
Gastland Norwegen : Nordisches Leseland
Norwegen kann sich eines reichhaltigen und erfolgreichen Literaturbetriebs rühmen. Dies liegt nicht zuletzt an einer wohl einzigartigen staatlichen Förderung.
Es ist ein kurzer Weg für Deutschlands Leseratten in die norwegische Literatur. Bei Betreten einer Buchhandlung müssen sie einfach auf das Krimi-Regal zusteuern. Dort stehen die Kriminalromane von Jo Nesbø, Anne Holt, Samuel Bjørk oder Thomas Enger einträchtig neben ihren skandinavischen Kollegen wie dem Dänen Jussi Adler-Olsen oder dem Schweden Arne Dahl.
Unter der Bezeichnung "Nordic Noir" haben die Skandinavier in den vergangenen Jahrzehnten ein eigenes Genre in der Krimi-Sparte begründet, das sich in Deutschland großer Beliebtheit erfreut - in gedruckter Former oder als Verfilmung. Die Verbindung von Verbrechen, menschlichen Abgründen und Gesellschaftskritik, die mit dem gängigen Klischee vom sorgen- und konfliktfreien skandinavischen Wohlfahrtsstaat aufräumt, hat eine große Fangemeinde.
Aber nicht nur mit ihren Kriminalromanen punkten Norwegens Schriftsteller beim deutschen Lesepublikum. Mit "Sophies Welt" legte etwa Jostein Gaarder Anfang der 1990er Jahre einen Jugendroman über die Geschichte der Philosophie vor, der wahren Kultstatus erwarb und auch vom erwachsenen Publikum in Deutschland Begeisterung auslöste.
Deutschland ist der wichtigste Markt für Norwegens Literatur
Überhaupt reichen die kulturellen Beziehungen zwischen Norwegen und Deutschland weit zurück. Für die Karrieren berühmter norwegischer Künstler wie den Dramatiker Henrik Ibsen, den Maler Edvard Munch oder den Komponisten Edvard Grieg spielte Deutschland schon im 19. Jahrhundert eine große Rolle. "Auch heute ist Deutschland einer unserer wichtigsten Kulturmärkte und dient oft als Tor zur weiteren Internationalisierung. Im Bereich der Literatur ist Deutschland sogar unser weltweit wichtigster Markt", weiß auch Norwegens Kulturministerin zu berichten. Und der Umstand, dass sich Norwegen in diesem Jahr auf der Leipziger Buchmesse nach seinem Auftritt 2019 auf der Frankfurter Buchmesse bereits zum zweiten mal innerhalb weniger Jahre auf einer der beiden großen literarischen Großevents in Deutschland präsentiert, unterstreicht dies.
Überhaupt kann sich Norwegen einer höchst diversen und erfolgreichen Literaturszene rühmen. Das Land mit seinen aktuell gerade mal 5,6 Millionen Einwohnern hat mit Bjørnstjerne Bjørnson (1903), Knut Hamsun (1920), Sigrid Undset (1928) und Jon Fosse (2023) immerhin bereits vier Literaturnobelpreisträger hervorgebracht.
Zur Leipziger Buchmesse reist nun eine rund 50-köpfige Delegation aus norwegischen Schriftstellern und Buchautoren an, um das Gastland unter dem Motto "Traum im Frühling" zu repräsentieren. Unter ihnen finden sich bekannte Namen wie der des Literatur-Stars Karl Ove Knausgård, der mit seinem mehrbändigen und rund 4.000 Seiten umfassenden biografischen Werk "Min kamp" von sich Reden machte, oder Maja Lunde, die mit ihrem Roman "Geschichte der Bienen" zum Thema Klimakatastrophe wochenlang die "Spiegel"-Bestseller-Liste anführte.
Norwegen präsentiert auf der Leipziger Buchmesse ein vielfältiges Angebot
Aber auch Vertreter der jungen Schrifstellergeneration wie die Autorin Linn Strømsborg, die sich in ihrem Roman "Nie, nie, nie" mit dem Thema Mutterschaft auseinandersetzt, finden sich in Leipzig ein. Überhaupt nimmt das Thema Familie eine großen Stellenwert bei Norwegens Literaten ein. Etwa bei der Autorin Vigdis Hjorth, die erst unlängst den Durchbruch auf dem deutschen Buchmarkt schaffte, mit ihren Romanen "Die Wahrheiten meiner Mutter" und "Ein falsches Wort". Oder bei Marie Aubert mit ihrem Roman "Eigentlich bin ich nicht so" über Familientreffen und bei Oliver Lovrenski, der in "bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann" einen autobiografischen Blick auf junge migrantische Mileus in Norwegens Hauptstadt Oslo wirft.
„Ich kann mir ein Leben ohne Bücher nicht vorstellen. Schon als Kind wurde mir vorgelesen, und ich hatte die Möglichkeit, in die Welt der Fantasie einzutauchen.“
Neben seinen Kriminalromanen und der zeitgenössischen Literatur will Norwegen in Leipzig zudem seine hochgelobte Kinder- und Jugendliteratur, die Literatur der samischen Minderheit, sein Sachbuchprogramm und historische Romane in den Fokus stellen. Unter letzteren spielt auch die Geschichte Norwegens unter deutscher Besatzung im Zweiten Weltkrieg immer wieder eine große Rolle. So erzählte beispielsweise Trude Teige in ihrem Roman "Als Großmutter im Regen tanzte", der in Norwegen und Deutschland zum Bestseller avancierte, die Geschichte einer Norwegerin, die sich in einen deutschen Soldaten verliebte. Auch der Nachfolgeroman "Und Großvater atmete mit den Wellen" ist im Zweiten Weltkrieg angesiedelt.
In "Museum der Mörder und Lebensretter" wiederum erzählt Simon Stranger die Geschichte zweier jüdischer Familien, die vor den Deutschen nach Schweden zu fliehen versuchen. Während es der einen gelingt, wird die andere kurz vor dem Ziel von den eigenen Fluchthelfern erschossen. Mit dem auf Tatsachen beruhenden Roman knüpft Stranger an sein Buch "Vergesst unsere Namen nicht" an, in dem er jüdische Schicksale und das Thema Kollaboration in Norwegen thematisierte.
Es gibt in Norwegen viel staatliche Unterstützung für den Buchmarkt
Der Umstand, dass Norwegen eine solch diverse Literaturszene beherbergt, die einen beachtlichen Output hervorbringt, ist nicht zuletzt auch auf staatliche Unterstützung zurückzuführen. An erster Stelle ist das norwegische Ankaufsystem zu nennen. Über dieses staatlich finanzierte Programm, das vom Arts Council Norway verwaltet wird, werden jährlich zwischen 550 und 1.500 Exemplare von rund 600 Neuerscheinungen, die bestimmten Qualitätskriterien entsprechen, aufgekauft und an die öffentlichen Bibliotheken im ganzen Land verteilt. Das Programm wurde in den 1960er Jahren zunächst für Erwachsenenliteratur aufgelegt und schnell auch auf Kinder- und Jugendliteratur, aber auch auf Sachbücher, Graphic Novels und übersetzte Belletristik ausgeweitet.
Hauptzweck des Ankaufsystems ist es, die Veröffentlichung neuer norwegischer Bücher - auch von jungen und bislang nicht so bekannten Autoren - zu gewährleisten, den öffentlichen Zugang zu diesen Werken zu sichern und den Autoren bessere Einnahmen zu sichern.
Auch in die Preisgestaltung auf dem Buchmarkt greift der Staat direkt ein. So sind Bücher, E-Books und Zeitungen in Norwegen gänzlich von der Mehrwertsteuer befreit, während beispielsweise in Deutschland lediglich der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent gilt. Zudem kann der Verkaufspreis von Büchern gemäß eines im vergangenen Jahr in Kraft getretenen neuen Buchgesetzes erst zwölf Monate nach deren Veröffentlichung geändert werden. Diese zeitlich befristete Buchpreisbindung, die man auch in Deutschland kennt, schafft finanzielle Planungssicherheit für Verleger und Buchhändler.
Ebenso profitieren Rechteinhaber in Norwegen von kollektiven Tarifverträgen zwischen dem norwegischen Verlegerverband und den Organisationen für Autoren, Illustratoren und Übersetzern.
Kronprinzessin Mette-Marit ist Botschafterin der Literatur
Für den Export norwegischer Literatur wiederum setzt sich die 1978 gegründete und vom Kulturministerium finanzierte Literatur-Förderorganisation NORLA (Norwegian Literature Abroad) ein. Sie betreibt aktive Werbung im Ausland, und bietet eine Reihe von Förderprogrammen für die Übersetzung norwegischer Bücher an. In den vergangenen 20 Jahren hat NORLA zur Übersetzung von mehr als 8.000 norwegischen Buchtiteln in 73 Sprachen beigetragen. Zudem ist NORLA verantwortlich für den Gastlandauftritt Norwegens auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse, wie auch schon für die Gastlandaufritte auf der Frankfurter Buchmesse 2019 und den Buchmessen in Warschau (2022) und Kairo (2024).

Seit 2017 vertritt Kronprinzessin Mette-Marit als Botschafterin die norwegische Literatur im Ausland. 2019 eröffnete sie die Frankfurter Buchmesse, als Norwegen dort Gastland war.
Unterstützung erhält Norwegens Literatur auch aus dem Königshaus. Seit 2017 vertritt Kronprinzessin Mette-Marit, Ehefrau des norwegischen Thronfolgers Haakon, als Botschafterin die norwegische Literatur im Ausland. Die Kronprinzessin, die auch als Schirmherrin des Bibliotheksverbands fungiert, initiierte bereits 2014 den "Litteraturtoget" (Literaturzug).
Mit dem speziellen Eisenbahnzug, der über eine eigens eingebaute Bibliothek verfügt, werden in- und ausländische Autoren zu verschiedenen Orten des Landes gebracht, um dort Lesungen zu veranstalten. 2019 reiste Mette-Marit gemeinsam mit ihrem Ehemann auf der ersten Auslandsfahrt des Literaturzuges zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse an. Auch die Leipziger Buchmesse wird sich im royalen Glanz sonnen können, wenn die Kronprinzessin am 27. März den Stand des Gastlandes eröffnet.
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