17. Juni 1953 : Der Wille zur Freiheit
Der Bundestag gedenkt des Volksaufstandes in der DDR vor 70 Jahren am 17. Juni 1953. Zeitzeugen berichten von ihren Erlebnissen.
Der 17. Juni ist ein Tag des Stolzes auf die Menschen in der damaligen DDR, die gegen die Diktatur aufbegehrten. Ein Tag der Freude über unsere in Freiheit und Vielfalt geeinte Republik, die 1989 Wirklichkeit wurde." Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ließ in seiner Rede zur Gedenkstunde des Deutschen Bundestages am vergangenen Freitag zum 70. Jahrestag des Volksaufstandes in der DDR am 17. Juni 1953 keinen Zweifel aufkommen, wen es zu ehren gilt. Jene Hunderttausende Menschen in Ostdeutschland, "die im Juni 1953 den Mut aufbrachten, der SED-Diktatur die Stirn zu bieten".
Der Volksaufstand vom 17. Juni stehe für den "großen Willen der Menschen zur Freiheit" und die "tiefe Angst der Diktatur vor der Freiheit", betonte der Bundespräsident. Mehr als 50 Menschen hätten für diesen Mut mit ihrem Leben bezahlt, seien erschossen, hingerichtet oder in Haft gestorben. "Sie waren Vorkämpfer unserer heutigen Demokratie! Und bis heute sind sie Vorbilder für den Kampf gegen Unrecht und Unterdrückung", sagte Steinmeier.
Zuvor hatte bereits Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) in ihrer Rede die Rolle der Menschen in der DDR in der deutschen Demokratiegeschichte gewürdigt. "1953 und 1989 gehören zum großen demokratischen Erbe, das die Menschen im Osten unseres Landes errungen haben", führte Bas an und fügte pointiert hinzu: "Es war ein Kampf, den die Deutschen im Westen nicht führen mussten."
Anerkennung der Aufständischen blieb viel zu lange aus
Übereinstimmend mahnten Steinmeier und Bas, dass den Frauen und Männern des 17. Juni viel zu lange die Anerkennung verwehrt geblieben sei. In der DDR seien sie als Teilnehmer an einem vermeintlich "faschistischen, konterrevolutionären Putsches", der von "westlichen Agenten" angezettelt worden sei, verunglimpft worden, sagte Steinmeier. "Wer mitprotestiert hatte und eine andere Geschichte erzählen konnte, wurde zum Schweigen gebracht." Aber auch in Westdeutschland sei der geschaffene Nationalfeiertag am 17. Juni schnell zu starren Ritual des Kalten Krieges geworden. "Für die meisten Westdeutschen war dieser Tag der deutschen Einheit nur ein freier Tag im Frühsommer, an dem man etwas Schönes unternehmen konnte", räumte Steinmeier ein.
Auch Bundestagspräsidentin Bas mahnte, dass der 17. Juni "nicht den Platz in unserem historischen Gedächtnis" habe, "den er verdient". Zudem fehle bis heute ein zentraler Gedenkort für die Opfer der SED-Diktatur und den Widerstand gegen die kommunistische Gewaltherrschaft. Dieser müsse "schnell" verwirklicht werden. "Das sind wir den Verfolgten schuldig."
Die Errichtung eines solchen Mahnmals hat der Bundestag bereits vor acht Jahren beschlossen, bislang ist die Standortfrage jedoch nicht geklärt. Bereits am vergangenen Donnerstag hatte der Bundestag im Rahmen einer Debatte zum 17. Juni einen Antrag der Koalitionsfraktionen (20/7202) angenommen, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, das Denkmal nun zügig zu realisieren.
Freiheitsbewegungen in den Ländern des Ostblocks gewürdigt
Steinmeier und Bas erinnerten daran, dass der 17. Juni 1953 den Auftakt zu einer Reihe von Freiheitsbewegungen in den Ländern des ehemaligen Ostblocks bildete: 1956 in Ungarn; 1968 in der Tschechoslowakei; in den 1980er Jahren in Polen. "Immer wieder protestierten die Menschen in Mittel- und Osteuropa für Freiheit und Selbstbestimmung. Immer wieder wurden sie auf Befehl Moskaus mit Gewehren und Panzern blutig gestoppt. Erst 1989, als Gorbatschow die sowjetischen Truppen in den Kasernen ließ, gelang es den Bürgerinnen und Bürgern, sich zu befreien, von Ost-Berlin bis nach Bukarest, von Tallinn bis nach Sofia", sagte Steinmeier. Dieses freiheitliche Europa werde heute wieder durch den russischen Angriffskrieg gegen die souveräne und demokratische Ukraine bedroht. "An diesem Jahrestag des 17. Juni denken wir an die Ukrainerinnen und Ukrainer, die heute gegen Unfreiheit und Unterdrückung kämpfen."
Eindringlich warb Steinmeier auch für ein höheres Engagement in und für die Demokratie: "Es ist eine fadenscheinige Lüge, wenn die Gegner unserer Demokratie, wenn Populisten und Extremisten behaupten, es sei heute ,genau wie damals', genau wie in der Diktatur!" Dies verhöhne die Opfer des SED-Regimes und beleidige "all die Millionen Bürgerinnen und Bürger, die sich Tag für Tag einbringen und engagieren; die sich zwischen Flensburg und Garmisch, zwischen Aachen und Görlitz kümmern um andere und unser Land; die sich für ein gutes Miteinander und Zusammenhalt einsetzen! Diese Menschen braucht die Demokratie!"
Zeitzeugen berichten vom Aufstand
Begleitet wurde die Gedenkveranstaltung durch die Augenzeugenberichte von Siegfried Keil, Helfried Dietrich, Karin Sorger und Frank Nemetz, die den Volksaufstand als Kinder und Jugendliche erlebten, sowie einem zeitgenössischen Tonmitschnitt einer Betriebsversammlung des Elektromotorenwerks in Wernigerode am 18. Juni 1953. Während Nemetz von seinen Erlebnissen während des Aufstands persönlich berichtete, wurden die Berichte von Keil, Dietrich und Sorger von Schülern des Berliner Anna-Essinger-Gemeinschaftsschule vorgetragen.
Siegfried Keil wurde 1954 wegen kritischer Äußerungen zur Volkskammerwahl verhaftet und zu eineinhalb Jahren Haft und Zwangsarbeit verurteilt. Helfried Dietrich stellte 1986 mit seiner Familie einen Ausreiseantrag, der erst nach dreieinhalb Jahren und ständigen Schikanen genehmigt wurde. Karin Sorger lehnte einen Anwerbeversuch der Stasi ab und wurde nach einem Fluchtversuch 1977 zu Haft im Frauenzuchthaus Hoheneck verurteilt. Im Rahmen des Häftlingsfreikaufs kam sie in die Bundesrepublik. Frank Nemetz beteiligte sich im Herbst 1989 an den Montagsdemonstrationen in Leipzig und engagiert sich bis heute für ehemalige politische Gefangene.
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