Vor 70 Jahren : Wie aus dem "Fräulein" die "Frau" wurde
Der Kampf gegen die Anrede "Fräulein" begann in der Bundesrepublik 1954, scheiterte aber an Bürokratie und Tradition. Erst 20 Jahre später erfolgte ein Durchbruch.
Eigentlich war es kaum ein Antrag, den die Deutsche Partei (DP) 1953 formulierte, eher ein Anträglein - um im Duktus zu bleiben: Die DP-Fraktion wollte lediglich, dass sich "unverheiratete weibliche Personen" ab einem Alter von 35 Jahren "auch im amtlichen Verkehr" nicht mehr "Fräulein" nennen lassen müssen, sondern "auf eigenen Antrag die Bezeichnung 'Frau' führen dürfen". Doch am 13. Dezember 1954 wurde der Vorstoß im Rechtsausschuss abgelehnt.
In der Bundesrepublik störte man sich lange nicht am "Fräulein"-Begriff
Die Abgeordneten wandten sich vor allem gegen die Festsetzung der Altersgrenze, wie Berichterstatterin Marie-Elisabeth Lüders (FDP) vier Tage später im Bundestag erläuterte. Die "Begrenzung auf das 35. Lebensjahr ist nationalsozialistischer Herkunft", wie Lüders betonte. 1937 hatte das NS-Regime einen Ministerialerlass aus der Weimarer Republik kassiert, wonach bereits 1919 festgelegt worden war, dass sich erwachsene Frauen offiziell "Frau" nennen dürfen. "Frau" sei "weder eine Personenstandsbezeichnung noch ein Teil des Namens noch ein Titel, der verliehen werden müsste oder könnte", hatte man in der Weimarer Zeit erkannt.
In der Bundesrepublik störte man sich dagegen lange nicht am "Fräulein"-Begriff. Man könne "davon ausgehen, dass die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes gewisse Grundlinien eines Ordnungsbildes, wie sie aus der christlichen Lebensanschauung herauskommt, bejahen und als Normen für das Zusammenleben für richtig halten", sagte etwa Familienminister Franz-Josef Würmeling. Der CDU-Politiker galt als strenger Katholik mit erzkonservativer Familienphilosophie samt klarer Rollenverteilung. Mitte der 1950er Jahre war das Mainstream.
Dass das Anliegen, das verniedlichend-kleinmachende "Fräulein" aus dem offiziellen Sprachgebrauch zu tilgen, damals entsprechend nicht ernst genommen wurde, zeigt ein Blick ins Plenarprotokoll. Als der DP-Antrag aufgerufen wurde, fragte Bundestagsvizepräsident Carlo Schmid (SPD), ob das Parlament auf einen mündlichen Bericht des Rechtsausschusses verzichte. Auf "Nein!"-Zurufe reagierte Schmid süffisant: "Ich höre einige Widersprüche im Sopran. (Heiterkeit.)"
In der DDR wurde die Anrede "Frau" 1951 erlaubt
Berichterstatterin Lüders sorgte sodann laut Protokoll für "Heiterkeit", als sie erklärte, die Fräulein-Frage stehe "seit etwa hundert Jahren in der Öffentlichkeit auf der Tagesordnung". Es gebe dazu "eine große Anzahl von ministeriellen Verfügungen", die erste aus dem Jahr 1869. "Die Forderungen der Frauen dazu flogen, wie es damals üblich war - auch heute noch vorkommen soll -, in die ministeriellen Papierkörbe." Damals sei die Forderung, dass erwachsene Frauen den Titel "Frau" führen dürfen, mit der Begründung abgelehnt worden, "eine solche Genehmigung könne nur als 'königliche Gunstbezeichnung' gegeben werden, und zwar als 'Titel'".
Dem Vorschlag des Rechtsausschusses, den DP-Antrag "als Material an die Bundesregierung" zu überweisen, allerdings mit der Bitte, die Altersgrenze dem Wahlrecht entsprechend auf 21 Jahre zu senken, stimmte der Bundestag zwar zu. Das Innenministerium hatte vorher schon angekündigt, dass sich die Länder "demnächst" mit diesem Thema befassen. Letztlich wurde die Anrede "Fräulein" aber erst 1972 per Erlass aus dem Amtsdeutsch verbannt. In der DDR wurde die Anrede "Frau" bereits 1951 allen erlaubt, die sie wollten.
Mehr lesen zur Gleichberechtigung
Am 18. Dezember 1953 urteilte das Verfassungsgericht, dass Frauen auch in der Ehe gleiche Rechte haben sollten. Die Umsetzung des Urteils gestaltete sich schwierig.
Das Buch "Der nächste Redner ist eine Dame" zeichnet ein lebendiges Porträt der 38 Parlamentarierinnen in der Männerdomäne des ersten Deutschen Bundestags.
Politikerinnen verschiedener Parteien setzten sich im Parlamentarischen Rat besonders für die Rechte der Frauen ein.