Fünf Jahre Corona : Streit über die Aufarbeitung der Corona-Pandemie hält an
Nach dem Ende der Corona-Pandemie wird weiter über die Aufarbeitung diskutiert. Einige der damaligen Auflagen stehen in der Kritik. Bilanz eines Notstands.
Als vor fünf Jahren die ersten Coronafälle auch in Deutschland auftraten, standen Ärzte, Virologen, Gesundheitspolitiker und die Bevölkerung vor einem Rätsel. Wie gefährlich war das Virus? Wie könnte man sich vor einer Infektion schützen? Würde es Impfstoffe oder Medikamente gegen die Erkrankung geben? Und könnte das Virus eingedämmt werden?
Die Frage nach der Eindämmung war ziemlich schnell beantwortet. Das Virus verbreitete sich mit einer Dynamik, die nicht einmal Experten vorhergesehen hatten, und das nicht nur in Deutschland, sondern global. Vom ersten bekanntgewordenen Corona-Fall am 27. Januar 2020 in Deutschland bis zu dem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) deklarierten Ende des globalen Gesundheitsnotstands im Frühjahr 2023 befanden sich große Teile der Welt in einer historischen Gesundheitsnotlage.
Im Verlauf der Pandemie starben in Deutschland nach offiziellen Angaben 174.352 Menschen an oder mit Covid-19. Mehr als 38 Millionen Menschen infizierten sich. Geschätzt eine halbe Million Menschen leiden unter Spätfolgen einer Corona-Infektion. Auch die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie sind nachhaltig spürbar.
Viele Fragen drehen sich um die angeordneten Corona-Auflagen
Das Krisenmanagement der beiden Bundesregierungen, die mit der Corona-Pandemie befasst waren, spielt in der öffentlichen Debatte um die Aufarbeitung der Coronazeit eine zentrale Rolle, denn ein Großteil der offenen Fragen dreht sich um die Verhältnismäßigkeit politischer Anordnungen zur Eindämmung der Pandemie. Es geht um die Lockdowns, Maskenpflicht, Ausgangssperren, Schul- und Kitaschließungen, Besuchsverbote in Pflegeeinrichtungen und andere Kontaktbeschränkungen.
Grundlage für die Maßnahmen, die die Große Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einleitete, war der nationale Pandemieplan für Deutschland. Im März 2020 beschlossen Bund und Länder Kontaktbeschränkungen mit dem Ziel, einen unkontrollierten Anstieg der Fallzahlen und eine Überforderung des Gesundheitssystems zu verhindern. Im Februar 2021 setzten sie sich das Ziel, durch eine zügige Impfung der Bevölkerung das Virus langfristig wirksam zu bekämpfen.
Fakten zum Corona-Virus
🦠 Sars-CoV-2 ist ein Virus aus der Gattung der Coronaviren. Das Virus ist wahrscheinlich aus einem tierischen Reservoir auf den Menschen übergegangen.
🏴 Im Zusammenhang mit dem Coronavirus wurden global rund sieben Millionen Todesfälle registriert.
😷 Weltweit haben sich mehr als 777 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert.
Quellen: RKI, WHO
Einige Regierungsvertreter haben rückblickend eingeräumt, dass manche der Auflagen und Entscheidungen damals falsch waren. Merkel selbst bekräftigte in ihren im November 2024 erschienenen Memoiren die Notwendigkeit staatlicher Kontaktbeschränkungen und Alltagsauflagen während der Corona-Pandemie: "Die Alternative wäre gewesen, alle Menschen in kurzer Zeit der von dem Virus verursachten Erkrankung auszusetzen und dabei zuzusehen, wie unser Gesundheitssystem kollabiert."
Kontroverse Debatte über die Impfpflicht für einige Berufsgruppen
Der ehemalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sieht rückblickend die Impfpflicht für einige Berufsgruppen kritisch. Mit Forderungen nach Zwangsimpfungen müsse man sehr vorsichtig sein, sagte er in Bezug auf die umstrittene Impfpflicht für das Personal in Pflege- und Gesundheitseinrichtungen, die ab Mitte März 2022 nachgewiesen werden musste. Die Forderung nach einer allgemeinen Impfpflicht fand im Bundestag keine Mehrheit. Der frühere Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) räumte ein, dass die Koalition fälschlicherweise davon ausgegangen sei, dass Geimpfte sich nicht mit dem Coronavirus anstecken können. Damit habe sie in der Bevölkerung falsche Erwartungen geweckt.
Der jetzige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gestand ein, dass die lange Schließung von Schulen und Kindergärten ein Fehler war. Viele Betriebe seien im Vergleich "relativ geschont" worden, bei Schulen und Kindern sei die Bundesregierung hingegen "sehr hart eingestiegen". Grundsätzlich bewertete Lauterbach die vorsichtige Politik der Regierung aber als richtig.
Expertengremium gibt Empfehlungen für die Politik
Kurz nach dem Start der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP Anfang Dezember 2021 setzte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) einen wissenschaftlichen Corona-ExpertInnenrat im Bundeskanzleramt ein, der die Corona-Politik maßgeblich steuerte. In 33 Sitzungen zwischen Dezember 2021 und April 2023 und zwölf veröffentlichten Stellungnahmen habe das Gremium wichtige Empfehlungen gegeben, die in die politischen Entscheidungen eingeflossen seien, resümierte das Bundeskanzleramt.
Abstand halten und Maske tragen: Das war in der Corona-Pandemie fast überall vorgeschrieben, auch im Bundestag.
Zur Auswertung der Corona-Auflagen setzten Bundesregierung und Bundestag außerdem einen Sachverständigenausschuss ein. Das mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besetzte Gremium sollte die Rechtsgrundlagen und Maßnahmen der Pandemiepolitik evaluieren, um auch Empfehlungen für die Politik zu erarbeiten.
Die Arbeit des Gremiums wurde von Beginn an kritisch gesehen und konnte schließlich auch viele Erwartungen nicht erfüllen. Die Sachverständigen zogen in ihrem Evaluationsbericht eine gemischte Bilanz und verwiesen zugleich auf die beschränkte Aussagekraft der Ergebnisse aufgrund der "meist lückenhaften Datenlage" und des hohen Zeitdrucks.
Keine Mehrheit für Forderung nach einem Corona-Untersuchungsausschuss im Bundestag
Einige der Sachverständigen mahnten weitere Evaluationen an, neue Initiativen zur Aufarbeitung der Coronapolitik aus dem Bundestag gab es aber zunächst nicht. Ende März 2023 forderte die AfD-Fraktion einen Corona-Untersuchungsausschuss, was von den anderen Fraktionen jedoch abgelehnt wurde.
Unterdessen beschäftigten sich Gerichte und der Bundesrechnungshof mit anderen Folgen der Corona-Politik. Das Bundesgesundheitsministerium verlor Rechtstreits wegen offener Rechnungen mit Lieferanten von Schutzmasken, die der frühere Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bestellt hatte. Die scheibchenweise Veröffentlichung von Besprechungsprotokollen des Robert Koch-Instituts (RKI) zur Risikobewertung des Virus im Frühjahr 2024 stellte das politische Handeln von Lauterbach infrage und fachte den Streit über die Rechtmäßigkeit von Corona-Auflagen erneut an.
Die Ampel-Regierung setzte schließlich das Thema Aufarbeitung wieder oben auf die Agenda. Die SPD schlug einen Bürgerrat vor, die FDP plädierte für eine Enquete-Kommission. Zu einer gemeinsamen Lösung für ein geeignetes Format kamen die Koalitionspartner nicht mehr. Am 9. Oktober 2024 teilte die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Katja Mast, mit, dass es "keine zusätzliche Aufarbeitung der Corona-Pandemie in dieser Legislaturperiode geben wird." Wenige Wochen später zerbrach die Ampelkoalition.
Suche nach einem Format für die Corona-Aufarbeitung
Politiker und Wissenschaftler fordern nun die Aufarbeitung von der künftigen Bundesregierung, um auf mögliche neue Pandemien besser vorbereitet zu sein. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will dies notfalls selbst mit einer Kommission in die Wege leiten, kündigte er an.
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Die AfD-Fraktion sieht die Rolle der WHO kritisch und befürchtet übergriffige Regelungen für einzelne Staaten. Andere Fraktionen würdigen die Rolle der WHO.
Der Virologe Hendrik Streeck fordert in seinem Buch "Nachbeben" eine Aufarbeitung der Corona-Pandemie und eine scharfe Trennung von Wissenschaft und Politik.
Fake News gedeihen auch, weil viele gesellschaftsrelevante und alltagsbestimmende Themen durch die Allgemeinbildung kaum noch abgedeckt werden. Ein Essay.
Die FDP fordert in ihrem Wahlprogramm inzwischen einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, genau wie das BSW. Die SPD bleibt bei ihrem Vorschlag eines Bürgerrates. Katrin Göring-Eckardt (Grüne) befürwortete ebenso einen Bürgerrat. Der CDU-Abgeordnete Tino Sorge schlug eine Enquete-Kommission im Bundestag oder eine Bund-Länder-Kommission vor. Auch die Linksfraktion forderte unlängst in einem Antrag eine Enquete-Kommission.
Im AfD-Wahlprogramm findet sich die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss zwar nicht explizit. In Sachsen hat die Partei aber bereits mit Stimmen von BSW-Abgeordneten einen Untersuchungsausschuss zur Corona-Politik im Landtag durchgesetzt.
Dies war der AfD zuvor schon im hessischen Landtag per Minderheitsrecht gelungen. In beiden Landtagen sollen weitere Formate etabliert werden.