesverfassungsgericht dies konkretisiert: Die freiheitliche demokratische Grundordnung habe vor allem drei zentrale Grundprinzipien: den Schutz der Menschenwürde, die Demokratie und den Rechtsstaat.

Damit unvereinbar ist laut Bundesverfassungsgericht ein völkisches Denken, das von einem ethnisch homogenen Staatsvolk ausgeht, in das man nur hineingeboren werden kann. Dies stehe im Widerspruch zum Volksbegriff des Grundgesetzes, wonach alle deutschen Staatsbürger zusammen das deutsche Volk bilden. Das völkische Denken verletze die Menschenwürde und das Demokratieprinzip, weil es eingebürgerte Deutsche nicht als gleichwertig anerkennt. Es kommt nicht darauf an, ob eine Partei und/oder ihre Anhänger Gewalt anwenden. Entscheidend ist laut Verfassungsgericht ein "planvolles Handeln", um die Ziele zu erreichen und ein "aggressiv-kämpferisches" Vorgehen, wobei verbale Aggressivität genügt.

Ein Verbotsverfahren kann sich über Jahre ziehen

Ein Verbotsverfahren kann in eindeutigen Fällen in einigen Monaten abgeschlossen sein, insbesondere wenn eine Partei in ihrem Programm eindeutig verfassungswidrige Positionen vertritt, etwa die Einführung des Führerprinzips.

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Der Staat griff durch: Wenige Stunden nach dem Verbot der KPD durch das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1956 besetzte die Polizei die Parteizentrale der Kommunisten in Düsseldorf. Auch Pressehäuser der Partei wurden umgehend geschlossen.

Bei einer Partei, deren Programm so geschrieben ist, dass es nicht offen verfassungswidrig ist, dürfte ein Verbotsverfahren einige Jahre dauern. Denn hier geht es um eine mosaikartige Beweisführung, dass wesentliche Teile der Partei doch verfassungswidrige Ziele verfolgen. Die Beweise müssten auf hunderten von Seiten zusammengestellt werden, die betroffene Partei müsste zu den Beweisen Stellung nehmen können und dann müssten sich auch die Richterinnen und Richter ihr Bild von der Materialflut machen.

Verfassungsschutz sieht AfD-Bundespartei als "Verdachtsfall"

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die AfD-Bundespartei bisher als "Verdachtsfall" eingestuft. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat dies im Mai 2024 bestätigt. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Die AfD hat Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingelegt.

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Eigentlich wollte das Bundesamt für Verfassungsschutz noch vor Jahresende mitteilen, ob es die AfD-Bundespartei inzwischen als "gesichert extremistische Bestrebung" einstuft. Darauf hat das Amt aus Respekt vor der Wahl verzichtet - und weil das interne Gutachten angeblich noch nicht fertig ist. Die Kriterien bei einem Parteiverbotsverfahren wären zwar ähnlich, allerdings ist das Bundesverfassungsgericht an die Einschätzung des Verfassungsschutzes nicht gebunden.

In den Bundesländern gehen die Landesämter für Verfassungsschutz mit Blick auf die jeweilige Landespartei teilweise über die Einstufung als Verdachtsfall hinaus. In Sachsen gilt der Landesverband dem hiesigen Verfassungsschutz seit Dezember 2023 als “als gesichert rechtsextremistische Bestrebung”; bereits einen Monat früher hatte der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt bestätigt, den sachsen-anhaltinischen Landesverband ebenso einzustufen. Im Freistaat Thüringen ist der von Björn Höcke geführte Landesverband von den örtlichen Verfassungsschützern seit 2021 als “erwiesen rechtsextremistische Bestrebung” eingestuft worden. 

Verbot der NPD scheiterte zweimal…

Parteiverbote sind keine Selbstgänger, selbst bei Parteien, bei denen wenig Zweifel an der verfassungsfeindlichen Gesinnung besteht. So scheiterten in der Vergangenheit bereits zwei Parteiverbotsanträge gegen die rechtsextremistische NPD. Das erste Verfahren wurde 2003 vom Bundesverfassungsgericht eingestellt, weil zu viele staatliche V-Leute in den Gremien der NPD saßen. Das Gericht verlangt, dass die Verfassungsschutzämter alle V-Leute im Bundesvorstand und den Landesvorständen abschalten, bevor ein Verbotsantrag gestellt wird; die Partei müsse "staatsfrei" sein. Das könnte heute bei einem Verbotsantrag des Bundestags ein Problem sein, denn der Bundestag kann den Ämtern keine Weisungen erteilen, er kann nur die Bundesregierung und die Landesregierungen bitten, ihm zu helfen.

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Beim zweiten Anlauf scheiterte ein Verbot der NPD 2017 an deren mangelnder Relevanz. Die Politik der NPD sei zwar verfassungswidrig, die Partei habe aber nicht das Potenzial, ihre verfassungswidrigen Ziele umzusetzen. Dieses Kriterium hat bei der AfD, die in weiten Teilen Deutschlands stimmenstärkste Partei ist, natürlich keine Bedeutung. Umgekehrt ist aber ein Verbot auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die AfD inzwischen so stark ist. Dieser Aspekt kann nur bei der Frage berücksichtigt werden, ob ein Antrag gestellt wird.

… aber die Partei darf keine staatlichen Gelder mehr erhalten

Mit dem zweiten Urteil zur NPD eröffnete das Bundesverfassungsgericht aber weitere Sanktionsmöglichkeiten gegen verfassungswidrige Parteien. Die Karlsruher Richterinnen und Richter wiesen etwa auf die Möglichkeit hin, die Partei von der Parteienfinanzierung auszuschließen. Die gesetzlichen Grundlagen dafür schuf der Bundestag Mitte 2017. Ein Jahr später beantragten Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat den Ausschluss der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung.

Anfang 2024 folgte das Bundesverfassungsgericht diesem Ansinnen und schloss die inzwischen in "Die Heimat" umbenannte Partei für sechs Jahre von der Parteienfinanzierung aus. Allerdings, so hielt das Gericht selbst fest, hatte die Partei da schon "infolge unzureichender Wahlergebnisse" bei der Bundestagswahl 2021 ihren Anspruch auf staatliche Gelder verloren.