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Petra Pau : "Man soll kleine Rote eben nicht unterschätzen"

Die langjährige Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau tritt nicht wieder an. Von den Abgeordneten wünscht sich die Linken-Politikerin "mehr Selbstbewusstsein".

07.01.2025
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4 Min

Mit einem Paukenschlag erschien Petra Pau auf der bundespolitischen Bühne, damals noch in Bonn. Im heiß umkämpften Wahlkreis Berlin-Mitte holte die PDS-Kandidatin am 27. September 1998 mit einer Mehrheit von 278 Stimmen das Direktmandat gegen namhafte Konkurrenz - Wolfgang Thierse (SPD), Günter Nooke (CDU), Marianne Birthler (Bündnis90/Die Grünen) und Martin Matz (FDP). Lapidar ihr Kommentar: "Man soll kleine Rote eben nicht unterschätzen." Die Frau mit dem Pumuckl-Bürstenhaarschnitt und dem Herzen einer ehemaligen Judo-Kämpferin sollte in den folgenden Jahrzehnten noch eine bemerkenswerte Parlamentskarriere machen.

Foto: DBT/ Dominik Butzmann/ photothek

Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau wird dem nächsten Bundestag nicht wieder angehören. Sie saß seit 1998 im Parlament.

Nun sagt Petra Pau (61), seit 2006 Vizepräsidentin des Bundestages, leise servus. Hätte die Wahlperiode regulär bis September 2025 gedauert, wäre die ehemalige DDR-Pionierleiterin, Lehrerin an der SED-Parteihochschule und Mitarbeiterin im Zentralrat der FDJ sogar an Annemarie Renger (SPD) vorbeigezogen, die bislang die meisten Jahre im Bundestagspräsidium vorweisen kann. So oder so bleibt es für die Abgeordnete aus Hellersdorf immer noch ein bisschen irreal, was seit der Wende mit ihr geschehen ist: "Hätte mir 1990 jemand gesagt, ich würde mal Mitglied des Bundestages, ja, sogar Vizepräsidentin werden, ich hätte ihn zum Arzt geschickt."

Peter Ramsauer nannte Pau eine “gottlose Type”

Nachzulesen sind die "unfrisierten Erinnerungen" an Jahrzehnte in der Politik in einem kleinen Buch ("Gottlose Type"), das 2019 erschienen ist und lauter kurzweilige Anekdoten wie kluge Zuschreibungen enthält. Der Titel nimmt Bezug auf ein Wort des CSU-Kollegen Peter Ramsauer, der Petra Pau, einst protestantisch getauft, übel genommen hatte, dass sie im Dezember 2003 eine Sondersitzung des Bundestages beantragte, um mehr Zeit für das Studium eines 600 Seiten langen Gesetzestextes zu haben, der den Abgeordneten gerade aus dem Vermittlungsausschuss übermittelt worden war. 

Auch er hört auf

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Typisch Sozialisten, lautete der Kommentar aus der Union, jetzt machen sie uns auch noch unser Weihnachtsfest kaputt. Tatsächlich kam es damals nicht zu der Sondersitzung, und das zunächst gespannte Verhältnis der etablierten Fraktionen zur PDS normalisierte sich im Laufe der Zeit.

Aus den vormaligen "Schmuddelkindern" der deutschen Parteienlandschaft wurden grenzüberschreitend geachtete Konkurrenten. Wie auch umgekehrt die Tochter eines Maurers und einer Fließbandarbeiterin aus dem Osten der Hauptstadt in höchsten Tönen von den Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble und Norbert Lammert (beide CDU) spricht, oder den FDP-Innenpolitikern Gerhart Baum und Max Stadler, dem Parlamentsvize Eduard Oswald (CSU), der seiner Kollegin über die schwere Zeit hinweghalf, als Petra Pau die Stimme versagte. Schließlich verbindet die Linke bis heute eine persönlich enge Beziehung zu Clemens Binninger (CDU), mit dem sie im NSU-Untersuchungsausschuss vertrauensvoll kooperierte.


„Die Zukunft der Linken hängt nicht allein an mir.“
Petra Pau (Die Linke)

Geradezu ikonische Bilder produzierte Petra Pau in den Jahren 2002 bis 2005, als sie gemeinsam mit ihrer Berliner Parteifreundin Gesine Lötzsch als fraktionslose Abgeordnete im Bundestag saß. Die beiden PDS-Frauen hatten jeweils ihr Direktmandat verteidigt, doch die Partei scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde. Unbarmherzig platzierte man die zwei Politikerinnen auf Bürostühlen hinter den Reihen der SPD-Fraktion, ohne Tisch und Telefon. Eine westdeutsche Zeitung titelte: "Das harte Los als Randerscheinung im Bundestag." Was das für den parlamentarischen Alltag bedeutete, weiß Petra Pau noch heute zu gut: "Wir durften nur maximal drei Minuten im Plenum reden und mussten uns genau überlegen, wie wir unsere Arbeit einigermaßen sinnvoll aufteilten."

Das Bundesverfassungsgericht hat einzelnen Abgeordneten oder auch Gruppen mittlerweile zwar mehr Rechte zugestanden als das, was über viele Jahre übliche Parlamentspraxis war, doch Petra Pau hätte gern noch weitere Verbesserungen in Karlsruhe erkämpft: "Wir wollten das eigentlich durchbuchstabieren, was es heißt, sich gegen Absprachen oder Gewohnheitsrechte der Mehrheit durchsetzen zu müssen." Jetzt aber kommt ihnen die Neuwahl im Februar 2025 dazwischen. Und Petra Pau hört auf, obwohl sie vielfach bedrängt wurde, noch einmal anzutreten. Mit Sympathie begleitet sie den Versuch der drei "Silberlocken" Dietmar Bartsch, Gregor Gysi und Bodo Ramelow, die Linkspartei durch drei Direktmandate in den nächsten Bundestag zu hieven. Sie selbst hat sich dagegen entschieden, nicht zuletzt aus der Einsicht heraus: "Die Zukunft der Linken hängt nicht allein an mir." Allerdings heißt das für sie nicht, der Politik den Rücken zu kehren.

Pau will weiter gegen Rechtsradikalismus und Antisemitismus kämpfen

Petra Pau bleibt vor allem ihrem Herzensanliegen treu - der Bekämpfung von Rechtsradikalismus und Antisemitismus. "Zu diesem Thema werde ich nicht schweigen", verspricht sie. Erste Erfahrungen mit rechter Gewalt hat sie bereits im Dezember 1990 gemacht, als ihr Infostand vor der Kaufhalle in Hellersdorf von einer Gruppe Neonazis attackiert wurde, ebenso ein CDU-Kollege aus der Bezirksverordnetenversammlung. Bis heute schmerzt ihre linke Schulter, die damals von einem Baseballschläger getroffen wurde. Was Hass und Hetze bewirken können, hat sie in den Jahren danach immer wieder zu spüren bekommen. Umso entschlossener nimmt sie ihre Ehrenämter im Kuratorium der "Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas" und des "Centrum Judaicum" in Berlin, im Koordinierungsrat der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit oder der Heinz-Galinski-Stiftung wahr.

Ihren Kolleginnen und Kollegen in der 21. Wahlperiode des Deutschen Bundestages wünscht Petra Pau "mehr Selbstbewusstsein als Parlamentarier". Die Demokratie in der Bundesrepublik sei "unter Druck", der "Politikverdruss" nicht zu übersehen. Es gelte jetzt, "offene Diskussionsprozesse zu organisieren", den Umgang der etablierten Parteien mit “Bürgerräten” - immerhin eine Erfindung des vor einem Jahr verstorbenen CDU-Urgesteins Wolfgang Schäuble - hält Petra Pau für verbesserungsfähig: "Solche repräsentativen Formate auch auf Bundesebene passen zu der Erkenntnis, dass Demokratie nie fertig ist, sondern ein offener Prozess."

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