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Die Umdeutung von Geschichte : Im Kampf gegen das westliche Wertesystem

Volker Weiß entschlüsselt in "Das deutsche demokratische Reich" überzeugend die Umdeutung der Geschichte durch die extreme Rechte und autoritäre Systeme.

20.03.2025
True 2025-03-20T16:40:40.3600Z
3 Min

Dass Hitler ein Kommunist gewesen sein soll, wie Alice Weidel gegenüber Elon Musk behauptete, ist ein Beispiel für propagandistisches Framing. Mit solchen surrealen Aussagen hatte die AfD-Kanzlerkandidatin beste Chancen, die Aufmerksamkeit der Medien und der Wähler zu erregen. 

Die Umdeutung der Geschichte gehört zum gängigen Repertoire der modernen autoritären, rechtspopulistischen und nationalistischen Bewegungen. Dies belegen auch die zahlreichen Äußerungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der sich als Verteidiger des Vaterlandes gegen die "ukrainischen Nazis" aufspielt, die angeblich von einem "faschistischen Putschisten-Regime" in Kiew angeführt werden.

Foto: picture alliance/dpa/Matthias Balk

Geschichtsverständnis der AfD: In ihrem Gespräch mit Elon Musk auf X erklärte Alice Weidel die Nationalsozialisten und Adolf Hitler zu Kommunisten.

Um die Gegenwart politisch "umzudekorieren", greift die extreme Rechte tief in den Fundus der Nationalgeschichten. Das zeigt der Publizist und Historiker Volker Weiß in seiner exzellent recherchierten und gut strukturierten Analyse "Das deutsche demokratische Reich". Ein vielsagender Titel. 

Volker Weiß gehört zu den meinungsstarken deutschen Autoren und wurde 2017 einem größeren Publikum durch seine Studie "Die autoritäre Revolte" bekannt. Darin schilderte er die Entstehungsgeschichte der Neuen Rechten und analysierte die Entwicklung des modernen autoritären Populismus in Deutschland und in Europa.

Die DDR wird zum preußischen Ordnungsstaat umgedeutet

Welche Themen und Begriffe greift die extreme Rechte auf, um die Bevölkerung zu manipulieren? Welchem Leitbild folgt ihre historisch-fiktionale Gegenerzählung? Und was ist der Grund für diese Geschichtsumschreibung? In seinem aktuellen Buch entlarvt Weiß die Neuinterpretation der deutschen Geschichte seit der Nazi-Herrschaft über die DDR bis zur aktuellen Deutung der Geopolitik als Konstrukt der Rechten. 

Dazu stellt er seinen Lesern jene Autoren wie etwa Jürgen Elsässer vor, die ihr rechtsextremes Gedankengut zuerst in eigenen Publikationen präsentierten, um später von AfD-Politikern in eine breite Öffentlichkeit getragen zu werden. So gelang es ihnen, ein "verstörendes Phänomen der antikommunistischen DDR-Nostalgie" zu kreieren, betont Weiß. Der AfD gelinge es so, Elemente der repressiven DDR-Gesellschaft positiv umzudeuten und das Erbe des Aufstands von 1989 mit der Parole "Wir sind das Volk" zu okkupieren. "Die eingefleischten Antikommunisten" framten die DDR zum preußischen Ordnungsstaat und zum Land der verlorenen deutschen Tugenden um.


Volker Weiß:
Das deutsche demokratische Reich.
Wie die extreme Rechte Geschichte und Demokratie zerstört.
Klett-Cotta,
Stuttgart 2025;
288 S., 28,00 €


Zur späten Liebe der Rechten gehört neben der DDR auch die Umdeutung der sozialistischen Sowjetunion zu einer modernisierten Form des russischen Reiches, das unter Putin gegen den destruktiven Globalismus die wahren konservativen Werte verteidige. Weiß erklärt, warum die Rechten den deutsch-russischen Beziehungen und dem Krieg Russlands gegen die Ukraine im Vergleich zu anderen Themen eine überproportional hohe Bedeutung beimessen. 

Russlands Geschichtsumdeutung hilft der extremen Rechten

Der Historiker zeigt, dass bei der deutschen Rechten ein doppeltes Russlandbild existiert: Zum einen beschwören sie das rassistische Bild von der "asiatischen Bedrohung", zum anderen setzen sie ihre Hoffnung auf Russland "als Geburtshelfer für die Abnabelung vom Westen". Mit Putin und seinem Außenminister Sergei Lawrow könnte man auch sagen: Es geht um den ewigen Kampf gegen die "Anglo-Sachsen" und ihr liberales Wertesystem.

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Auch der russische Geschichtsrevisionismus in Bezug auf die Rolle Polens beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs leistet der extremen deutschen Rechten wertvolle Dienste. Es helfe der Rechten, "Deutschland von der maßgeblichen Verantwortung für die zwei Weltkriege zu befreien", meint der Autor. Die AfD übernahm von Anfang an Putins Narrativ mit Blick auf den Ukraine-Krieg und bekämpfte im Bundestag die Russland-Sanktionen und die Hilfsmaßnahmen für die Ukraine, darunter die Aufnahme der Flüchtlinge.

Putin dankt der AfD für deren Kurs im Ukraine-Krieg

Der russische Präsident revanchiert sich, indem er die AfD in Interviews und Pressekonferenzen regelmäßig positiv erwähnt. Die AfD sei die einzige Volkspartei in der Bundesrepublik, die die wahren Interessen Deutschlands vertrete und nicht das Volksvermögen an die ukrainische "Nazi-Regierung" verpulvere. Moskau ließ die deutschen Wähler wissen, bei der AfD handele es sich nicht um eine rechtsextreme Partei. Auch für den innerrussischen Markt war die AfD-Kritik an der Berliner Ampel-Regierung wegen ihrer Unterstützung der Ukraine bestens geeignet.

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Eindringlich warnt Volker Weiß vor einer grassierenden Geschichtslosigkeit, die von der extremen Rechten genutzt werde, die erinnerungspolitische Selbstkritik als repressiven Akt abzustempeln und sich selbst "mit dem Gestus des Widerstandes" zu präsentieren. Sein empfehlenswertes Buch ist ein wertvoller Beitrag, die Umdeutungen von Geschichte und Gegenwart zu entschlüsseln und ihrer politischen Ausbeutung entgegenzutreten.