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Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com
In der ukrainischen Stadt Butscha sollen russische Truppen im März 2022 massenhaft Kriegsverbrechen begangen haben. Diese Taten können auch in Deutschland verfolgt werden.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit : Opfer von Völkerstraftaten bekommen mehr Rechte

Der Bundestag beschließt einmütig die "Fortentwicklung des Völkerstrafrechts". Unter anderem gibt es nun eine Nebenklagebefugnis.

07.06.2024
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4 Min

Opfer von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen und ihre Angehörigen sollen vor deutschen Gerichten künftig mehr Rechte haben. Der Bundestag beschloss am Donnerstagabend einstimmig bei Enthaltung der AfD einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur "Fortentwicklung des Völkerstrafrechts". Dieser sieht vor, dass Betroffene in Verfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch künftig als Nebenkläger auftreten dürfen. Das war bisher nur bei Taten nach dem Strafgesetzbuch möglich.

Mit dem Entwurf werden zudem die sogenannten Tatbestandsalternativen bei den Tatbeständen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit (Paragraf 7 des Völkerstrafgesetzbuchs) und des Kriegsverbrechens gegen Personen (Paragraf 8) erweitert. Hier wird nun auch der "sexuelle Übergriff", die "sexuelle Sklaverei", das "Gefangenhalten eines unter Zwang geschwängerten Menschen" sowie der "erzwungene Schwangerschaftsabbruch" explizit genannt. Zudem wird "die sexuelle Orientierung als unzulässiger Grund für die Verfolgung einer identifizierbaren Gruppe oder Gemeinschaft durch Entziehung oder wesentliche Einschränkung grundlegender Menschenrechte" aufgenommen.

Verbot bestimmter Splitter- und Laserwaffen aufgenommen

Angepasst wird auch die Regelung des Einsatzes verbotener Mittel der Kriegsführung. Aufgenommen werden bestimmte Splitterwaffen und blindmachende Laserwaffen. Die Erweiterungen begründet die Bundesregierung mit entsprechenden Strafbarkeitslücken im Völkerstrafrecht sowie Anpassungen an die Römischen Statute. Ebenfalls zur Umsetzung internationaler Vorgaben wird im Strafgesetzbuch ein neuer Tatbestand "Verschwindenlassen von Personen" aufgenommen.

Zudem soll mit neuen Regeln dafür gesorgt werden, dass Verfahren in Deutschland international noch größere Beachtung finden. Dazu ist etwa ein vereinfachter Zugang zur Verdolmetschung für ausländische Medienvertreter vorgesehen, im Gerichtssaal sollen zudem Flüsterdolmetscher eingesetzt werden können. Für die Forschung und historische Dokumentation sollen die Hauptverhandlungen zudem aufgezeichnet werden.

Abgeordnete heben Weltrechtsprinzip hervor

In der Debatte betonten fast alle Rednerinnen und Redner die Vorreiterrolle der deutschen Justiz und Strafverfolgungsbehörden bei der Durchsetzung des Weltrechtsprinzips. Danach können Kriegsverbrechen weltweit verfolgt werden. Deutschland trage die besondere Verantwortung, "dieses Prinzip zu verteidigen und weiterzuentwickeln", sagte Katharina Willkomm (FDP). Mit der neu eingeführten Nebenklagebefugnis hätten Opfer und ihre Angehörigen zum ersten Mal die Chance, ihre Stimme im Gerichtssaal zu erheben. "Die Opfer können nun aktiv nach Gerechtigkeit streben", sagte die Abgeordnete. Das sei nicht nur ein Fortschritt für den Rechtsstandort Deutschland, "es ist auch ein Schritt in Richtung einer gerechteren Welt".

Axel Müller (CDU) erinnerte wie andere Rednerinnen und Redner an den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und das Massaker in Butscha. Das Ausmaß menschlicher Gräuel kenne offenbar kein Ende. Daher sei es wichtig, Strafbarkeitslücken im Völkerstrafrecht zu schließen, "um den Tätern, gewissermaßen den Feinden der Menschheit, die richtigen Antworten auf ihr unmenschliches Verhalten zu geben", sagte der Christdemokrat.

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Müller lobte die Koalition, dass sie auf Anregungen aus der Anhörung eingegangen sei und in ihrem Änderungsantrag auch Forderungen der Union aufgegriffen habe. Der Abgeordnete bezog sich dabei beispielsweise auf die Konkretisierung der Nebenklagebefugnis. Von Seiten der Justiz war im Vorfeld befürchtet worden, dass eine zu breite Regelung die Gerichte überfordern könnte. Unglücklich zeigte sich der Christdemokrat mit der Aufzeichnung der Hauptverhandlung. Hier hätte die Koalition dem Opferschutz und der Sicherstellung der Aussagebereitschaft der Zeugen den Vorzug geben sollen, meinte der Rechtspolitiker. Durch die Möglichkeit, die Öffentlichkeit auszuschließen, sei der Entwurf aber zustimmungsfähig.

Funktionale Immunität schützt Verbrecher nicht

Wie auch Müller hob Sozialdemokratin Sonja Eichwede eine weitere Änderung zur sogenannten "funktionalen Immunität" hervor. "Auch Amts- und Hoheitsträger müssen sich vor dem Gesetz für ihre Völkerstrafverbrechen verantworten, sie können sich nicht hinter ihrem Amt verstecken", führte die Rechtspolitikerin aus. Eine entsprechende Regelung wird im Gerichtsverfassungsgesetz aufgenommen, damit wird die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kodifiziert.

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Helge Limburg (Bündnis 90/Die Grünen) verwies darauf, dass der Bundestag der Bundesregierung mit dem Entwurf Hausaufgaben mitgibt. Sie soll die "zu hohen Hürden" bei der Verfolgung von Umweltkriegsverbrechen angehen und sich international für eine Verschärfung einsetzen. "Wenn Verbrechen gegen die Umwelt begangen werden, dann betrifft das natürlich die ganze Weltgemeinschaft", sagte der Abgeordnete. Festgeschrieben im Entwurf ist nunmehr, dass auch innerstaatliche Umweltkriegsverbrechen, also etwa im Rahmen eines Bürgerkrieges, verfolgt werden können. Grundsätzlich stellte Limburg fest: "Wo Kriegsverbrechen nicht verhindert werden können, da müssen sie geahndet werden."

AfD sieht mangelnde Durchsetzbarkeit des Völkerrechts

Die Umsetzbarkeit dieses Anspruchs bezweifelte für die AfD-Fraktion Tobias Matthias Peterka. Die Verschärfung hieß er zwar im Großen und Ganzen gut, allerdings habe das Völkerrecht "eine erhebliche Schwäche: die Durchsetzbarkeit". So hätten internationale Strafgerichte mangels eigener Armee nur eine "punktuelle Bedeutung". Angesichts von der Bundesregierung prognostizierter fünf, sechs Verfahren pro Jahr sei es für ihn fraglich, ob der "außenpolitische Zwerg Deutschland quasi den Ausputzer spielen kann", meinte Peterka.