
Schwierige Suche nach dem Ursprung : "Die Menschen wollen wissen, wie diese Pandemie entstanden ist"
Wissenschaftler versuchen immer noch, den Ursprung des Coronavirus zu erforschen. Der Genetiker Günter Theißen hält eine Laborpanne in China für möglich.
Herr Theißen, der Beginn der Corona-Pandemie liegt fünf Jahre zurück, die letzten Auflagen sind im April 2023 ausgelaufen. Wie schauen Sie als Bürger und Biologe, der sich mit dem neuen Virus intensiv befasst hat, im Rückblick auf diese historische Gesundheitsnotlage?
Günter Theißen: Manchmal habe ich das Gefühl, das ist schon sehr weit weg, und manchmal erinnere ich mich noch gut an die Corona-Beschränkungen, das geschlossene Restaurant oder den abgesperrten Spielplatz. Da kommen immer wieder diese Flashbacks. Das ist eine wilde Mischung aus verdammt lang her und es kommt mir wie gestern vor.
Erinnern Sie sich, wann Sie erstmals von dem neuen Coronavirus SARS-Cov-2 erfahren haben?
Günter Theißen: Ich habe damals zum Jahreswechsel 2019/2020 erstmals von einer ungewöhnlichen Lungenkrankheit in China gehört. Da war das Ausmaß der Pandemie überhaupt noch nicht absehbar. Als Biologe und interessierter Mensch hatte ich im Hinterkopf, dass es zuvor schon einmal ähnliche Symptome gab, die durch ein SARS-Corona-Virus ausgelöst worden waren. Erstaunlicherweise wurde schon nach wenigen Tagen der Erreger der neuen Lungenkrankheit als weiteres Coronavirus identifiziert und später SARS-CoV-2 genannt. Zu dem Zeitpunkt wurde noch beschwichtigt, das Virus sei weit weg in China, außerdem werde es nicht von Mensch zu Mensch übertragen.
Der Ursprung des Virus ist nach wie vor unklar. Jetzt wurde bekannt, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) schon 2020 von einem Laborunfall in China ausging. Sie haben während der Pandemie gefordert, die Labor-Hypothese neben dem möglichen natürlichen Ursprung (Zoonose) auch zu berücksichtigen. Fühlen Sie sich bestätigt?
Günter Theißen: Ja, ich fühle mich bestätigt und bin auch verärgert. Einige Forscher, darunter auch ich, haben sich lange bemüht, die Aufmerksamkeit auf den möglichen nicht-natürlichen Ursprung zu lenken. Es gab eine Reihe von Indizien, die darauf hindeuteten, dass das Virus auf einen Laborunfall in China zurückgeht. Wir haben gefordert, es müssten alle Möglichkeiten vorurteilsfrei überprüft werden. Das hat in der Öffentlichkeit nicht zu großer Dankbarkeit geführt. Von Verschwörungstheorien war die Rede. Erst in einem langen Prozess ist ein Verständnis dafür gewachsen, dass dies eine akzeptable Ansicht ist.

Sie haben unter den Wissenschaftlern damit die Minderheitsmeinung vertreten.
Günter Theißen: Die führenden Virologen sind von einem natürlichen Ursprung des Virus ausgegangen, ohne dafür überzeugende Belege zu haben. Die Politik hat sich nur an diesen Experten orientiert und war damit schlecht beraten. Wenn ich heute höre, dass es das Bundeskanzleramt schon früh 2020 hätte besser wissen können, dann ärgere ich mich, dass die einseitige Diskussion so lange laufen gelassen wurde. Die Konsequenz hätte sein müssen, dass der Ursprung des Virus nach wissenschaftlichen Kriterien ergebnisoffen untersucht wird. Das ist bis heute nicht passiert.
Was hat das bei Ihnen bewirkt?
Günter Theißen: Ich sage das als Forscher nicht leichtfertig, aber mir hat das einen Knacks in mein Vertrauen in die Wissenschaft gegeben. Ich habe immer angenommen, dass sich gute Argumente schnell durchsetzen. Dass es eine Gruppe von Wissenschaftlern geben könnte, die die öffentliche Meinung monopolisieren, hätte ich mir nicht vorstellen können.
War Ihr Buch "das Virus" am Ende eine Verzweiflungstat?
Günter Theißen: Verzweiflungstat ist zu viel gesagt, aber es ist ein Versuch gewesen, etwas geradezurücken. Wir haben damals mehrere offene Briefe zu dem Thema veröffentlicht mit der Forderung einer ergebnisoffenen Überprüfung. Ein Agent für Sachbücher hat mir dann vorgeschlagen, ein Buch zu schreiben. Ich dachte, das sei eine gute Gelegenheit, einer breiten Öffentlichkeit nachvollziehbar zu machen, wie man zu der Ansicht kommen kann, es könnte ein Laborunfall gewesen sein.
„Ich hoffe auf einen Lernprozess, dass bei kritischen Fragestellungen von öffentlichem Interesse wie in der Pandemie eine breit angelegte Diskussion geführt wird.“
Wer die Labor-These vertrat, wurde auch in Fachkreisen schnell als Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt. Wie haben Sie das erlebt?
Günter Theißen: Ich habe überraschend wenig direkte Konfrontation erlebt, aber die Top-Wissenschaftler haben uns ignoriert. Dabei ist die virologische Expertise gar nicht entscheidend. Es geht vielmehr darum, vorhandene Evidenzen zu analysieren, und dann kommt man zumindest zu dem Schluss, dass ein Laborunfall nicht auszuschließen ist. Schon deshalb, weil es für eine natürliche Zoonose ja bis heute keine überzeugende Evidenz gibt.
Ist die Wissenschaft letztlich Gewinner oder Verlierer der Pandemie?
Günter Theißen: Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Ich hoffe auf einen Lernprozess, dass bei kritischen Fragestellungen von öffentlichem Interesse wie in der Pandemie eine breit angelegte Diskussion geführt wird und die Politik nicht nur auf wenige Virologen hört, die offensichtlich Interessenkonflikte haben. Der eigentliche Skandal ist, dass es wenigen Akteuren gelungen ist, die Diskussion zu monopolisieren, sodass am Ende vom Fachmagazin "Nature" bis hin zur "Apotheken-Umschau" alle von einem natürlichen Ursprung des Virus berichtet haben, als sei es eine erwiesene Tatsache. Das war es nie und ist es bis heute nicht.
Die Bundesregierung hat die Erkenntnisse des BND offensichtlich über Jahre geheim gehalten. Ist das aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?
Günter Theißen: Nein. Es hat ja eine Diskussion über das Thema gegeben. Und dann so zu tun, als wäre nichts, ist skandalös. In einer liberalen Demokratie wollen die Bürger gut informiert Entscheidungen treffen, zum Beispiel bei Wahlen oder wenn sie sich engagieren. Die Geheimhaltung hat etwas Paternalistisches. Das braucht niemand. Es gibt bis heute keinen endgültigen Beweis, woher das Virus kommt. Aber über Jahre so zu tun, als wäre alles geklärt und Kritiker aus der Forschung als Querdenker oder Schwurbler abzutun, ist inakzeptabel.
Wie sehen Sie die Rolle Chinas bei der Aufklärung des Falls Corona?
Günter Theißen: Ich habe nicht den Eindruck, als hätte China wesentlich zur Aufklärung beigetragen. China unternimmt alles, um insbesondere die Labor-Hypothese zu entkräften. Es geht offensichtlich um rein politische Interessen, die Wahrheit scheint eher sekundär zu sein.
„Ich halte einen Laborunfall in einem der Forschungsinstitute in Wuhan für viel wahrscheinlicher als eine rein natürliche Übertragung des Virus.“
Es hat in Wuhan offensichtlich GOF-Experimente (Gain-of-function-Forschung) an Viren gegeben. Die Forschung zielt darauf ab, die Wirkungsweise von Viren anzupassen und Impfstoffe zu entwickeln. Wie schätzen Sie das ein?
Günter Theißen: Es gibt unterschiedliche GOF-Experimente, die gefährlicheren halte ich für unverantwortlich. Ich hätte mir anfangs gar nicht vorstellen können, dass Virologen so etwas machen. Die spielen mit dem Feuer, wenn auch teils in guter Absicht. Sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass eine Pandemie, die sie eigentlich verhindern wollen, womöglich erst entsteht. Das ist inakzeptabel.
Halten Sie einen Laborunfall im Fall Corona für wahrscheinlich oder nur für möglich?
Günter Theißen: Ich halte einen Laborunfall in einem der Forschungsinstitute in Wuhan für viel wahrscheinlicher als eine rein natürliche Übertragung des Virus.
Wie wichtig ist Ihrer Ansicht die Frage nach dem Ursprung des Virus?
Günter Theißen: Es wird oft gesagt, das sei wichtig, um zu verstehen, was genau passiert ist, damit die nächste Pandemie möglichst verhindert werden kann. Das halte ich gar nicht mehr für ein entscheidendes Argument. Da Covid-19 nach derzeitigem Kenntnisstand einer natürlichen Zoonose oder einem Laborunfall entsprungen sein könnte, sollte man gegen beide Szenarien maximale Vorsorge treffen. Ein wichtigeres Argument ist in meinen Augen im konkreten Fall die Suche nach der historischen Wahrheit. Die Menschen wollen wissen, wie diese Pandemie entstanden ist. Wenn das nicht geklärt wird, schwelt die Frage womöglich über Jahre und Jahrzehnte weiter, einschließlich ungerechtfertigter Beschuldigungen.
Halten Sie eine Aufarbeitung der Corona-Pandemie für sinnvoll?
Günter Theißen: Absolut. Es gibt meiner Ansicht nach eine große Frustration in der Bevölkerung, dass Dinge unter den Teppich gekehrt werden könnten. In den USA hat es eine gute Corona-Aufarbeitung gegeben mit öffentlichen Experten-Anhörungen, das würde ich mir für Deutschland auch wünschen. Bei der Bundestagswahl haben relativ extreme Parteien viele Stimmen bekommen, das hängt meiner Einschätzung nach auch mit der Frustration aus der Coronazeit zusammen. Das ist Gift für die Gesellschaft.
Forscher gehen davon aus, dass wir in absehbarer Zeit wieder eine Virus-Pandemie erleben werden. Als ein Kandidat wird die Vogelgrippe (H5N1) genannt. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?
Günter Theißen: Die Welt ist voller Viren. Es gibt viel mehr Viren als irgendwelche anderen Organismen. Mit vielen dieser Viren kommen Säugetiere und auch Menschen immer wieder in Kontakt. Es gibt Hinweise darauf, dass problematische Kontakte in letzter Zeit häufiger vorkommen, weil wir immer stärker in natürliche Lebensräume von Wildtieren vordringen und diese zerstören. Auch bei einer Massentierhaltung können Viren auf Menschen überspringen. Dagegen können wir uns nicht schützen. Es wird also immer wieder virale Epidemien geben, ob daraus eine Pandemie wird, lässt sich nicht vorhersagen.
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