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Deutsch-israelisches Verhältnis : Ein Geben und Nehmen

Der Historiker Daniel Marwecki wirft einen nüchternen Blick auf das deutsch-israelische Verhältnis. Dies sei lange vor allem von Pragmatimsus geprägt gewesen.

14.03.2024
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4 Min
Foto: picture-alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka

Partnerschaft: Außenministerin Annalena Baerbock und der israelische Minister Benny Gantz während eines Treffens am 15. Februar dieses Jahres in Israel.

Spätestens seit der Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel am 18. März 2008 vor der Knesset ist die Sentenz von Israels Existenzrecht als Teil der "Staatsräson" Deutschlands zu einem festen Bestandteil des politischen Vokabulars der Bundesrepublik geworden.

Der Historiker Daniel Marwecki hat nun mit seinem Buch "Absolution? Israel und die deutsche Staatsräson" eine fundierte und auf die Auswertung der Akten des Auswärtigen Amtes gestützte Darstellung zu den Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik vorgelegt, mit der er die These von der deutschen Staatsräson, die sich als moralischer Imperativ aus dem Holocaust ableitet, zumindest für die Zeit bis zur Deutschen Einheit widerlegt.

Versöhnung? Ein Tauschgeschäft!

Stattdessen habe zwischen den beiden Nationen vor allem eines vorgeherrscht: Pragmatismus. Das, was von deutschen Politikern später gerne als "Wunder der Versöhnung" bezeichnet wird, ist in Marweckis Lesart ein Tauschgeschäft.

"Staaten haben keine Freunde, nur Interessen." Dieses Zitat, das meist dem früheren französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle zugesprochen wird, gilt in den frühen Jahren der Bundesrepublik durchaus programmatisch für die Außenpolitik gegenüber Israel - und umgekehrt.

Zweckgebundene Wiedergutmachung 

Zwei Jahre nach Ende seiner Kanzlerschaft fasst Konrad Adenauer 1965 in einem Interview die deutschen Interessen wie folgt zusammen: "Wir hatten den Juden so viel Unrecht getan, wir hatten solche Verbrechen an ihnen begangen, dass die irgendwie gesühnt werden mussten oder wiedergutgemacht werden mussten, wenn wir überhaupt wieder Ansehen unter den Völkern der Erde gewinnen wollten." Und Adenauer fügt an: "Die Macht der Juden auch heute noch, insbesondere in Amerika, soll man nicht unterschätzen."

Abgesehen davon, dass Adenauer heutzutage für den von ihm beschworenen Topos von "der Macht der Juden" mit massiven Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert werden würde, sind seine Aussagen vielsagend: "Wiedergutmachung" müssen die Deutschen offenbar nicht leisten wegen des von ihnen begangenen Völkermords an den europäischen Juden, sondern weil sie in den Kreis der zivilisierten Völker zurückkehren wollen.

Beide Länder entscheiden sich für die Westbindung

Und die Interessen Israels? Der junge, 1948 durch Beschluss der Vereinten Nationen geschaffene Staat kämpft von Anbeginn ums Überleben und braucht dringend Unterstützung - wirtschaftlich, finanziell und militärisch in Form von Waffen. Rund ein Drittel der Bevölkerung besteht aus "Überlebenden der deutschen Barbarei". Die Mehrheit der Israelis lehnt einen Kontakt zu Deutschland ab.

Doch es gibt auch eine Gemeinsamkeit. Beide Länder haben sich für eine Politik der Westbindung entschieden. "So wie der deutsche Weg nach Washington über Jerusalem führte, führte der israelische Weg nach Washington über Bonn", schreibt Marwecki. Kanzler Adenauer und Israels Premierminister David Ben-Gurion nutzen diese Interessenüberschneidung und handeln 1952 das Luxemburger Abkommen aus, in dem sich die Bundesrepublik zu Reparationszahlungen von 3,45 Milliarden D-Mark verpflichtet. Der Großteil wird allerdings in Waren ausgezahlt.


Daniel Marwecki:
Absolution?
Israel und die deutsche Staatsräson.
Wallstein,
Göttingen 2024;
212 Seiten, 22,00 €


Dieses Abkommen stellt den Beginn einer sich intensivierenden wirtschaftlichen und auch militärischen Kooperation dar. Deutschland verkauft Israel Waffen und kauft umgekehrt in Israel Waffen. Die Bundesrepublik wird zum wichtigsten Partner Israels noch vor den USA. Dies ändert sich erst nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967.

Dieses erste Kapitel im deutsch-israelischen Verhältnis, das Marwecki unter die Überschrift "Rehabilitation" stellt, schließt sich nach der offiziellen Aufnahme diplomatischer Beziehungen 1965 eine Phase der "Normalisierung" an. Geprägt ist sie einerseits von der in der Bundesrepublik verspätet einsetzenden tieferen Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur und dem Holocaust. Anderseits wird die Kritik an der andauernden israelischen Besetzung der palästinensisch Gebiete im politisch linken Spektrum lauter. Die Bundesregierung ist bemüht, im Nahost-Konflikt eine möglichst neutrale Haltung einzunehmen. Dieser Spagat zwischen guten Beziehungen zu Israel und einer verständnisvollen Haltung gegenüber den Palästinensern prägt die deutsche Außenpolitik bis heute.

Ausgabe ist ergänzt um einen Ausblick nach den Terrorangriffen der Hamas

Zur "Staatsräson" wird Israels Existenz erst nach der Deutschen Einheit. Als ausschlagende Gründe hierfür benennt Marwecki neben dem Wandel im innerdeutschen Vergangenheitsdiskurs die Bedrohung Israels durch den irakischen Diktator Saddam Hussein - deutsche Firmen waren verstrickt in das irakische Chemiewaffenprogramm - und das iranische Atomwaffenprogramm.

Daniel Marweckis gelungene und angenehm sachliche Darstellung erschien 2020 erstmals auf englisch. Die aktuelle deutsche Ausgabe hat er um einen Ausblick nach den Terrorangriffen der Hamas vom Oktober 2023 erweitert. Sein Fazit: Trotz aller Kritik an Israel und seinem militärischen Vorgehen im Gazastreifen sowie der seit Jahren andauernden Postkolonialismus-Debatte habe die Hamas der deutschen Staatsräson zum Existenzrecht Israels zum Sieg verholfen.

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