Peter Ramsauer : "Es ist alles erledigt"
Seit 1990 sitzt der dienstälteste Abgeordnete im Bundestag. Nun hört der christsoziale Langzeit-Parlamentarier und ehemalige Verkehrsminister auf.
Scheiden tut weh? "I wo", sagt Peter Ramsauer, "wenn man nach 34 Jahren geht, kann man's auch gut sein lassen." Schon am 25. September 2021, dem Tag vor der letzten Bundestagswahl, war eine Last von ihm gefallen. Gerade hatte er seinen Wahlkampf am Infostand in Traunstein beendet, da ging er mit seiner Frau Susanne in ein Café und ließ sich Champagner servieren. Die Entscheidung, beim nächsten Mal nicht erneut zu kandidieren, war damals im "Familienrat" gefallen, und die rhetorische Frage einer seiner vier erwachsenen Töchter ("Willst Du mit 71 Jahren wirklich noch mal antreten?") hatte sich erledigt.
Seit 34 Jahren gehört Peter Ramsauer dem Bundestag an. Zur nächsten Wahl tritt der dienstälteste Abgeordnete nicht mehr an.
Mit dem CSU-Veteran aus Traunreut verabschiedet sich der dienstälteste Abgeordnete aus dem Parlament, dem Ramsauer seit 1990 angehört. Stets holte der gelernte Müllermeister, Diplom-Kaufmann und promovierte Staatswissenschaftler das Direktmandat in seinem oberbayerischen Wahlkreis, teilweise mit einem Stimmenanteil jenseits der 60 Prozent, 2021 waren es 36,6 Prozent. Und auch als Pensionär bleibt er seinen bisherigen Wählern erhalten, schließlich stammt seine Familie von hier - beurkundet seit 1543. In der schon von seinen Vorfahren betriebenen Mühle lernte er einen seiner Berufe und auch, wie man einen Drei-Zentner-Mehlsack vom Boden aufhebt. "Reine Technik", verrät er.
Ramsauer ist in der Mühle und am Flügel zu Hause
Das eher herbe Handwerk ist nur eine Facette in der Persönlichkeit des konservativen Christsozialen. Als Jugendlicher spielte er mit dem Gedanken, Konzertpianist zu werden, und jetzt wartet sein Bechstein-Flügel darauf, dass der Ruheständler wieder öfter dazu kommt, Mozarts Klavierkonzert zu spielen. Dass seine Karriere in der Bundespolitik nun ihr selbstbestimmtes Ende findet, kommentiert "Ramses", wie ihn Freunde nennen, mit dem Satz: "Es ist alles erledigt." Das bedeutet zum einen, es gibt keine Pläne oder Projekte mehr, die er unbedingt noch abhaken möchte, zum anderen den Gewinn einer neuen Freiheit: "Man muss nicht mehr alles machen und über jedes Stöckchen springen."
Direkt gewählter Bundestagsabgeordneter in einem ländlichen Wahlkreis des Freistaats Bayern - das brachte über mehr als drei Jahrzehnte neben vielen Terminen und Veranstaltungen besondere Pflichten mit sich: "Es richten sich alle Erwartungen der Menschen auf dich, nach dem Motto: Der Peter macht das schon." Über 1.000 Bürgeranliegen mussten Ramsauer und seine Mitarbeiter pro Jahr bewältigen. Bisweilen schlüpfte sein Stab in die Rolle von "Gesprächstherapeuten", um die Petenten zufriedenzustellen. "Wenn du nicht ein erstklassiges Team hast, bist du verloren", rühmt der ehemalige CSU-Vize seine Mannschaft in Traunstein und Berlin.
Netzwerk und Reputation sieht Ramsauer als Erfolgsgeheimnisse
Und was braucht es noch, um in der Politik erfolgreich zu sein? Ramsauer überlegt nicht lange: "Ein funktionierendes Netzwerk und persönliche Reputation." Manche Weiche werde nicht in Gremien gestellt, sondern unter vier Augen: "Da konnte ich von Helmut Kohl viel lernen."
Natürlich helfen auch Ämter oder Titel. Bei Ramsauer kam einiges zusammen: Stadtrat in Traunreut, Mitglied des Kreistages Traunstein, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Chef der CSU-Landesgruppe, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Vorsitzender der Bundestagsausschüsse für Wirtschaft und Energie sowie für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Gut in Erinnerung geblieben ist ihm ein Anruf beim damaligen DB-Chef Rüdiger Grube, am Hauptbahnhof Berchtesgaden für mehr Sauberkeit auf den Toiletten und den Grünanlagen ringsum zu sorgen. "Kaum 24 Stunden hat das gedauert, dann war alles picobello."
Der Christsoziale ist stolz auf seine Zeit als Verkehrsminister
Dass Kritiker behaupten, seine Amtszeit als Verkehrsminister in den Jahren 2009 bis 2013 sei nicht besonders eindrucksvoll gewesen, wurmt Ramsauer. Schwuppdiwupp ruft er auf seinem Smartphone eine "Leistungsbilanz" auf, die sich im Vergleich zu seinen Vorgängern und Nachfolgern durchaus sehen lassen kann. Von verschiedenen Baugesetznovellen und Ergänzungen des Bußgeldkatalogs über die Marktöffnung für Fernbusse, die Einführung eines Online-Baustellenmelders für Autofahrer bis zur Rückkehr alter Kfz-Ortskennzeichen und die Grundsteinlegung für das Humboldt-Forum in Berlin. Stolz ist Ramsauer auf die Auszeichnung als "Sprachwahrer des Jahres", weil er die Bahn zu einem zurückhaltenderen Gebrauch von Anglizismen anhielt: statt "Service Point" tat es auch "Information".
Gern wäre er länger an der Spitze des Verkehrsressorts geblieben, doch CSU-Boss Horst Seehofer hatte seinerzeit andere Pläne. Freilich lernte Peter Ramsauer in den letzten Jahren auch wieder die Unabhängigkeit des Parlamentariers ohne Kabinettsrang oder herausgehobenes Parteiamt zu schätzen. "Meine Chefs", so pflegte er zu sagen, "sind die Leute in meinem Wahlkreis."
Entsprechend freimütig äußerte er sich zu höchst umstrittenen Fragen wie Griechenland-Hilfe, Mindestlohn, Rente mit 63, Atomausstieg, Stromtrassen oder Maut. Schon immer wandte sich Ramsauer dagegen, Kollegen, die sich gegen eine Mehrheitsposition ihrer Fraktion oder Partei stellten, als "Abweichler" zu bezeichnen: "Ich hasse diesen Begriff, weil er den einzelnen Abgeordneten so kleinmacht", sagte er 2015 in einem "Cicero"-Interview.
Politikverdrossenheit? Ramsauer bleibt optimistisch
Vielleicht war es diese Haltung, die Ramsauer auch über parteipolitische Grenzen hinweg half, Freundschaften zu begründen - mit den Obersozis Gerhard Schröder und Sigmar Gabriel, dem Linken Klaus Ernst. Und weil es in dieser unübersichtlich gewordenen Welt, diesem "multipolaren Durcheinander", immer noch so etwas wie das "Urvertrauen in die Politiker" gebe, ist Peter Ramsauer nicht bange vor der Zukunft: "Wenn die Leute Probleme oder Sorgen haben, kommen sie zu uns." Politikverdrossenheit habe es schon vor 34 Jahren gegeben, als er erstmals in den Bundestag einzog, meint der Langzeit-Volksvertreter. "Auch wenn sich die Kommunikation durch die Sozialen Medien gewandelt hat - die Grundregeln der Politik, die Basics der Demokratie sind unverändert."
Seine Abschiedsrede im Plenum hielt er am Nikolaustag. Entscheidend für den Parlamentarismus, so Ramsauers Vermächtnis, seien "Fairness, Toleranz und Zusammenhalt". Das Protokoll vermerkt nach den letzten Worten des CSU-Seniors "Beifall im ganzen Haus".
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