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Foto: picture alliance / ZB | Sascha Steinach
Bilder von Diktatoren und der Schriftzug „More walls to tear down“ – „mehr Mauern müssen abgerissen werden“ auf Mauerresten in Berlin.

Schwache Despoten : Anleitung zum Tyrannensturz

Marcel Dirsus hat eine kurzweilige Handreichung zur Entschlüsselung von Diktaturen vorgelegt und macht Vorschläge, wie Despoten zu überwinden sind.

20.03.2025
True 2025-03-20T16:57:26.3600Z
3 Min

Dieses Dasein muss ein einziger Kopfschmerz sein: Hinter dicken Mauern lebt der Despot, begleitet von Palastwachen, in deren Köpfe man nicht schauen kann, umgeben von Paladinen, die zu flüstern beginnen, sobald man ihnen den Rücken kehrt. Um sich ein Bild der Lage im Land zu verschaffen, muss der Herrscher in einer trüben Suppe aus Vertuschung und Beschönigungen seiner Untergebenen fischen. Rauszugehen ist keine Option, denn vor den Palasttoren lauert das Volk, das offenkundig viele Rechnungen mit dem Tyrannen offen hat.

Marcel Dirsus schildert in seiner sehr lesenswerten und unterhaltsam geschriebenen Analyse eine klaustrophobisch anmutende Welt der Despoten: Es ist ein Handbuch für das Studium von Diktaturen, angetrieben von der Frage, wie sich diese überwinden lassen.


„Ein von seiner rosigen Zukunft überzeugter Mann benötigt keine kilometerlangen Tunnel unter dem Anwesen.“
Marcel Dirsus

Recht naheliegend ist der Schluss, dass Tyrannen und Despoten im Grunde bedauernswerte Figuren sind. Ein Beispiel ist der exzentrisch auftretende libysche Langzeit-Despot Muammar al-Gaddafi, der im Besitz einer Amazonen-Leibgarde und einer vergoldeten Waffe war, was ihn 2011 aber nicht vor dem tödlichen Sturz durch Rebellengruppen bewahrt hat. "Ein von seiner rosigen Zukunft überzeugter Mann benötigt nicht mehrere Anwesen mit kilometerlangen unterirdischen Tunneln", schreibt Dirsus dazu trocken.

Für Despoten bedeutet der Verlust von Macht auch den Verlust von Freiheit und Leben

Sein Buch beschreibt an einer Vielzahl von Beispielen, historische wie aktuellen, wie Alleinherrschaften beschaffen sind, welchen Mechanismen und inneren Logiken sie folgen. So exzentrisch Potentaten auftreten, so gewaltsam, repressiv und zuweilen abstrusen Personenkult verströmend ihre Regime sind, so sehr lassen sich diese Dinge im Kern als Herrschaftstechniken und damit immer auch als rational beschreiben, so die Grundannahme. 


Marcel Dirsus:
Wie Diktaturen stürzen und wie Demokraten siegen können.
Kiepenheuer & Witsch,
Köln 2025;
368 S., 28,00 €


Der Verlust von Macht bedeute für den Diktator den Verlust von Freiheit und vermutlich Leben. "Das erklärt, warum Tyrannen handeln wie sie handeln." Es kommen Variablen ins Spiel: Auffällig oft gehen grausame Regime mit Rohstoffreichtum des Landes einher, bevorzugt Öl oder Diamanten, für die sich selbst bei Sanktionen ein Käufer finden lässt. Nahezu immer verteilen Diktatoren von unten nach oben, wo sie "Eliten" in ausgeklügelter Balance halten und bestechen müssen. 

Manchmal machen sich Diktatoren für eine ausländische Macht unentbehrlich, "Stabilität" und Bündnislogiken gehen dann mitunter vor Menschenrechten: Ein "Schweinehund" sei er, "aber er ist unser Schweinehund" - so soll US-Präsident Franklin D. Roosevelt 1938 Nicaraguas Diktator Anastasio Somoza García bezeichnet haben.

Diktatoren müssen Stärke zeigen, weil sie im Grunde schwach sind

Gemeinsam ist Diktatoren ihr Scheitern, so eine weitere These des Buchs. Dirsus schildert diese von ihm unterstellte Unausweichlichkeit nicht nur am Beispiel von permanent drohenden Bürgerkriegen oder einem Putsch, sondern auch an vermeintlich friedlichen Szenarien. 

Alternde Potentaten sind nicht in der Lage, Loyalität für ihr Regime über ihren Tod hinaus zu sichern. Wenn sie einen Nachfolger aufbauen, droht ihnen das Schicksal, von diesem kaltgestellt zu werden. "Diktatoren, die versuchen die Fackel weiterzureichen, verbrennen sich häufig die Finger." Auch auf zahlreiche Versuche westlicher Länder, einen "Regime Change" von außen zu bewirken, geht der Autor ein. Erfolgversprechend sind all diese Interventionen nicht.

Der Ton von Dirsus Studie ist getragen von der Gewissheit, dass Demokratien mit ihrer Fähigkeit zur Selbstkorrektur Diktaturen überlegen sind. Diktatoren müssen Stärke zeigen, weil sie im Grunde schwach sind, so könnte die Kurzzusammenfassung lauten. Was aber, wenn Demokratien am Ende weniger durch Diktaturen als durch Angriffe im Inneren gefährdet sind? 

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Ein Blick über den Atlantik zeigt ein Mutterland der Demokratie, das soeben einen verurteilten Straftäter zum Präsidenten gewählt hat, der Anhänger zu einem Sturm auf das Parlament anstachelte und sich aktuell Gerichtsentscheidungen widersetzt. Dirsus Buch steht ganz im Bann der Frage, wie Diktaturen scheitern, wie sie sich überwinden lassen. Auf die Frage, wie womöglich Demokratien ins Autoritäre kippen und sich für den Keim des Diktatorischen begeistern, sucht es keine Antworten.