Piwik Webtracking Image

Annette Widmann-Mauz : „Mehr Frauen heißt tatsächlich bessere Politik“

In den 25 Jahren im Parlament hat sich die Christdemokratin immer für die Belange der Frauen eingesetzt. Nun sei es Zeit, den Staffelstab in jüngere Hände zu geben.

02.01.2025
True 2025-01-02T16:52:50.3600Z
4 Min

"Der Beruf des Politikers", so hat es Rolf Zundel vor vielen Jahren in der "Zeit" beschrieben, "verführt, ja zwingt dazu, festzuhalten - die Macht, die Menschen, das Glück, das Bild der Omnipotenz." Annette Widmann-Mauz (58) hat dieser Versuchung widerstanden und schon im Juni, nach der Europawahl, erklärt, dass sie nicht wieder für den Bundestag kandidiert. Nun tritt die dienstälteste Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion nach über 25 Jahren im Parlament ab und sagt: "Ich bin ein zufriedener Mensch."

Ihre Entscheidung, den Staffelstab in ihrem Wahlkreis Tübingen in jüngere Hände zu geben, an den CDU-Kreisvorsitzenden Christoph Naser (32), ihren früheren Mitarbeiter, fiel zu einem Zeitpunkt, da nicht damit zu rechnen war, dass die Legislaturperiode bereits kurz nach dem Jahreswechsel 2025 endet. Annette Widmann-Mauz aber bereut ihren Entschluss nicht, auch wenn ein möglicher Machtwechsel zugunsten der Union vielleicht noch einmal eine neue Aufgabe für sie gebracht hätte: “Es ist jetzt gut. Ich setze mich ja auch nicht aufs Sofa und halte die Klappe.”

Foto: picture alliance / dts-Agentur

Annette Widmann-Mauz verlässt den Bundestag. Die Christdemokratin war nicht nur Bundestagsabgeordnete, sondern auch Staatsministerin unter Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Jedenfalls ist die mit einem Öko-Landwirt verheiratete Schwäbin aus Balingen fit genug, sich auch künftig mit Politik zu befassen, aber auf andere Weise als bisher, sie muss sich erst sortieren: "Nichts ist schon spruchreif." Etwas gewinnt sie ganz sicher: "Mehr Zeit für Familie, Freunde, Begegnungen." Das ist zu kurz gekommen, seit sie 1998 in den Bundestag eingezogen ist, beim ersten Mal über die Landesliste, danach stets als direkt gewählte Abgeordnete.

Kämpferin für Frauen in der Politik

Dass die Welt sich in einem Vierteljahrhundert tiefgreifend verändert, lässt sich nicht zuletzt an jenem Projekt veranschaulichen, das sie seit jeher mit Vorrang betrieben hat - den Anteil engagierter Frauen in der Politik deutlich und nachhaltig zu erhöhen. Das war in der eigenen Partei, schwer genug, räumt Annette Widmann-Mauz ein. Sie hat als langjährige Vorsitzende der Gruppe der Frauen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der Frauen Union der CDU Deutschlands den weiten Weg "vom regellosen Zustand über das Quorum bis zur Quote" selbst mitgemacht und kann mit dem Ergebnis gut leben: "Die Frauenquote in der Union ist nicht bloß ein formales Instrument, sondern hat praktische Auswirkungen."

Nämlich? "Mehr Frauen heißt tatsächlich bessere Politik", stellt die erfahrene Familienpolitikerin fest. Das hätten Ministerinnen in Kabinetten ebenso bewiesen wie Frauen in herausgehobenen Partei- und Fraktionsämtern. "Außerdem", erklärt Annette Widmann-Mauz, "haben die erfolgreichen Bemühungen in Sachen Gleichberechtigung gezeigt, dass wir Frauen gemeinsam etwas bewirken können." Als gutes Beispiel nennt sie den engen Schulterschluss mit Dorothee Bär (46), ihrer durchsetzungsfähigen CSU-Kollegin, bei allen Machtkämpfen mit der starken Männermehrheit in der Union.


„Wir brauchen Zuwanderung in Deutschland, und Integration ist das Gebot der Stunde.“
Annette Widmann-Mauz (CDU)

Hätte es ohne den beharrlichen Einsatz des konservativen Frauen-Duos die Mütterrente gegeben oder die Verschärfung des Strafrechts zur Gewalt gegen Frauen? Kaum. Andere Vorhaben liegen noch auf dem Tisch. Ein "dickes Brett" bleibe der Kampf gegen die Ausbeutung in der Prostitution, für Annette Widmann-Mauz "artverwandt mit Sklaverei". Über viele Jahre hat sie diese Form ebenso traditionsreicher wie moderner "Unkultur" angeprangert: "Es ist nach wie vor ein unhaltbarer Zustand, dass die meisten Frauen, die in Deutschland der Prostitution nachgehen, das unfreiwillig oder unter Zwang tun."

Widmann-Mauz war als Gesundheitsministerin im Gespräch

Dass sie mehrfach als "designierte Bundesgesundheitsministerin" tituliert wurde, aber es nie geworden ist, empfindet sie nicht als Enttäuschung: "Man kann doch nur enttäuscht sein, wenn Erwartungen nicht erfüllt werden. Für mich war es eine Ehre, fähig für dieses Amt gehalten zu werden." Zugetraut hätte sich Annette Widmann-Mauz die Berufung allemal, schließlich hat sie als Parlamentarische Staatssekretärin im Berliner Gesundheitsressort eine Menge mitgestaltet, nicht zuletzt das Hospiz- und Palliativgesetz, das im Bundestag sogar einstimmig verabschiedet wurde, die Initiative zur besseren Versorgung von Kindern, die dauerhaft beatmet werden müssen, oder die angemessene Behandlung von Wachkoma-Patienten.

Mit ebenso viel Genugtuung blickt Annette Widmann-Mauz auf ihre Zeit als Staatsministerin und Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration im von Angela Merkel geleiteten Bundeskanzleramt zwischen 2018 und 2021. Den von ihr maßgeblich mitgestalteten "Nationalen Aktionsplan Integration" hält sie für richtungweisend wie aktuell: "Wir brauchen Zuwanderung in Deutschland, und Integration ist das Gebot der Stunde", so hat sie es schon vor Jahren postuliert. Gerade nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 sei der damals begonnene "interreligiöse und interkulturelle Dialog" so dringend wie nie zuvor, sagt die CDU-Politikerin, die sich nach Ausscheiden aus dem Bundestag weiter für Projekte einsetzen will, bei denen Juden und Muslime gegenseitige Vorurteile abbauen.

Wer auch nicht mehr für den Bundestag kandidiert

Albrecht Glaser im Bundestagsplenum sitzend
Albrecht Glaser: "Im Grunde bin ich der Vater der Wahlrechtsreform"
Albrecht Glaser tritt nicht mehr für den Bundestag an. Der 83-Jährige blickt auf eine lange politische Karriere zurück, die ihn von der Union zur AfD führte.
Portrait von Sven-Christian Kindler
Sven-Christian Kindler: "Ich hatte den besten Job im Parlament"
Mit 39 Jahren entscheidet sich der einflussreiche Grünen-Haushälter Sven-Christian Kindler für den Abschied aus dem Bundestag. Er will mehr Zeit für seine Familie.

Dass sie im und mit dem Parlament so viel erreichen konnte, erfüllt Annette Widmann-Mauz mit Befriedigung. Sie war, egal in welcher Funktion, eine zwar streitbare, aber nicht auftrumpfende Frau, zugleich still wie entschieden, so schildern es Kolleginnen anderer Fraktionen. Wird sie nach den Differenzen zwischen Angela Merkel und Friedrich Merz gefragt, muss sie nicht lange überlegen: "Natürlich sind sie unterschiedliche Typen, haben jeweils andere Biographien und Erfahrungswelten, ein anderes Geschlecht, ein anderes Verständnis von Lebenslagen und Problemen, andere Herangehensweisen." Aber sie habe mit beiden, Merkel und Merz, über Jahre eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet: "Verlässlich waren sie gleichermaßen."

Für sich persönlich hat die lang gediente Abgeordnete erkannt, dass Politik immer auch bedeutet, "offen zu bleiben, lernen zu wollen". Zumal ihr Herzensthema, die Selbstbestimmung der Frauen, "heute anders wahrgenommen als vor 25 Jahren" werde. An diesem Bewusstseinswandel hat Annette Widmann-Mauz kräftig mitgearbeitet.