Albrecht Glaser : "Im Grunde bin ich der Vater der Wahlrechtsreform"
Albrecht Glaser tritt nicht mehr für den Bundestag an. Der 83-Jährige blickt auf eine lange politische Karriere zurück, die ihn von der Union zur AfD führte.
Nach einem Gespräch mit ihm kann die Hand ein wenig krampfen, so viel schreibt man mit. Das liegt an zweierlei. Zum einen schaut Albrecht Glaser, Bundestagsabgeordneter der AfD aus dem Hessischen, mit seinen 83 Jahren auf einen Schatz an Erfahrungen zurück. Und zum anderen waren letztere nicht unbewegt - wie es halt ist, wenn sich jemand wie Glaser als "Homo Politicus" bezeichnet. "Da ist ein politischer Impetus in meiner Persönlichkeit", verraten seine Worte das Abitur an einem altsprachlichen Gymnasium im Jahr 1963.
Albrecht Glaser (AfD) ist seit Jahrzehnten in der Politik. Nun will er sich einem neuen Lebensabschnitt zuwenden.
Seine Vita widerspricht ihm nicht. Nach der Ausbildung zum Volljuristen und einem Abschluss in Verwaltungswissenschaften war er 1968, im Jahr der Studentenunruhen, Sprecher des Verbands Deutsche Burschenschaft; sozusagen eine Bewegung gegen den Trend, "der Versuch einer Repolitisierung im Gegenwind". Er arbeitete als persönlicher Referent des Rektors der Universität Heidelberg ("wegen Vandalismus musste ich gegen Studenten Relegation aussprechen") und als Dozent an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg. 1970 trat er in die CDU ein und 2012, "in der Merkel-Ära", wieder aus. In den 1980ern wirkte er als Bürgermeister im baden-württembergischen Waldbronn und in den Neunzigern als Stadtkämmerer in Frankfurt am Main. So kann es geraten, wenn man als 16-Jähriger auf dem Schulhof steht und ruft: “Ich werde mal Bundestagsabgeordneter!”
Glaser ist begeistert vom Abgeordnetendasein
Glaser, Mitgliedsnummer 30 bei der AfD, zog schließlich 2017 in das Parlament ein. "Ich bin immer noch begeistert", sagt er über das Abgeordnetendasein, aber nun wolle er eine neue Lebensphase einläuten, eine, "in der ich meine politische Vita reflektiere". Will er seine Memoiren schreiben? "Nein, eher einen Entwicklungsroman und ein Buch über die real existierende Demokratie." Da ist wieder eine der zahlreichen Spitzen, die er loslässt. Und er lächelt dabei. "Ich fühle mich gut und gesund, habe viel gearbeitet. Vielleicht hilft das ja auch." Der Kugelschreiber rauscht übers Notizbuch.
Sein Selbstbewusstsein mag zuweilen irritieren, aber aus der Luft gegriffen ist es nicht. Und auch dies ordnet er ein: "Ich glaube, ich bin nicht eitel. Das sage ich kühn und ungeschützt." Und erzählt weiter, über sein entspanntes menschliches Verhältnis zum Grünen und Frankfurter Gegenspieler Daniel Cohn-Bendit, über seine Freundschaft zu Ignaz Bubis, dem Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland in den Neunzigern. Es scheint, als könne er irgendwie mit jedem. Missmutig jedenfalls wirkt Glaser nicht.
Und dennoch zeigt er sich auch enttäuscht über seine Zeit im Bundestag. "Die AfD wird unangemessen abgewertet", beschwert er sich, sieht im Gegenzug bei den anderen Fraktionen "mangelnden Sachverstand und Allerweltsanträge"; sehr freundschaftlich gesonnen klingt das indes auch nicht. Zu den nicht wenigen Anträgen, welche die AfD-Fraktion im Bundestag bisher stellte, sagt er: "Die AfD braucht sich da nicht zu verstecken." Er selbst habe durchaus etwas bewegt, zum Beispiel durch seine Arbeit an der Wahlrechtsreform und zu politischen Stiftungen, "schon 2018 habe ich einen Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem die Überhangmandate begrenzt werden, dass keine Ausgleichsmandate entstehen. Im Grunde bin ich der Vater der Wahlrechtsreform".
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Das ganze Land sieht er derweil in einer Schieflage: Bildungserrungenschaften und Prinzipien der Erhardschen Marktwirtschaft würden bröckeln, Fiskaldisziplin entwickle sich zum Fremdwort, "als Stadtkämmerer habe ich nur schwarze Zahlen vorgelegt". Moment, kommt der Haushalt einer Stadt nicht anders zustande als der eines Landes? "Das ist dasselbe. Gleiche Disziplin führt zu gleichem Ergebnis." Es fällt auf, dass sich Glaser für langfristige Prozesse interessiert. Die deutsche Wiedervereinigung habe er immer vorhergesagt, meint er, und dabei werden seine Augen feucht. Bei diesem Blick auf das große Ganze überrascht dann vielleicht nicht, warum sich Glaser verwundert über den Umgang mit der AfD im Politikbetrieb zeigt.
Glaser sieht Putin als Bedrohung
Und letztlich schließt dies seine eigene Partei nicht aus. "Ich sehe nicht, dass die AfD die Demokratie bedroht", sagt er, "aber dass Putin den ganzen Staat bedroht". Eine Kritik am vom russischen Präsidenten befohlenen Angriffskrieg gegen die Ukraine wie die seinige hört man in den eigenen Parteireihen eher selten. "Da gibt es noch viel Gesprächsbedarf", räumt er ein. Als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Bundestag eine Rede hielt, war Glaser einer von nur vier AfD-Abgeordneten, die ihm zuhörten; die große Mehrheit seiner Fraktion war demonstrativ ferngeblieben. "Das ist schiere Selbstverständlichkeit aus der Abteilung Gutes Benehmen", sagt er über seine Entscheidung. "Und es gehört zur Empathie mit dem geschundenen ukrainischen Volk." Er, der sich oft wissend zeigt, offenbart da seine Verblüffung über die eigene Partei: “Das hat mich überrascht, da habe ich Verständnisprobleme.”
Nun vertritt er noch ein paar Monate lang eine Partei, wegen der er nicht verrät, von wem die beiden Bilder stammen, die in seinem Berliner Büro hängen. "Der Künstler könnte als Zulieferer der AfD stigmatisiert werden", sagt er mit Blick auf die Gemälde "Turmbau zu Babel" und "Trojanisches Pferd". Besser im Miteinander läuft es wohl in seiner Heimat. "In Frankfurt werde ich am Römer immer noch von einigen mit Handschlag gegrüßt." Vielleicht musste es so kommen. Schon sein Großvater sei ein "Homo Politicus" gewesen, ein Stadtschulrat in Pirmasens, der stets im Radio die Nachrichten hörte und der auf der Straße beim Spazieren mit seinem Enkel oft den Hut wedelte, "vor lauter Grüßen wollte er ihn nicht ständig auf und ab setzen". Draußen dunkelt es längst, seine Mitarbeiter sind im Feierabend. Glaser steht auf, ein paar Akten liegen noch auf dem Tisch.
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