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Alhierd Bacharevič im Interview : "Einen anderen Weg als nach Europa haben wir nicht"

Der belarussische Exil-Schriftsteller Alhierd Bacharevič erhält den diesjährigen Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Ein Interview über seine Heimat.

19.03.2025
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6 Min
Foto: Julia Cimafiejeva

Seit 2020 lebt der belarussische Schriftsteller Alhierd Bacharevič mit seiner Frau dauerhaft im Exil.

Herzlichen Glückwunsch zum diesjährigen Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung, den Sie für Ihren Roman "Europas Hunde" erhalten. Kannten Sie den Preis vorher?

Alhierd Bacharevič: Klar. Es ist ein recht bekannter Preis, den renommierte Schriftsteller erhalten haben, darunter die spätere Nobelpreisträgerin Svetlana Alekseevic, die auch Belarussin ist.

Aber Sie sind der erste auf Belarussisch schreibende Schriftsteller, der diesen Preis bekommt.

Alhierd Bacharevič: Es ist sehr wichtig, genau das zu betonen und darüber zu sprechen. Leider ist die belarussische Literatur nicht besonders bekannt in Europa und in der Welt, obwohl sich die Lage in den letzten fünf Jahren zum Besseren entwickelt hat. Ein solcher Preis macht unsere Literatur bekannter. Und ich hoffe, dass nach mir auch andere Autoren solch renommierte Preise erhalten.

Der belarussische Publizist Pavel Barkovskij meint, dass sich in Belarus "eine der schlimmsten Russifizierungen der letzten Jahrhunderte" ereignet. Allerdings schrieben während der Sowjetära die bekanntesten Schriftsteller des Landes auf Russisch. Gibt es viele Autoren in Belarus, die in der Landessprache schreiben?

Alhierd Bacharevič: Das ist ein sehr ernstes Thema. Die Mehrheit der Belarussen ist russischsprachig. Die Menschen entscheiden sich für Russisch, weil es die Sprache der Macht und der Bürokratie ist. Außerdem ist Russisch prestigeträchtig, Ausdruck einer großen Weltkultur. Für die Mehrheit ist Russisch das Fenster zur Welt.

Zahlreiche Umfragen belegen, dass nur eine Minderheit Belarussisch spricht.

Alhierd Bacharevič: Die Menschen kennen die Sprache, aber sie beherrschen sie eher passiv. Inzwischen lernen die Schülerinnen und Schüler in Aljaksandr Lukaschenkas Staat Belarussisch, weil es neben Russisch die zweite Amtssprache ist. Hunderttausende setzen Belarussisch an die erste Stelle. Nach der Unabhängigkeit 1991 änderte sich die Lage zum Besseren, man sprach auch im Alltag Belarussisch, die Kultur auf Belarussisch entwickelte sich. Heute können wir sicher sagen: Ja, die belarussische Kultur nimmt einen respektablen Platz ein.


„Meine Hauptbotschaft lautet, dass Belarus zu Europa gehört. Einen anderen Weg als nach Europa haben wir nicht.“
Alhierd Bacharevič

In Ihrem Buch, "Europas Hunde", das Sie 2017 veröffentlichten, schreiben Sie über russische Schriftsteller, die "sich für den Nabel der Welt hielten". Dabei sei Russland "das Imperium des Horrors und des Blutes". Woher kommt Ihre Haltung gegenüber Russland?

Alhierd Bacharevič: Ab den 1990er Jahren war für mich klar, dass Russland ein Imperium ist. Es ist der Schlüssel zur allem, was in Europa passiert ist, bis heute. Imperien können nicht demokratisch sein, sie sind immer auf Raubzug und wollen expandieren, sowohl politisch als auch kulturell. Als wir diese Themen im Westen ansprachen, wollte das keiner hören, niemanden interessierte es. Wer sind diese Belarussen? Was haben uns die belarussischen Schriftsteller zu sagen? Unsere Literatur war im Westen unbekannt. Für uns war Russland immer ein Imperium, immer ein Feind, in dessen Schatten wir leben mussten. Wir Belarussen wollen überleben. Aber wir können die Geografie nicht ändern, Russland bleibt unser Nachbar. Deshalb ist es unsere Aufgabe, den belarussischen Staat zu erhalten mit unserer Kultur und Sprache. Wir dürfen uns nicht in Russland auflösen.

Foto: Julia Cimafiejeva
Alhierd Bacharevič
ist 1975 in Minsk geboren und studierte belarussische Literatur und Sprachwissenschaft an der Pädagogischen Universität in Minsk. Nach seinem Studium arbeitete er zunächst als Lehrer und Journalist. Er hat mehrere Romane und Essaysammlungen publiziert, seine Bücher sind ins Deutsche, Englische, Russische und weitere Sprachen übersetzt. Zwischen 2006 und 2013 lebte er erstmals in Hamburg und seit 2020 dauerhaft mit seiner Ehefrau im Exil.
Foto: Julia Cimafiejeva

Deshalb brauche Belarus den Nationalismus, haben Sie früher gesagt.

Alhierd Bacharevič: Ja, in der Welt gibt es den Kampf der Kulturen, vor allem der größeren gegenüber den kleineren. Die angelsächsische, die chinesische und die russische Kultur sind mächtig. Sie waren immer stärker als unsere. Aber sollen wir uns ihnen unterwerfen und auf unsere eigene Kultur verzichten? Natürlich können wir diesen Kampf nicht gewinnen: Das Wichtigste für uns ist, diesen Kampf nicht zu verlieren.

Sie befürchten eine Assimilation?

Alhierd Bacharevič: Ja. Deshalb ist es für uns Belarussen so entscheidend, unsere Muttersprache zu sprechen und zu lesen. Unsere Sprache ist die mächtigste Waffe gegen die Assimilation.

Was wollen Sie mit ihrem Buchtitel "Europas Hunde" ausdrücken? Die Russen sagen: "Der Hund ist der beste Freund des Menschen." Sind die Belarussen die Hunde, die besten Freunde Europas?

Alhierd Bacharevič: (lacht) Meine Hauptbotschaft lautet, dass Belarus zu Europa gehört. Einen anderen Weg als nach Europa haben wir nicht. Was den Titel des Buches betrifft, den habe ich für die Journalisten erfunden. Wir Belarussen sind klein, gutmütig, man streichelt uns, aber man versteht uns nicht. So wie Menschen die Hunde nicht verstehen. Es geht um eine Liebe ohne Verstehen, Respekt ohne Verständnis für unsere Sorgen. Aber genau das brauchen wir, dass man uns als gleichberechtigt anerkennt.

Sie erwähnten Ihre Befürchtungen vor einem "Unionsstaat Russland - Belarus". Putin betrachtet die Belarussen genauso wie die Ukrainer als Teil des russischen Volkes.

Alhierd Bacharevič: Er glaubt auch, der Westen habe diese Völker erfunden. Diese geplante Union ist gefährlich für uns. Allerdings gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen den beiden Regimen: Putin verfolgt eine imperiale Ideologie, während Lukaschenka nicht ideologisch vorgeht. Er ist ein Sowjetmensch, der an die Macht gelangte und alles dafür tut, dort zu bleiben.


Alhierd Bacharevič:
Europas Hunde.
Voland & Quist,
Berlin 2024;
744 S., 36,00 €


Womit erklären Sie, dass die Mehrheit in Belarus nach wie vor "sowjetisch" orientiert ist?

Alhierd Bacharevič: Die Menschen haben Angst davor, die Wahrheit zu sagen. Die sowjetische Vergangenheit bedeutet nur noch den Alten etwas. Meine Frau und ich nahmen an der Revolution 2020 teil und konnten hautnah miterleben, dass sich die Menschen weiterentwickeln wollen. Das Regime verhindert dies jedoch mit brutalen Repressionen.

Wer unterstützt Lukaschenka?

Alhierd Bacharevič: Während unserer Revolution haben wir erwartet, dass die Eliten des Landes uns zur Seite stehen. Aber dann stellte sich die Frage, wer sind diese sogenannten Eliten überhaupt? Am Ende zeigte sich, dass sie sich auf die Seite der Mächtigen geschlagen hatten. Es handelt sich um einen kleinen Kreis, der vom Regime abhängig ist. Gleichzeitig beobachten wir, dass selbst diejenigen, die das Regime seit 30 Jahren unterstützen, das Vertrauen verlieren. Sobald es zu Veränderungen in Russland kommt, ist Lukaschenkas Regime am Ende.

Sie leben seit Jahren in Deutschland. Wie betrachten die Deutschen die Politik und Kultur in Belarus?

Alhierd Bacharevič: Als ich 2007 nach Hamburg kam und sechs Jahre dort lebte, war es schrecklich. Niemand konnte mit Belarus etwas anfangen. Für die Deutschen war alles Russland, was östlich von Polen liegt. Aber nach dem großangelegten Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, zeigten sich immer mehr Deutsche offen für die eigenständige Existenz der Belarussen und Ukrainer. Lange Zeit fürchtete man hier, unsere lokalen Nationalismen zu unterstützen aus Furcht vor Konflikten mit Russland.

Leipziger Buchpreis für europäische Verständigung

🏅Der Preis wird seit 1994 verliehen und zählt zu den wichtigsten Literaturauszeichnungen in Deutschland. Das Preiskuratorium bilden der Freistaat Sachsen, die Stadt Leipzig, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die Leipziger Messe. Der Preis ist mit 20.000 Euro dotiert.

🎉Er wird zur Eröffnung der Leipziger Buchmesse am 26. März 2025 im Gewandhaus zu Leipzig verliehen. Die Laudatio hält die Literaturkritikerin, Autorin und Lektorin Sieglinde Geisel.



Ihr Buch ist in dem kleinen Berliner Verlag Voland & Quist erschienen.

Alhierd Bacharevič: Gott sei Dank existieren in Deutschland noch kleine Verlage unabhängig von den großen Konzernen.

Zu welchem Genre zählen Sie "Europas Hunde"? Es handelt sich um eine Mischung aus Realismus und post-apokalyptischer Utopie. Einer Ihrer Romanhelden hat sogar eine neue Sprache erfunden.

Alhierd Bacharevič: Ich wollte vor allem über mein Belarus und mein Europa schreiben. Jedes Buch reflektiert die Sprache seiner Zeit. Mein Buch ist ein Roman über die Sprache der Macht und die Macht der Sprache. Das Buch ist auch eine politische Satire, auch darüber, wie uns die Kunst der Poesie und der Literatur verloren geht. Ich fürchte, die Menschen verlernen, Bücher zu lesen.

Warum sind Sie ins Exil gegangen?

Alhierd Bacharevič: Zurzeit sind zwei meiner Bücher in Belarus als extremistisch verboten. Weder mein Verleger noch ich wissen, warum dies der Fall ist, eine Begründung gibt es nicht. Gleichzeitig kritisiert mich die Staatspropaganda ohne Hemmungen. Für mich ist das Exil in Deutschland nicht so dramatisch, da mir die deutsche Sprache und Kultur nicht fremd sind. Ich bleibe nicht in der Nische eines Exilanten, sondern fühle mich als Stimme der europäischen Literatur.

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