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Foto: picture alliance / Anadolu | Moiz Salhi
Zwischen Schutt sucht ein Junge in Gaza-Stadt nach Verwertbarem. Mehr als 70 Prozent der Gebäude sollen durch israelische Luftangriffe zerstört worden sein.

Gaza : Die Rolle der Schuldigen ist klar verteilt

Pankaj Mishra analysiert in „Die Welt nach Gaza“ den Nahostkonflikt aus postkolonialer Perspektive. Mit Israel, aber auch mit Deutschland, geht er hart ins Gericht.

20.03.2025
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3 Min

Pankaj Mishras Buch "Die Welt nach Gaza" ist über weite Strecken eine Abrechnung. Der in Indien geborene Essayist, Literaturkritiker und Bestsellerautor zählt zu den international einflussreichsten Intellektuellen, gilt als Vordenker und Stimme des globalen Südens. 

Mishra sieht bei Politikern “Gefühlsmangel” gegenüber dem Schicksal der Palästinenser

Für sein Buch "Aus den Ruinen des Empires", das das Aufbegehren Asiens gegen den westlichen Imperialismus thematisiert, erhielt er 2014 den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Die Auseinandersetzung mit dem Erbe von Imperialismus und Kolonialismus und die Kritik am Liberalismus sind Leitmotive seiner Arbeit.


„Eine von den westlichen Demokratien gemeinschaftlich herbeigeführte Katastrophe.“
Pankaj Mishra

In seinem jüngsten Buch nun analysiert Mishra den Nahostkonflikt aus postkolonialer Sicht. Die historischen Hintergründe betrachtet er ebenso wie die geopolitischen Folgen und international gespaltenen Reaktionen auf Israels Krieg gegen die Hamas in Gaza. Dabei geht Mishra, der teilweise in London lebt und für amerikanische Medien wie die "New York Review of Books" schreibt, mit Israel und seinen westlichen Unterstützern hart ins Gericht. 

Den USA, aber auch Deutschland wirft er vor, angesichts von Zerstörung und Kriegsverbrechen nichts zu tun. In den letzten Jahrzehnten sei viel geschehen, "Naturkatastrophen, Finanzkrisen, eine weltweite Pandemie, politische Erdbeben, Eroberungskriege und Rachefeldzüge", schreibt der 56-Jährige. Doch keine dieser Katastrophen reiche an Gaza heran. Dennoch zeigten westliche Politiker ein erschreckendes Maß an "Gefühlsmangel" gegenüber dem Schicksal der Palästinenser.

Rassismus als zentrales Problem der internationalen Politik

Die von "westlichen Demokratien gemeinschaftlich herbeigeführte Katastrophe" habe die nach dem Sieg über den Faschismus 1945 aufgenommene Illusion einer von "Respekt vor den Menschenrechten und einem Minimum an rechtlichen Normen getragenen Menschheit zerstört", urteilt Mishra. 


Pankaj Mishra:
Die Welt nach Gaza.
S.Fischer,
Frankfurt/M. 2025;
304 S., 25,00 €


Als Grund für das Agieren Israels und seiner westlichen Unterstützer führt er Rassismus an: Der scheinbar unlösbare Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern liege auf "einer der heimtückischsten Bruchlinien der modernen Geschichte: der Farbenlinie", schreibt er und verwendet einen Begriff, den ursprünglich der afroamerikanischen Bürgerrechtler W.E.B. du Bois prägte, um das zentrale Problem der internationalen Politik, die Einteilung der Welt in einem dominanten westlich-weißen Teil und einen dominierten nicht-westlich-farbigen Teil, zu beschreiben.

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So wie die kolonialisierten Völker außerhalb des Westens, galten die Juden als die Rückständigen, so Mishra: "Sie gehörten einer familien- und verwandtschaftsorientierten Gruppe von Menschen an, die ihre Werte aus der Vergangenheit schöpften, nun jedoch vor einer beispiellosen Herausforderung in Gestalt einer westlichen Moderne standen, die mit einem neuen rassistischen Diskurs über Zivilisation diese Traditionen rücksichtslos mit Füßen trat und alle darin nicht Bewanderten in tiefe Gefühle der Zurückweisung, der Demütigung und des Selbstzweifels stürzte."

Einen Ausweg habe der Zionismus geboten, der einen eigenen Staat in Palästina versprach. Die Juden Europas identifizierten sich nach Mishras Lesart mit ihren Unterdrückern und wurden zu Vorreitern der westlichen Moderne - um im "unzivilisierten" Nahen Osten eine europäisch-zivilisatorische Nation zu gründen: Israel.

Mishra zeichnet detailreich die Politik des jungen jüdischen Staates nach

Die Juden hätten danach die Seite gewechselt, seien "eine Kolonialmacht im Nahen Osten geworden". Mishra führt Zitate jüdischer Intellektueller und Holocaustüberlebender wie Hannah Arendt, Jean Améry und Primo Levi an, um zu belegen, wie die Opfer schließlich zu Tätern geworden seien. Die Shoa, das dominierenden Gründungsnarrativ des jüdischen Staates, sei von israelischen Regierungen fortan missbraucht worden, um ihre Gewaltbereitschaft zu legitimieren.

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Mit großem Wissen schreibt der Autor über jüdische Geschichte und Kultur, zeichnet detailreich die Politik des jungen jüdischen Staates nach. Oft ist Mishras Kritik zutreffend: Etwa, wenn er auf die "Tauschstruktur" der frühen deutsch-israelischen Beziehungen hinweist - Waffen gegen Rehabilitation - oder den jüngsten Umgang mit israelkritischen Kulturschaffenden hierzulande moniert. 

Doch Mishra lässt auch Aspekte unerwähnt: Der These etwa, dass die bedingungslose Solidarität der Deutschen zu Israel jede Kritik ausschließe, widerspricht der "stille" Waffenboykott 2024. Dass Deutschland auch neben der EU größter Geber des von Israel aufgrund des Verdachts der Unterwanderung durch die Terrororganisation Hamas verbotenen Palästinenserhilfswerk UNRWA ist, stellt ebenso die Kritik der einseitigen Parteinahme in Frage. 

So entsteht ein schwarz-weiß gezeichnetes Bild des Konflikts und seiner Beteiligten: Die Rollen der Schuldigen sind klar verteilt, die Hamas und der sie unterstützende Iran bleiben dabei seltsam unterbelichtet.

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