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Foto: picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka
Die Spitzen der Nachrichtendienste: Thomas Haldenwang (Verfassungsschutz), Martina Rosenberg (MAD) und Bruno Kahl (BND) berichteten vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium.

Deutschland im Visier von Russland : Brisante Einschätzungen der Geheimdienstspitzen

Spionage und Sabotage - die Spitzen der deutschen Geheimdienste warnen vor russischen Aktivitäten. Auch Rechtsextreme gefährden die Demokratie.

17.10.2024
True 2024-10-18T09:48:08.7200Z
4 Min

Einmal im Jahr hebt sich der Vorhang zum ansonsten geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) des Bundestages. So geschehen am Montag, als mit BND-Präsident Bruno Kahl, Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang und der Präsidentin des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), Martina Rosenberg die Chefs und Chefinnen der deutschen Nachrichtendienste in einer öffentlichen Anhörung dem für die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes zuständigen Gremium Rede und Antwort standen.

Geheimdienste: Russland strebt neue Weltordnung an

Gemeinsam verwiesen sie auf die stetig wachsende Bedrohung durch Russland. Der Kreml sehe Deutschland, auch wegen seiner Unterstützung für die Ukraine, als Gegner, sagte Kahl. Die strategische Ausrichtung Russlands sei gen Westen gerichtet und ziele auf eine neue Weltordnung ab. MAD-Präsidentin Rosenberg sprach von besorgniserregenden Ausspähversuchen gegen die Bundeswehr. Verfassungsschutz-Chef Haldenwang machte auf "Einflussoperationen" russischer Geheimdienste aufmerksam, mit denen russische Desinformation und Propaganda in Deutschland verbreitet werde.

BND-Chef Kahl warf dem russischen Präsidenten Putin vor, eine neue Weltordnung schaffen zu wollen. Russland habe schon damit begonnen, "direkte kinetische Maßnahmen gegen den Westen einzuleiten". Russische Geheimdienste agierten dabei als Speerspitze im hybriden Kampf gegen den Westen mit einem staatlichen Auftrag, mit allen Mitteln und "ohne rechtliche Beschränkungen oder gar Skrupel".

Russland rüste massiv auf und ordne seine Streitkräfte neu, erläuterte Kahl. Sein düsteres Szenario gipfelte in der Einschätzung: "Die russischen Streitkräfte sind wahrscheinlich spätestens ab Ende dieses Jahrzehnts personell und materiell in der Lage, einen Angriff gegen die Nato durchzuführen." Zuvor aber, so der Chef des Bundesnachrichtendienstes, werde Putin "rote Linien des Westens austesten und die Konfrontation weiter eskalieren". Es gehe ihm darum, die Beistandsbereitschaft vor einer offenen Auseinandersetzung zu testen und die Nato noch vor einem möglichen Kriegsbeginn zu spalten.

Russische Geheimdienste lassen militärische Einrichtungen ausspionieren

Von einem "aggressiven Agieren der russischen Nachrichtendienste", sprach der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV). Zunehmend, so Haldenwang, nutze Russland auch Personen aus dem kriminellen Milieu, die gegen Geld spionieren. Zu nennen seien dabei vor allen Drohneneinsätze zur Aufklärung militärischer Einrichtungen und kritischer Infrastrukturen. Aus Spionage könne auch schnell Sabotage werden, sagte der BfV-Präsident. Eine mit Sprengstoff anstelle einer Kamera bestückte Drohne stelle eine große Gefahr dar.

Foto: picture-alliance/dpa/Heiko Rebsch

Im Juli ging auf dem Flughafen Leipzig/Halle ein mit Sprengstoff versehenes Luftfrachtpaket in Flammen auf. Nur durch Zufall sei es nicht an Bord einer Maschine gewesen, berichtete Verfassungsschutzchef Haldenwang.

Apropos Gefahr: Laut Haldenwang ist Deutschland nur knapp einem Flugzeugabsturz entgangen, sagte er mit Blick auf den "DHL-Fall". Im Juli dieses Jahres war ein mit Sprengstoff bestücktes Luftfrachtpaket am Flughafen Leipzig/Halle in Brand geraten. Es sei nur ein glücklicher Zufall gewesen, dass das Paket noch am Boden in Brand geraten sei, so Haldenwang. Wäre es während des Fluges explodiert, wäre es seiner Aussage nach zu einem Absturz gekommen. Der Verfassungsschutzchef ließ es sich nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass die Trümmer in Deutschland auch all die Menschen hätte treffen können, "die offen oder verdeckt mit Putin und seinem Regime sympathisieren".

Verfassungsschutz-Chef: AfD führt demokratische Prozesse ad absurdum

Haldenwang nahm zudem einmal mehr die AfD in den Fokus. Die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland, so der BfV-Präsident, gehe weiterhin vom Rechtsextremismus aus. In Thüringen hätten Vertreter einer dort "erwiesenermaßen rechtsextremistischen Landespartei" bei der konstituierenden Sitzung des Landesparlaments "die demokratischen Prozesse ad absurdum geführt". Hier habe es des Eingreifens des Landesverfassungsgerichts bedurft, um diese Dinge wieder einzubremsen. "Das ist vielleicht ein Vorgeschmack auf das, was uns vielleicht noch bevorsteht", sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Für MAD-Präsidentin Rosenberg sind die Ausspähversuche kritischer Infrastrukturen "besorgniserregend". Dies würde zu erhöhter Wachsamkeit zwingen, sagte sie. Die Bundeswehr stehe bei der Spionage im Fokus. “Sei es, um deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine, Ausbildungsvorhaben oder Rüstungsprojekte aufzuklären, oder um durch Sabotagehandlungen das Gefühl der Unsicherheit zu vermitteln.”

BND: Nachrichtendienste brauchen mehr “operative Beinfreiheit”

Mit Blick auf die Haushaltsberatungen und die geplanten Neuregelungen zur Kontrolle der Nachrichtendienste forderten insbesondere Kahl und Rosenberg, die Möglichkeiten der Dienste nicht stärker einzuschränken. Die Nachrichtendienste bräuchten deutlich mehr operative Beinfreiheit, sagte BND-Präsident Kahl. Die Sicherheitsgesetzgebung dürfe am Ende die Wahrheitsfindung nicht erschweren. "Wir dürfen uns unseren Output nicht völlig abwürgen lassen", sagte der BND-Chef.

Während BfV-Präsident Haldenwang den Schulterschluss aller Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden betonte, ging die MAD-Chefin auf die geplante Novellierung ein. Sie erhoffe sich "eine Realitätsanpassung, die uns die Möglichkeiten und Fähigkeiten einräumt, unseren gesetzlichen Auftrag bestmöglich erledigen zu können", sagte Rosenberg. 

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