Vor 70 Jahren : Als die Kuppel wegmusste
Am 22. November 1954 wird die Kuppel des Reichstagsgebäudes gesprengt. Nachdem der erste Versuch im Oktober gescheitert war, glückte der zweite Anlauf auf Anhieb.
"Die ersten Thermitladungen beginnen bereits abzubrennen. In einer Entfernung von etwa 300 Metern stehen wir vor dem wuchtigen Reichstagsgebäude und oben in der Kuppel glüht jetzt bereits die vierte Thermitladung auf", berichtete ein Reporter des Rundfunks im amerikanischen Sektor (RIAS) am 22. November 1954. "Wieder entwickelt sich der gelbe schweflige Qualm und zieht ab in Richtung Osten", so der Reporter weiter. Dann ertönt der Lärm der einstürzenden Kuppel. "Mit dumpfem Gepolter schlugen die Stahlträger auf den Boden der Ruine und wirbelten eine mächtige Wolke von Staub und Sand hoch, die durch die Fensteröffnungen ins Freie zog", beschrieb der Berliner "Tagesspiegel" die Szene. Anschließend schafften Arbeiter einer Berliner Abbruchfirma den Schutt aus dem Gemäuer.
Starke Schäden nach dem Reichstagsbrand und dem Beschuss durch die Rote Armee
Die Sprengung der Reichstagskuppel war notwendig geworden, um das Gebäude später restaurieren zu können: Nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 und dem schweren Beschuss durch die Rote Armee im April 1945 war das Gebäude stark beschädigt. Um das Gemäuer des zwischen 1884 und 1894 errichteten Baus nicht zu gefährden, musste die einsturzgefährdete, schwere, einst aus Kupfer, Eisen und Glas konstruierte Kuppel weg.
Aus sicherer Entfernung: Journalisten beobachten 1954 die Sprengung.
Doch die saß hartnäckig auf der Ruine: Ein erster Sprengungsversuch war wenige Wochen zuvor gescheitert. "Die Konstruktion rückte und rührte sich nicht", berichtete der "Tagesspiegel" am 16. Oktober 1954 unter der Überschrift "Der dritte Reichstagsbrand". Über Nacht sei Feuchtigkeit in die Sprengsätze eingedrungen, hieß es damals zur Erklärung.
1955 beschloss der Bundestag, den Bau zu erhalten
Dass im Herbst 1954 die Kuppel überhaupt noch gesprengt werden konnte, lag an der Teilung Berlins. Denn nach Kriegsende hatte der Gesamtberliner Magistrat eigentlich schon den Abriss des kompletten Reichstagsgebäudes beschlossen. Das Vorhaben scheiterte aber auch an der Blockade der Stadt. Außerdem war der Reichstag schnell zu einem Symbol für die deutsche Einheit geworden. 1955 beschloss dann der Bundestag, der mittlerweile in Bonn tagte, den Bau zu erhalten. Eine Wiedererrichtung der Kuppel sollte es jedoch nach den damaligen Planungen nicht geben.
1960 schrieb der Bund einen Wettbewerb zum Umbau des Reichstagsgebäudes aus, den der Architekt Paul Baumgarten gewann. Ziel war es, eine Begegnungsstätte für ein modernes Parlament zu schaffen - vor allem im Innern, dessen Ausbau Zeitgenossen als "nüchtern" und "gegenwartsbezogen" beschrieben. Baumgarten setzte sich allerdings auch dafür ein, doch eine Kuppel bauen zu dürfen, die Bundesbaudirektion schob dem jedoch einen Riegel vor. Noch Jahre später klagte der Architekt: So wie das Reichstagsgebäude nun dastehe, sei es "das Werk der Bundesbaudirektion".
Bis 1990 wurde der Reichstag für Ausstellungen oder parlamentarisch für Ausschuss- und Fraktionssitzungen genutzt; dem Plenum des Bundestages war es aufgrund des Vier-Mächte-Abkommens nicht gestattet, in Berlin zu tagen. Nachdem der Bundestag 1991 den Umzug von Parlament und Regierung zurück nach Berlin beschlossen hatte, sollte der britische Architekt Norman Foster den Reichstag umbauen - und wieder eine Kuppel errichten, die heute von bis zu 6.000 Menschen täglich besucht wird.