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Gedenken : "Eine Nacht der Schande für unser Land"

84 Jahre nach der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 warnt der Bundestag vor wachsendem Antisemitismus.

14.11.2022
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3 Min

Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938: Mehr als 1.200 Synagogen wurden in Deutschland niedergebrannt, unzählige Wohnungen verwüstet und etwa 7.500 jüdische Geschäfte zerstört. Jüdinnen und Juden wurden erschlagen, niedergestochen oder zu Tode geprügelt, kurz darauf mehr als 30.000 Juden verhaftet und in Konzentrationslager deportiert. Diese Erinnerung trug Lamya Kaddor (Grüne) vergangene Woche im Bundestag vor und verband damit die Frage: "Alles Geschichte?" Die ebenso knappe Antwort: "Mitnichten!"

Grüne: Menschenfeindlichkeit macht vor niemandem halt

Dies illustrierte sie mit ihrer Schilderung eines Schock-Erlebnisses: Ihre zwei muslimischen Kinder gehen in Duisburg in einen jüdischen Kindergarten. Eins holte sie ab, als ein Mann von seinem Balkon rief: "Euch hätte man alle vergasen müssen." Eine Überlegung: "Was hätte er gedacht, wenn er gewusst hätte, dass ich nicht eine Jüdin bin?" Und der Befund: "Die Szene zeigt, dass Antisemitismus keine Jüdinnen und Juden braucht, um zu funktionieren." Jeden könne es treffen. Menschenfeindlichkeit mache vor niemandem halt.

Diese Sichtweise durchzog die meisten Redebeiträge in der Debatte des Bundestages am 9. November unter dem programmatischen Doppel-Titel: "Antisemitismus bekämpfen - Erinnern heißt handeln."


„Jüdisches Leben ist Teil von uns.“
Dirk Wiese (SPD)

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, Antisemitismus bedrohe alle, sei Feind der Jüdinnen und Juden und Feind auch aller Demokratinnen und Demokraten. Für den Kampf gegen den Antisemitismus seien aktives Handeln des Rechtsstaats und eine herausragende Erinnerungskultur vonnöten. Politische Bildung, Prävention und entschlossene Arbeit der Sicherheitsbehörden seien Eckpunkte bei der Bekämpfung des Antisemitismus. Sie verwies auf die nationale Strategie zur Antisemitismusbekämpfung. Zudem werde noch in diesem Jahr das Demokratieförderungsgesetz auf den Weg gebracht - auch zur Unterstützung des Kampfes gegen Antisemitismus.

Ministerin beklagt Anstieg antisemitischer Straftaten

Die Ministerin beklagte zugleich, dass seit Jahren ein Anstieg antisemitischer Straftaten zu verzeichnen sei. Oft handele es sich um Volksverhetzungsdelikte, doch dass den Worten auch Taten folgen können, habe der Anschlag auf die Synagoge in Halle. "bitter vor Augen geführt". Sie schäme sich dafür, dass jüdische Schulen und Kindergärten polizeilich bewacht werden müssten, fügte Faeser hinzu. Die Pogromnacht von 1938 sei "eine Nacht der Schande für unser Land".

Union mahnt positive Förderung jüdischen Lebens an 

Michael Breilmann (CDU) betonte, beim Kampf gegen den Antisemitismus brauche es einen 360-Grad-Blick. Der müsse sich auch auf Islamisten richten, auf das linke Spektrum im Zusammenhang mit Kapitalismuskritik und auch auf das Spektrum der Corona-Leugner und Verschwörungstheoretiker. Der Staat spiele eine große Rolle im Kampf gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus. Jüdisches Leben müsse positiv gefördert werden. Breilmann forderte, dass Betreiber von Internetforen konsequenter gegen Hass und Hetze gegen Juden im Internet vorgehen. Es sei inakzeptabel, dass jüdische Menschen sich nicht trauten, ihre Religion zu praktizieren und zu zeigen.

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Beatrix von Storch (AfD) sagte, seit der Flüchtlingswelle 2015 habe der Antisemitismus in Deutschland zugenommen. Die gegenteilige Tendenz sei in Ungarn zu verzeichnen. Innerhalb der Klimaaktivisten machte sie eine Zunahme von Antisemitismus aus. Die AfD wolle Judenhasser und Islamisten abschieben und keine mehr hereinlassen. "Hassmoscheen" wolle sie schließen und die Auslandsfinanzierung von Moscheen unterbinden.

FDP warnt vor Relativierung und Verharmlosung 

Linda Teuteberg (FDP) unterstrich, jüdisches Leben in Deutschland müsse sicher, frei und selbstbestimmt sein. Polizeischutz sei ebenso notwendig wie traurig. Glaubwürdigkeit im Kampf gegen den Antisemitismus erfordere, keinen Unterschied zu machen, aus welcher Ecke er kommt. Es müsse an den Schulen mehr geredet werden über jüdisches Leben. Menschenverachtendem Gedankengut insgesamt müsse immer klar entgegengetreten werden. Sie warnte vor einer neuen Tendenz der Relativierung und Verharmlosung.

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Petra Pau (Linke) sagte, der Rückblick auf die Shoah müsse mit einem Blick auf das "alltägliche Dilemma" einhergehen. Antisemitismus sei präsent und bedrohe "Jüdinnen und Juden hierzulande, weil sie Jüdinnen und Juden sind". Dies sei nicht hinnehmbar. Das "Kontra zum Antisemitismus" bedürfe aber auch eines "Pro zum jüdischen Lebern". Über jüdische Kultur erführen die Schüler kaum etwas. Jüdinnen und Juden gehörten in die Schulpläne und in das alltägliche Leben - etwa mit Rücksicht in Betrieben auf ihre Feiertage.

Dirk Wiese (SPD) stellte den Fall der Mauer am 9. November 1989 der Pogromnacht von 1938 gegenüber. Für die Verantwortung der Deutschen am Holocaust gebe es keinen Schlussstrich. "Jüdisches Leben ist Teil von uns", hob er hervor. Das müsse nicht zuletzt der jüngeren Generation vermittelt werden.