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Börsenverein des deutschen Buchhandels : Die aktuell so notwendigen Gegennarrative

Der Band "Zwischen Zeiten und Zeichen" blickt zurück auf die wechselhafte 200-jährige Geschichte des Börsenvereins - und den Kampf um die Publikationsfreiheit.

21.03.2025
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3 Min

Am 30. April 1825 gründen in Leipzig auf Initiative des Nürnberger Kunst- und Buchhändlers Friedrich Campe 93 auswärtige und vier Leipziger Buchhändler den Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig. Anliegen des Vereins war zunächst die Vereinfachung des Abrechnungswesens zwischen den Buchhändlern und Verlegern aus ganz Deutschland mit ihren verschiedenen Währungen auf den Buchmessen. 

Börsenverein feiert 200. Jubiläum

Heute firmiert er unter dem Namen Börsenverein des Deutschen Buchhandels mit Sitz in Frankfurt am Main und vertritt mit seinen rund 3.900 Mitgliedern die Interessen der deutschen Verlage, des Zwischenbuchhandels und des Sortimentsbuchhandels. Auf der politischen Bühne tritt er für deren Interessen bei Themen wie dem Urheberrecht, dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz, der Buchpreisbindung oder der Mittelstandsförderung ein.

Foto: picture-alliance/imageBROKER/Heinz-Dieter Falkenstein

Der Club der Denker: Karikatur von 1819 als Reaktion auf die durch die Karlsbader Beschlüsse eingeführte Zensur.

Dem breiteren Lesepublikum aber ist der Börsenverein vor allem für sein kulturelles Engagement ein Begriff: Zum einen als Veranstalter der Frankfurter Buchmesse und ideeller Träger der Leipziger Buchmesse. Zudem verleiht er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung, den Deutschen Fotobuchpreis, den Deutschen Buchpreis und den Deutschen Sachbuchpreis.

Anlässlich des 200. Jubiläums des Börsenvereins blickt der lesenswerte und reich bebilderte Sammelband "Zwischen Zeichen und Zeiten" aus dem Wallstein-Verlag, der am 28. März auf der Buchmesse in Leipzig erstmals vorgestellt wird, zurück auf die bewegte Geschichte des Börsenvereins sowie des Buchhandels und Verlagswesens in Deutschland insgesamt.

Der Börsenverein hat sich schon immer für die Meinungs- und Publikationsfreiheit eingesetzt

In über 200 kurzen und informativen Essays hangeln sich 69 Autoren entlang der Zeitachse, schreiben über Zensur im Zeitalter der Restauration, Gestapo-Razzien unter den Nationalsozialisten, den Umzug des Börsenvereins von Leipzig nach Frankfurt am Main nach dem Zweiten Weltkrieg und die weitere Entwicklung der beiden Messe-Städte. 

Sie berichten über den innerdeutschen Buchhandel während des Kalten Kriegs, über Taschenbuchserien amerikanischer Prägung als Revolution auf dem Buchmarkt, über die Auftritte rechter Verlage und Politiker auf den Buchmessen und linke Protestaktionen, über Digitalisierung und Wikipedia, über E-Books von Amazon und der Tolino-Allianz oder über den Buchhandel in Zeiten der Corona-Pandemie, über Bibliothekstantiemen, Marktanalysen, Konsum- und Leseverhalten, über Jugendschutz, Frauenbuchhandlungen und schwule Buchhändler. Und mit jedem gelesenen Beitrag wächst die Erkenntnis, dass das geschriebene und gedruckte Wort wirklich alle Bereiche des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Lebens umfasst.


Christine Haug, Stephanie Jacobs (Hg.):
Zwischen Zeichen und Zeiten.
Buchhandel und Verlage 1825-2025.
Wallstein,
Göttingen 2025;
568 S., 28,00 €


Trotz der Vielfalt der Themen durchzieht aber ein Anliegen den gesamten Band: Der Einsatz für die Meinungs- und Publikationsfreiheit, "die seit jeher inhärenter Bestandteil der Arbeit des Börsenvereins" gewesen sei, wie der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins Peter Kraus vom Cleff betont. Diesem Anspruch hat sich der Börsenverein nicht zuletzt mit der 2023 gegründeten Stiftung "Freedom of Expression" erneut verschrieben. 

Narrative von Freiheit, Demokratie und Menschenrechte sind wichtiger denn je

Eine zentrale Aufgabe der Stiftung ist die Unterstützung der jährlichen "Woche der Meinungsfreiheit" vom 3. bis 10. Mai. Im vergangenen Jahr nahmen mehr als 70 zivilgesellschaftliche Organisationen und Unternehmen, darunter Verlage, Buchhandlungen, Pressehandel, Bibliotheken, Gewerkschaften, Kirchen, Musikszene, Vereine, Verbände und Stadtverwaltungen, in mehr als 90 Veranstaltungen teil.

Angesichts des zunehmenden Einflusses von Rechtspopulisten und Rechtsextremen auf allen politischen Ebenen in den USA, Europa und Deutschland müssten "die aktuell so notwendigen Gegennarrative" von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten handeln, heißt es im abschließenden Beitrag des Bandes. Und von diesen Narrativen hält "Zwischen Zeichen und Zeiten" eine Menge bereit.

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