Nahostkonflikt : Die Demokraten haben ein Israel-Problem
Vor allem die jüngere Generation der ethnisch immer diverseren Partei steht Israel zunehmend kritisch gegenüber. Kann das womöglich wahlentscheidend sein?
Für Tausende Fans von Kamala Harris war es eine doppelte Enttäuschung. Erst war ihnen der Zutritt zur Ellipse, dem Park hinter dem Weißen Haus, verweigert worden. Dort hielt die demokratische Präsidentschaftskandidatin eine Woche vor der Wahl ihr großes Schlussplädoyer - es war mit 75.000 Zuschauern die mit Abstand größte Veranstaltung ihrer bisherigen politischen Karriere, und die Sicherheitsvorkehrungen für das Gelände waren massiv verschärft worden. Viele der Abgewiesenen versammelten sich daraufhin vor einer Leinwand, die etwas weiter südlich aufgebaut worden war. Doch dort war Harris' Rede kaum zu verstehen: Propalästinensische Demonstranten versuchten, die Übertragung durch ihren lautstarken Protest zu übertönen. Wer davon genug hatte, ging einfach nach Hause.
Fast bei jeder Veranstaltung von Kamala Harris gab es Demonstrationen gegen die US-Unterstützung für Israel.
Wohl bei keiner Veranstaltung von US-Präsident Joe Biden, seiner Stellvertreterin Harris und deren "running mate", Vizekandidat Tim Walz, in diesem Wahlkampf fehlten Demonstranten, die gegen Amerikas Unterstützung für Israel aufbegehrten und einen Waffenstillstand forderten. Oft waren es nur vereinzelte Störer, die entweder außerhalb der Events oder auch mal innerhalb auf den Konflikt aufmerksam machen wollten. Für den Nominierungsparteitag in Chicago im Sommer war mit dem Schlimmsten gerechnet worden - der Ernstfall trat aber nicht ein, die Proteste blieben friedlich.
Bei Trump demonstriert niemand für die palästinensische Sache
Bemerkenswert war aber auch, dass bei Veranstaltungen der Gegenseite in der Regel niemand demonstrierte - obwohl allen bewusst sein müsste, dass ein Präsident Donald Trump zu hundert Prozent auf der Seite von Israel stehen und null Empathie für die palästinensische Sache hegen würde. Zur Erklärung hieß es, dass man sich eben mehr davon verspreche, Druck auf die demokratischen Wahlkämpfer auszuüben.
Fakt ist: Die Demokraten sind in dieser Frage gespalten, vor allem die jüngere Generation der ethnisch immer diverseren Partei steht Israel zunehmend kritisch gegenüber. Dagegen verorten sich die Republikaner, vor allem die christliche Rechte, ganz auf Seiten des jüdischen Staates.
Wie sich dieser Druck im Wahlergebnis spiegelt, wird sich nach dem 5. November erst zeigen. Aber besonders in wahlentscheidenden Swing States wie Michigan könnte es sich auswirken, wenn Tausende arabischstämmige oder auch schwarze Wähler der Wahl fernbleiben, weil sie der Biden-Harris-Regierung ihr Verhalten im Gaza-Krieg vorwerfen beziehungsweise nicht akzeptieren wollen, dass sich die USA als Israels wichtigster Waffenlieferant weigern, Druck auszuüben.
Proteste halten seit dem 7. Oktober 2023 an
Die Proteste begannen schon bald, nachdem die israelische Armee ihre Angriffe auf Gaza als Reaktion auf die Terroranschläge des 7. Oktobers 2023 gestartet hatte. Studentische Aktivisten errichteten "Solidaritäts-Camps", nannten Israel einen "Unterdrückerstaat" und warfen der Biden-Regierung vor, sich an einem "Genozid" zu beteiligen, weil durch amerikanische Bomben in Gaza auch Zivilisten getötet worden seien. Die bis heute in Hamas-Gewalt befindlichen Geiseln wurden dagegen kaum thematisiert oder als "Kollateralschaden" eines quasi kolonialen Konflikts abgetan.
Von ihren Universitätsleitungen verlangten die Demonstranten, die finanziell wichtige Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen, die das militärische Vorgehen Israels im Gaza-Krieg unterstützten, offenzulegen und zu beenden. Häufig beteiligten sich auch Lehrkräfte an dem Protest: Viele sahen nach - wie sie es ausdrückten - Jahrzehnten des Wegschauens der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft erstmals die Chance, auf das Leid der Palästinenser hinzuweisen. Präsident Biden selbst versuchte nach dem schlimmsten Angriff auf Juden seit dem Holocaust einen Spagat: Er flog zeitnah nach Israel und umarmte dort den umstrittenen und für ihn häufig unbequemen Premierminister Benjamin Netanjahu. Einerseits versprach er ihm, dass die USA Israel stets dabei helfen würden, sich selbst zu verteidigen. Andererseits versuchte er, die israelische Regierung bei ihrer Antwort auf die katastrophale Attacke zur Rücksicht auf Zivilisten zu ermahnen.
Mehr als ein Jahr nach Beginn des Krieges ist klar, dass Netanjahu nur selten auf Biden hört. Plausibel scheint die Analyse, dass er tatsächlich auf einen Wahlsieg Trumps setzt. Denn Kamala Harris, so erwarten Experten, könnte Amerikas militärische Unterstützung des jüdischen Staates stärker konditionieren. Bisher unterscheidet sie sich kaum von Biden, zu groß ist die Sorge, wichtige Unterstützer kurz vor der erwartbar sehr knappen Wahl zu verlieren.
Das Verhältnis Biden-Netanjahu wiederum ist seit geraumer Zeit belastet. Biden verhängte beispielsweise Sanktionen gegen israelische Siedler und schlug vor, dass die Militärhilfe für Israel an die Lieferung humanitärer Hilfe geknüpft werden sollte. Außerdem gab er Netanjahus politischem Gegner Benny Gantz im Weißen Haus die Chance, sich mit Vizepräsidentin Harris zu treffen. In einem Interview mit dem US-Sender MSNBC erklärte er zudem, Netanjahu schade Israel mehr, als dass er dem Land helfe.
Der Juristin Harris sind internationale Normen wichtig
Aber Experten wie der Politikberater Ian Bremmer kritisieren, dass Biden viel zu wenig Druck ausgeübt habe. "Joe Biden ist ein Zionist", sagt Bremmer. Als ein Vertreter des Kalten Krieges teile er die Welt in Gut und Böse sein, sehe ein Ringen zwischen Autokraten und Demokraten. Der ehemaligen Staatsanwältin Harris seien dagegen internationale Normen wichtig. "In dieser Hinsicht ist sie ganz anders als Biden", so Bremmer. “Harris wird in ihrer Haltung gegenüber Israel und dem Nahostprozess wahrscheinlich eher mit den Europäern und allgemein mit den fortgeschrittenen industriellen Demokratien übereinstimmen als Biden.”
Ob Kamala Harris oder Donald Trump ins Weiße Haus einzieht, ist offen. So oder wird man sich in Deutschland und Europa auf schwierige Partner einstellen müssen.
Der Hamas-Terror vom 7. Oktober 2023 hat Israel in seinen Grundfesten erschüttert und ein neues blutiges Kapitel in Nahostkonflikt eröffnet.
Am Jahrestag des Überfalls am 7. Oktober ist die Lage in Nahost gefährlich wie nie. Israel kämpft gegen Hamas und Hisbollah. Zugleich droht ein noch größerer Krieg.
Bremmer sagt weiter: "Der Einfluss der USA auf der ganzen Welt hat sich verschlechtert", weil die Amerikaner sich unter Biden und Harris der israelischen Politik angeschlossen hätten und damit ziemlich isoliert seien. Das sei in Bezug auf Russland und die Ukraine ganz anders gewesen, da wurden "groß angelegte Bemühungen mit sehr vielen Ländern koordiniert".
Donald Trump dagegen seien solche Überlegungen egal. Er würde auch die Zweistaatenlösung inzwischen nicht mehr unterstützen - "selbst, wenn er nicht viel darüber redet". Er sei "ziemlich auf Israel fixiert, den Palästinensern gegenüber weitgehend gleichgültig, und er unterstützt die Golfstaaten sehr".
Die Autorin ist US-Korrespondentin für den "Tagesspiegel".